„Why are you a problematic popstar?“ Diese Frage stellt Regisseur Steve Loveridge zu Beginn seines Dokumentarfilms der Künstlerin Mathangi „Maya“ Arulpragasam, besser bekannt als M.I.A.. Geboren in Sri Lanka, erlebt sie als Kind den Bürgerkrieg mit, flieht als Neunjährige mit ihrer Mutter nach London während ihr Vater, Mitgründer der militanten tamilisch-separatistischen „Eelam Revolutionary Organisation of Students“ (EROS), in Sri Lanka bleibt. Jahre vergehen bis sie sich wiedersehen.
Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist das Hauptthema in M.I.A.‘s künstlerischem Schaffen – eine Geschichte von Flucht, Diskriminierung und Unabhängigkeit. Sie wird zum Prototypen des aktivistischen Popstars – politisch engagiert, unbequem, aber auch oft widersprüchlich. Aber nicht die Musik, sondern der Film ist ihr erstes Medium. Sie trägt ständig eine Kamera mit sich herum, will ihr Leben zeigen als „immigrant“ in London, als Mitglied einer Familie, die durch den Bürgerkrieg in der Heimat zerrissen ist.
Steve Loveridge fügt aus den vielen Aufnahmen, die größtenteils von der Künstlerin selbst gedreht wurden, ein vielschichtiges Portrait zusammen. Man sieht eine Frau, die von der Suche nach sich selbst getrieben ist und die durch das, was sie entdeckt, manchmal schockiert ist. Die Reise nach Sri Lanka, die sie nach 16 Jahren wieder an ihren Geburtsort führt, ist ein zentraler Teil des Films sowie auch auf dem Lebensweg der Künstlerin.
Vom Kriegsflüchtling zum Popstar – klingt wie ein Märchen. Loveridges Film zeigt die Künstlerin als eine Frau, die auf der Suche nach ihrer Identität doch immer eine Idee davon hatte, wer oder was sie sein will. Kontrovers, wenn es sein muss.
Der Film zeigt auch, dass selbst Popstars, die mit Madonna und Nicky Minaj in der Halbzeitshow des Superbowls auftreten, in Amerika schnell wieder aus dem Rampenlicht verschwinden, sobald sie über unbequeme Wahrheiten sprechen – oder den Stinkefinger zeigen (der galt allerdings ihrem Ex-Lover).
Einen Stinkefinger zeigten viele Fans wiederum M.I.A., als sie Werbung für H&M machte. Fast Fashion und politisches Engagement – wie soll denn bitte das zusammengehen? Das erzählt der Film dann nicht. Ein paar mehr dieser Probleme des problematischen Popstars hätte man schon gern gesehen.
Simone Ahrweiler
Wenn der Ovulationsassistent klingelt
Der vielleicht lustigste Dialog der Berlinale 2018 geht folgendermaßen: Ein junges Paar von der Sorte, die es in Berlin zu Zehntausenden gibt, sitzt am Küchentisch, sein Handy dingelt.
Er: Lilly sagt, es ist soweit.
Sie: Wer ist Lilly?
Er: Mein Ovulationsassisent. Lilly sagt, du hast einen Eisprung.
Sie: Schon wieder?
Er: Komm! Lass es uns jetzt gleich machen!
Sie: Wir essen gerade!
Man sieht: Marco (Aleksandar Radenković) hat kurz vor dem fünfjährigen Jubiläum der gemeinsamen Beziehung etwas andere Prioritäten als seine Freundin Charlie (Victoria Schulz), die im Mittelpunkt von „Rückenwind von vorn“ (Perspektive Deutsches Kino) steht. Er will Kinder und Zusammenziehen, sie nach Korea reisen und erstmal weiter als Grundschullehrerin arbeiten. Und so steht Charlie vor der großen Problematik der Mittzwanziger nach dem Studium: Gerade war noch alles möglich, plötzlich ist alles so klar. Wollen wir tanzen gehen oder für die neue Wohnung sparen? Erwachsenwerden oder noch ein wenig warten?
Das ist nicht unbedingt originell in Stoff und Message, aber Philipp Eichholtz ist ein schöner kleiner deutscher Kinofilm über die Quarterlife-Crisis der Millennials gelungen, versetzt mit einigen hübschen visuellen Ideen und Ahhh-Momenten (eine Paintballszene mit Charlies Oma und ein skurriler Roadtrip in die Slowakei), improvisierten Dialogen und tollen Darstellern wie Angelika Wallner und Daniel Zillmann. Dieser Film kommt bestimmt auch regulär ins Kino, also Augen offenhalten.
Michael Brake„Halt die Bapp‘n“
Quaterlife-Crisis? Für Mati ist das noch ein Fremdwort. Dafür hat sie ihre ganz eigenen Probleme. Die Matura steht vor der Tür, der Umzug nach Wien zum Studium, die Eltern fahren ihre Ehe vor die Wand und ihre Position in der Motocross-Clique wird auf eine ernste Probe gestellt. Michael Brake hat „L’animale“, den Debüt-Film von Katharina Mückstein, nicht nur wegen des lakonischen Humors und des niederösterreichischen Dialekts gern gesehen. Hier unser Steckbrief.
Fake-Film-Quiz (1)
Und jetzt noch ein Comeback! Auch dieses Jahr gibt es auf unserem fluter.de-Berlinale-Blog wieder das Fake-Film-Quiz. Das ist praktisch Notwehr. Rund 400 Filme laufen jedes Jahr auf der Berlinale – und ganz ehrlich: Manche der Kurzbeschreibungen klingen erstmal ganz schön krude. Aber nur eine der drei da unten ist von uns erfunden. Welche, das verraten wir am Dienstag!
All my fearless Donkeys (von Alberto Ruiz Diaz, Uruguay 2018)
Diego lebt mit 92 Jahren auf einem Bauernhof in der Pampa, den er ein Leben lang bewirtschaftet hat. Als sein Bruder stirbt, reist der Alte allein mit einem Esel-Track nach Montevideo, um als einziger Angehöriger das Erbe anzutreten. Altmeister Ruiz Diaz filmt diese Reise als Kaleidoskop der Erinnerungen an die Geschichte seines Landes.
Season of the Devil (von Lav Diaz, Philippinen 2018)
Ende der Siebzigerjahre unterdrückt eine militaristische Bürgerwehr ein abgelegenes Dorf im Urwald. Die unerschrockene Ärztin Lorena eröffnet eine Armenklinik und verschwindet kurze Zeit später spurlos. Regisseur Lav Diaz nennt seinen vierstündigen Film eine philippinische Rockoper, auch die Songs hat er selbst geschrieben.
Casanovagen (von Luise Donschen, Deutschland 2018)
Ein Mönch, eine Sexarbeiterin, ein Evolutionsbiologe bei der Arbeit, junge Erwachsene in einer Bar und John Malkovich als Casanova: mal fiktional, mal dokumentarisch nähert sich dieser Debütfilm Fragen nach Körperlichkeit und Begehren.
Und hier noch die AGBs zum Fake-Film-Quiz: Wer googelt, riskiert den Spaß am Raten.
Titelbild: Cinereach
Und was gestern so lief auf der Berlinale -> hier erfährst Du es.