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Von Cowboy Core bis Bürgerrechtshymne

Klar könnt ihr das neue Beyoncé-Album inzwischen auswendig. Aber habt ihr auch schon alle Querverweise, Gastauftritte und Referenzen auf „Cowboy Carter“ entschlüsselt? Hier kommt ein Crashkurs in sechs Punkten

  • 6 Min.
Beyoncé

1. Cowboy Core

Das Album von Beyoncé beginnt nicht mit der Musik, sondern schon viel früher. Spätestens seit im Zuge ihres Werbespots beim diesjährigen Superbowl die beiden Lieder „Texas Hold ’Em“ und „16 Carriages“ erschienen, war klar, dass sich Beyoncé auf ihrem neuen Album mit Country beschäftigen wird. Einer Musikrichtung also, die in den USA eher dem konservativen Lager zugeschrieben wird und dessen Stars vor allem weiße Musiker*innen sind. Bei Instagram präsentierte sich Beyoncé daraufhin mit Cowboyhüten, auf dem Albumcover von „Cowboy Carter“ reitet sie auf einem weißen Pferd, hält eine US-Flagge in der Hand. Sie bedient damit zum einen den aktuellen Fashion-Trend „Cowboy Core“, der sich unter anderem in der neuen Kollektion von Louis Vuitton widerspiegelt. Man kann ihren Stil aber genauso gut als eine Aneignung und Dekonstruktion von Symbolen lesen, die zeigt: Die US-Flagge, Lederstiefel und Hüte sind nicht nur der Gedächtnislook weißer Patriot*innen. Zumal in der popkulturellen Darstellung von Cowboys oft unterschlagen wird, dass viele der reitenden Viehhirten im 19. Jahrhundert Afroamerikaner waren. Zum Album selbst schreibt Beyoncé, die in den Südstaaten, in Texas, aufgewachsen ist, schon früher bei Rodeos auftrat und Countrysongs veröffentlichte: „Das ist kein Countryalbum. Das ist ein Beyoncé-Album.“ Und man kann hinzufügen: ein Beyoncé-Album, das ein Meta-Kommentar zu Country aus Schwarzer Perspektive ist (Anm. d. Red.: Wir schreiben „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine Eigenschaft oder Hautfarbe ist, sondern eine politische Selbstbezeichnung). Beyoncé zufolge ist „Cowboy Carter“ außerdem eine Reaktion auf eine Erfahrung, bei der sie sich „nicht willkommen gefühlt“ habe. Damit spielt sie vermutlich auf den Shitstorm an, den es 2016 nach ihrem Auftritt bei den US-Country Music Awards gab und den viele Beobachter*innen als rassistisch motiviert einstuften.

2. Das Banjo und die Countrycharts

Der Anteil an traditionellen Countrysongs auf „Cowboy Carter“ ist gering. Stattdessen vermischen sich unzählige Musikstile von Trap bis Jersey-Club zu einer impulsiven Popmixtur. Die erste Single, „Texas Hold ’Em“, aber ist ein waschechter Countrysong und eine Würdigung des Banjos, eines der prägenden Instrumente innerhalb des Genres. Auch das dürfte ein bewusst gesetzter Marker sein. Denn das Instrument wurde in Nordamerika und der Karibik von Afrikaner*innen und ihren Nachfahren entwickelt, die durch den Sklavenhandel dorthin gebracht worden waren. Sklav*innen spielten es in den USA zunächst auf Plantagen, mit der Zeit wurde das Instrument von der weißen Musiktradition einverleibt. Folgerichtig ist es, dass die Schwarze Musikerin Rhiannon Giddens das Banjo auf „Texas Hold ’Em“ spielt. Der Song erreichte schließlich Platz eins der Countrycharts, und auch das hat Symbolcharakter. Denn damit ist Beyoncé die erste Schwarze Frau, der das gelungen ist.

3. Die Civil-Rights-Hymne

Dass es auf „Cowboy Carter“ nicht nur um Country geht, sondern wie auch auf anderen Beyoncé-Alben zuvor um black empowerment, zeigt ihr Lied „Blackbiird“. Es ist das Cover eines gleichnamigen Beatles-Songs, der 1968 erschien und von einem afroamerikanischen Mädchen in den USA handelt, das Diskriminierung erfährt. Damals sollte der Song die Schwarze Bürgerrechtsbewegung stärken. Paul McCartney sagt heute, dass ihn die „Little Rock Nine“ zum Song inspiriert hätten, die ersten Schwarzen Jugendlichen, die im Ort Little Rock 1957 eine bis dahin ausschließlich von Weißen besuchte Schule nutzen wollten. Damals war dazu der Schutz von Polizei- und extra entsandten Armeeeinheiten nötig. Beyoncé macht sich auf „Cowboy Carter“ nun den Song zu eigen und spinnt ihn weiter. Ihr Kniff: Einen Teil der Gesangsparts übernehmen die jungen Schwarzen Countrysängerinnen Brittney Spencer, Tiera Kennedy, Reyna Roberts und Tanner Adell. Die Mehrstimmigkeit und die Kraft in den Stimmen besetzen „Blackbiird“ neu. Der Chor funktioniert dabei als eine Art Inkarnation der „Little Rock Nine“ – als kollektive Stimme.

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Cowboy Carter (Foto: Blair Caldwell,  © PARKWOOD ENTERTAINMENT LLC.)
So geht erfolgreiche Aneignung von Symbolen: Beyoncé auf dem Cover von „Cowboy Carter“ (Foto: Blair Caldwell, © PARKWOOD ENTERTAINMENT LLC.)

4. Der Lovesong

Dolly Parton ist einer der größten Countrystars in den USA, und ihr Song „Jolene“ von 1973 war ein Megahit. Darin fleht sie eine Frau an, dass sie die Finger von ihrem Mann lassen soll. Auf „Cowboy Carter“ lässt Beyoncé Parton selbst zu Wort kommen. Die spricht in einer kurzen Sequenz darüber, dass sie die Frau mit den „flammenden kastanienbraunen Haarsträhnen“, die sie in „Jolene“ besingt, ein wenig an „Becky mit den schönen Haaren“ erinnere. Über die sang Beyoncé bereits auf ihrem Album „Lemonade“ und verarbeitete damit angeblich die Untreue ihres Mannes Jay-Z. Dolly Partons Worte und die Referenz auf den alten Beyoncé-Song funktionieren nun als Überleitung auf ein „Jolene“-Cover. Beyoncé hat die Lyrics umgeschrieben: Anstatt wie Parton die Konkurrentin anzuflehen, droht Beyoncé ihr. Sie singt, dass sie ihren Mann erzogen habe und nach wie vor eine „Creole banjee bitch from Louisianne“ sei. Unabhängig davon, wie man das inhaltlich bewerten mag, ist die Beyoncé-Version in jedem Fall die selbstbewusstere.

5. Die alte Heldin

Noch interessanter als der Auftritt Dolly Partons ist der von Linda Martell. Sie war die erste Schwarze Countrysängerin, deren Konzert bei „Grand Ole Opry“ übertragen wurde. Das ist seit knapp 100 Jahren die wichtigste Country-Radio- und Liveshow. Auf „Cowboy Carter“ fragt Martell rhetorisch: „Genres sind ja ein lustiges kleines Konzept, nicht wahr?“ und fügt hinzu: „In der Theorie sind sie einfach zu definieren. Doch in der Praxis, nun ja, fühlen sich manche durchaus eingeengt.“ Martell, die im rassistischen Amerika der 1970er-Jahre bereits ein Album mit dem Titel „Color Me Country“ veröffentlichte, weiß, wovon sie spricht. Beyoncé scheinen Martells Worte auf „Cowboy Carter“ zu ermutigen, mit „Spaghetti“ alle Genregrenzen zu sprengen und einen Hip-Hop-Brocken abzuliefern – ein maximaler symbolträchtiger Kontrapunkt zum Countrysound.

6. Das bisschen Politik

Taylor Swift wurde unlängst die Macht zugesprochen, die US-Wahlen beeinflussen zu können. Und Beyoncé? Um Tagespolitik geht es auf „Cowboy Carter“ eher wenig. Klar, es geht ums Stärken der eigenen Community, um Durchsetzungsvermögen als Frau im Pop, um ihre Vorbildrolle für Schwarze Frauen und um einen neuen Blick auf Country, aber sonst? „Can we stand for something? / Now is the time to face the wind“, singt Beyoncé gleich auf dem ersten Song „Ameriican Requiem“. Was „something“ konkret heißt, darauf bietet das Album keine Antwort. Als Protestslogan hält das eher nicht her. Stattdessen, und das passt gut zum Countrythema, zu den Südstaaten, zum Bible Belt, ist das letzte, wohl ironiefrei gemeinte Wort (Beyoncé ist offen gläubig): „Amen“.

Titelbild: Mason Poole, © PARKWOOD ENTERTAINMENT LLC.

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