Worum geht es?
Der ehemalige Zentralflughafen Tempelhof wurde Ende 2015 zur Notunterkunft für rund 2.000 Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland flohen. Die Doku „Zentralflughafen THF“ von Karim Aïnouz begleitet einen von ihnen. Ibrahim Al Hussain ist 18 Jahre alt und kommt aus Syrien – er sollte hier, auf diesem alten Flughafen in Berlin, eigentlich nur drei Monate bleiben, daraus wurde über ein Jahr. In Off-Kommentaren berichtet er von seiner Heimat. Von seinen Mitschülern, vom Bauernhof seiner Eltern und vom Krieg, wegen dem er das Land verlassen musste. Und er erzählt, wie er in Berlin ankam. Zunächst war er geschockt, an einen Flughafen gebracht zu werden: „Fliegen sie mich jetzt wieder aus?“ Im Wechsel mit den Off-Kommentaren zeigt der Film dann Bilder von Al Hussains Flughafen-Alltag. Sein Bett steht in einem kastenförmigen Raum ohne Türe und Decke. Es gibt einen Friseur, ein Basketballfeld, eine Kantine, Arztbesuche, Deutschkurse, Anrufe bei der Familie und Formulare, die ausgefüllt werden müssen. Abends raucht er draußen mit Freunden Shisha.
Was soll uns das zeigen?
Wie ein Transitraum zum unfreiwilligen Zuhause wird. Die Notunterkunft im Flughafen wird als ambivalenter Ort gezeigt. Es gibt zwar viele Freuden im Alltag – aber auch das beklemmende Gefühl, nicht weg zu können, das zermürbende Warten, das Brüten über diesen Fragen: Darf ich in Deutschland bleiben? Wie lange darf ich bleiben? Warum brauchen die Behörden so lange für eine Antwort?
Wie wird’s erzählt?
Alles in der Flüchtlingsunterkunft geschieht mit Blick auf Berlins größte Freifläche – das Tempelhofer Feld. Zuerst dienten die 300 Hektar als militärischer Übungsplatz, als Spielfeld des ersten Berliner Fußballvereins, später als Flughafen. Seit 2008 ist das Feld ein riesiger Park. Dem Film gelingt es, diesen Ort mit dem Leben der Flüchtlinge in Beziehung zu setzen. Mal um die Absurdität der Situation zu zeigen: Hier leben Menschen, die ihr Zuhause verloren haben – dort ort entspannen Berliner am Wochenende. Mal um Nähe herzustellen, etwa wenn einer der Geflüchteten sagt: „Seht euch diese Aussicht an!“
Good Job!
Regisseur Aïnouz hat einen guten Blick für Details: In so vielen Facetten hat man das Tempelhofer Feld wohl noch nie in so kurzer Zeit gesehen. Im Januar, im Mai, im Oktober. Bei Schnee, im Nebel und bei Sonne. Imker ziehen Honigwaben aus Bienenkästen. Hipster picknicken. Familien grillen. Leute gehen, joggen, skaten, fahren Rad oder Segway, lassen Drachen steigen. Sicherheitsmänner drehen ihre Runden. Füchse laufen durch die Nacht. Alles verändert sich stetig. Nur der Flughafen, der bleibt.
Stärkster Satz
Ibrahim steht an Silvester vor den Hangars und schaut sich das Feuerwerk an. Es weckt böse Erinnerungen: „Feuerwerk und Krieg klingen fast gleich.“
FYI
Ende 2017 wurde vor dem Tempelhofer Flughafen ein Containerdorf mit über 1.000 Wohnplätzen eröffnet. Die Stadt nennt diese neuen Unterkünfte „Tempohomes“.
Ideal für ...
... alle, die Dokus mögen, die sich viel Zeit für verschiedene Perspektiven nehmen.
„Zentralflughafen THF". Regie Karim Aïnouz, D, F, Bra 2017, 97 Minuten.
Foto: Juan Sarmiento