Eine Beerdigung ist fünfmal so langweilig wie Geschichtsunterricht. Das sind so die Gedanken von Hikari, während seine toten Eltern vor ihm liegen. Die hatten beim Besuch einer Erdbeerfarm – also eigentlich ging es darum, ihre erkaltete Ehe zu retten – einen Busunfall. Tot. Geliebt hatten sie Hikari eh nie, ihm dafür aber alle Computerspiele der Welt gekauft. So hängt er ununterbrochen vor einer Art Uralt-Gameboy und spielt ein Schwarz-Weiß-Rollenspiel. Vor dem Krematorium trifft Hikari drei Schicksalsgenoss*innen, ebenfalls dreizehneinhalb, ebenfalls frische Vollwaisen, ebenfalls weit davon entfernt, in Tränen auszubrechen. Die vier begeben sich auf eine Heldenreise, genau wie die Zombies im Videospiel.

Es geht schon länger die Erzählung, dass die Sektion „Generation“ das heimliche kreative Powerhouse der Berlinale sei. Gelabelt sind die Beiträge für Kinder („Generation Kplus“) und Jugendliche („Generation 14plus“), doch das betrifft oft vor allem das Alter der Protagonist*innen – interessant sind die Filme für alle. 

Der quietschbunte „We Are Little Zombies“, der heute Abend den Auftakt der 42. Generation macht, erfüllt diesen Anspruch, übererfüllt ihn sogar: Eine Million Einfälle hatte Regisseur Makoto Nagahisa (Jahrgang 1984) für sein Langfilmdebüt und fast alle davon auch umgesetzt: Er schickt seine kleinen Zombies in Stundenhotels, auf Müllhalden, durch Konzertsäle und in Schnellzüge, er spielt mit 8-Bit-Videogame-Optik, TV-Show-Einlagen, Animationssequenzen, Social-Media-Buzz, Erzählperspektivwechseln, Nahtoderfahrungen. Manchmal – aber nur manchmal – wäre in „We Are Little Zombies“ weniger mehr gewesen. Aber andererseits weiß man ja nie, wie lange man noch lebt.

Weltsensation: ein hoffnungsfroher Film über den Klimawandel 

Der ungewöhnlichste Stoff der diesjährigen Generation ist es freilich nicht, der Blick geht weit und in die ganze Welt: Der karg-mystische „The Red Phallus“ handelt von einer 16-Jährigen aus dem bhutanesischen Hochland, die ein dunkles Geheimnis hat. Wie Schüler*innen in Brasilien mehr als 1.000 öffentliche Gebäude besetzt haben, zeigt die dokumentarische Form „Espero tua (re)volta“. In „Anbessa“ trotzt eine äthiopische Familie den neu gebauten Planstädten und führt ihr traditionelles Leben weiter. 

Gleich mehrere Filme kommen aus China und Korea, die skandinavischen Länder sind gar mit neun Beiträgen dabei: In „Hölmö nuori sydän (Stupid Young Heart)“ sucht ein werdender Teenager-Vater emotionale Zuflucht bei einer Gruppe Rechtsextremer. Die Konfrontation mit Kindheits-Gewalterfahrungen mithilfe von Live-Rollenspielen verhandelt „The Magic Life of V“. Und dann ist da noch „2040“: ein visueller Brief an eine Vierjährige, der einen heiteren Blick auf die Zukunft wirft, allen menschengemachten Klimaschweinereien zum Trotz.

Ach, und noch ein Lob zum Schluss: Während die „große“ Berlinale mit der Regisseurinnen-Quote immer noch etwas strugglet, hat die Sektion Generation sie überholt: Exakt 50 Prozent aller Langfilme und sogar über die Hälfte der Kurzfilme sind von Frauen gedreht. (mbr)

So kalt da draußen

 

Den größten Lacher der gestrigen Eröffnungsgala hatte Anke Engelke auf ihrer Seite: „Er ist der Grund, warum Serien wie 'Four Blocks nicht nur Fiktion sind.“ So begrüßte sie Michael Müller, den Regierenden Bürgermeister von Berlin – und damit auch von Neukölln. Danach war's weniger lustig, aber doch herzerwärmend bei Lone Scherfigs „The Kindness of Strangers“, mit dem die 69. Berlinale startete. Hier unserer Steckbrief zum Film

Was bisher geschah? Hier geht es zum Tag eins unseres Berlinale Blogs

Titelbild: 2019 “WE ARE LITTLE ZOMBIES” FILM PARTNERS