Verstünde er was vom Geschäft, er würde alles anders machen. So aber verkauft er Produkte, die niemand braucht, ein Bett für draußen, zum Beispiel. Er lässt Kunden wochenlang warten, nur damit seine Arbeiter auf den Philippinen nicht müde werden und die Angestellten in Deutschland um 17.30 Uhr Beachvolleyball spielen können, in die Sauna gehen, Kart fahren und was sonst noch zum Firmen-Freizeitangebot gehört, für das er inzwischen eine halbe Million Euro ausgegeben hat. Er sei ein ziemlich schlechter Kaufmann, sagt Bobby Dekeyser, kein besonders guter Designer und von Marketing habe er nicht viel Ahnung. Dafür versteht er ziemlich viel vom Wohlfühlen. Damit hat es wahrscheinlich zu tun, dass sein Unternehmen im letzten Jahr 55 Millionen Euro Umsatz gemacht hat. Die Wachstumsrate in den letzten fünf Jahren: 80 Prozent.
Der Luxusmöbelhersteller Dedon: Firmensitz in Lüneburg, Niederlassungen in Barcelona und auf der philippinischen Insel Cebu, Kunden in Hollywood und überall sonst auf dem Globus, wo Menschen viel Geld für schöne Dinge ausgeben können. Brad Pitt hat bei Dedon zehn muschelförmige Sitzinseln gekauft, das Stück für 5000 Euro, und erst mal nur vier bekommen. Der Vatikan hat mal ein paar Damen geschickt, auf Einkaufstour für Papst Johannes Paul II. Luxushotels, Königshäuser bestellen bei Dedon, doch der wahre König ist bei Dedon nicht der Kunde, sondern der Angestellte. Er darf pünktlich Feierabend machen und dann ins firmeneigene Spa, all die betriebswirtschaftlich unsinnigen Investitionen nutzen, die Sporthalle, die Sauna, über die der Chef sich freut wie ein Junge über ein neues Spielzeugauto. Wie alle Kinder ist Bobby Dekeyser ziemlich rigoros, was die Moral betrifft. Wenn einer der prominenten Kunden ihm anbietet, einen höheren Preis zu zahlen, um die Lieferzeit zu verkürzen, sagt der Junge, nein, weil das unfair wäre den anderen Kunden gegenüber. Seinen philippinischen Arbeiter/innen zahlt er 30 bis 50 Prozent mehr als den gesetzlichen Mindestlohn, er hat ihnen einen Gesundheitsdienst spendiert und einen Shuttleservice, der sie zur Arbeit bringt. Bobby Dekeyser, 40, die Haare blond-grau gesträhnt, die Augen blau wie der Sommerhimmel, nimmt sich die Freiheit, gegen so ziemlich alle Regeln des Unternehmertums zu verstoßen. Er findet die Steuern nicht zu hoch, die Arbeitszeiten nicht zu kurz, einen Fünfzigjährigen nicht zu alt, um ihn einzustellen. Er selbst, Chef von 2350 Mitarbeitern, darunter Schwester, Schwager, alte Freunde, arbeitet "so ungefähr halbtags". Wenn er nicht auf Reisen ist, frühstückt er mit seiner Frau und den drei Kindern, er läuft, schwimmt, fährt in einem seiner Oldtimer spazieren. Ein Arbeitszimmer hat er nur daheim, auf einem alten Bauernhof, aber nicht in der Firma, wo er mal hier ist, mal dort und häufig einfach weg. Der Kopf arbeitet natürlich immer, "aber damit was dabei herauskommt, brauche ich die Ruhe, die Distanz". Wenn er in seinem silbernen Mercedes 190 SL Cabrio von 1955 durch Lüneburg fährt, sieht das alles - der Mann, das Auto, die Möbel, die Zahlen - eine Spur zu schön aus, um wahr zu sein.
Zwei-, dreimal die Woche führt Dekeyser Medienleute durch seine Unternehmenszentrale. Er zeigt ihnen die Showrooms, die untergebracht sind in den ehemaligen Stallungen eines Husarenregiments, er führt sie durch die Wellnessbüros und an den großen Tisch, um den mittags alle sitzen wie eine Großfamilie und sich verwöhnen lassen von Adriana, einer sizilianischen Köchin. Er zeigt Fotos von dem Ballon, der einmal die Woche in die Luft steigt, im Korb eine Hand voll Dedon-Mitarbeiter. Es kommt nicht selten vor, dass die Journalisten nach einem solchen Rundgang fragen, wo man, bitte schön, seine Bewerbung abgeben könne. Das Wirtschaftswunder von Lüneburg. Dass es funktioniert, liegt an der Freiheit, die Bobby Dekeyser seinen Mitarbeiter/innen gibt. Er nennt das Eigenverantwortung. Es macht gar nichts, wenn er selbst kein guter Kaufmann ist, solange er gute Kaufleute hat, die für ihn arbeiten, leidenschaftlich arbeiten, weil er ihnen ein Budget gibt und sie ansonsten in Ruhe lässt. Irgendwann trifft man sich wieder und guckt, was dabei herausgekommen ist. Leistung, sagt Dekeyser, kommt von innen heraus, das hat nichts mit Arbeitszeiten zu tun, man muss die Leute ernst nehmen. Was er damit meint, demonstriert er beim Ausflug zum Dedon-Angelteich, hinter dem Adriana, die Köchin, bald einen Gemüsegarten anlegen will. Der Angelteich ist Hausmeisterrevier. Dekeyser hat dem Hausmeister dafür 15.000 Euro gegeben, er durfte alles so machen, wie es ihm gefällt. Herausgekommen ist dabei ein Bassin mit 500 Fischen, am Ufer steht ein Pavillon, der aussieht wie eine übergroße Version jener Gartenlauben im Allgäu-Schick, die man im Baumarkt kaufen kann. Dort treffen sich abends die Kollegen auf ein Gläschen. Die Anlage sieht aus wie ein Kleingärtnertraum, das Gegenteil vom edlen Dedon-Geschmack. "Ich hätte es anders gemacht", sagt Dekeyser vorsichtig, aber das hier ist eben "Roberts Ranch", wie ein schmiedeeisernes Tor am Steg verkündet. Bobby Dekeyser meint es ernst, sonst hätte er wohl kaum bis heute durchgehalten. Das Konzept hat nämlich nicht immer funktioniert. Zehn Jahre lang ist er "gerade so über die Runden gekommen". Er galt als Spinner, aber er hat einfach weitergemacht, Kredite aufgenommen, für die ein Nachbar bürgte, manches Mal rettete ihn ein Auftrag in letzter Sekunde, außerdem sei er "ziemlich stur", man könnte auch sagen: Er blieb sich treu. Wissen, was man will, und sich treu bleiben: Das ist für ihn Freiheit. Das heißt aber auch: "Freiheit muss man sich hart erkämpfen."
Um herauszubekommen, was er wirklich wollte im Leben, musste Dekeyser erst mit einem zertrümmerten Gesicht im Krankenhaus liegen. Er war Fußballprofi, ein ziemlich erfolgreicher sogar, er spielte in Belgien, bei Bayern München, zuletzt war er Torwart bei 1860 München, Fußballer des Monats. Trotzdem war er unglücklich."Ich war ein guter Sportler, aber im Grunde war ich kein Fußballer." Zum Fußball war er gekommen, weil die Fußballer immer schöne Mädchen hatten. Es hatte funktioniert: Mangelndes Talent habe er durch hartes Training kompensiert, und die Mädchen bekam er auch. Nachdem ihm ein Gegenspieler den Ellbogen ins Gesicht gerammt hatte, sollte Schluss sein mit dem "Hyperdruck". Auf einmal wusste er: Unternehmer wollte er sein. Nur eine Geschäftsidee hatte er nicht. Er fing an mit Skidesign, verkaufte Bastgiraffen aus Madagaskar, erinnerte sich, dass sein Großvater Henkel für Waschmitteltrommeln hergestellt hatte. Das Plastik war hübsch, Rattanmöbel mochte Dekeyser auch; also entwickelte er das Material weiter, bis er eine Faser hatte, aus der man Möbel flechten konnte.
Es sind sehr schöne Möbel geworden, wetterfest, auf den Philippinen handgefertigt. Zwei Wochen arbeitet ein Flechter an einem einzigen Stuhl; es ist wichtig, dass die Arbeiter nicht zu viele Überstunden machen, sie müssen in ihrem Rhythmus bleiben, sagt Bobby Dekeyser, ansonsten würden sie nicht mehr so perfekt flechten, das Produkt würde seine Seele verlieren. Ein bisschen klingt das nach Kommunismus, die Befreiung aus der Entfremdung von der Arbeit. Dabei ist Dekeyser ziemlich unpolitisch. Politik sei unüberschaubar geworden, er aber will einfach nur Geschäfte machen. Er ist ein fast unglaublich arbeitnehmerfreundlicher Arbeitgeber; und dieser Satz, ein Kompliment natürlich, wird ihm nicht gefallen. Er mag die Trennung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht, dieses Gegeneinander, das von beiden Seiten ausgehe, Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen sich bloß noch gegenseitig kaputtmachen, wo es doch ein Geben und Nehmen sein müsste. "Unsere Generation hat viel versaut mit ihrem Egoismus." "Wissen Sie", sagt Bobby Dekeyser, "ich habe nichts gegen die Leistungsgesellschaft, gegen den Kapitalismus. Kapitalismus ist in Ordnung, solange nicht, wie in China, eine kleine Schicht dekadent reich wird. Kapitalismus ist o.k., solange der Profit geteilt wird." Das soziale Auffangnetz in Deutschland habe jedoch wenig mit Teilen zu tun, es führe nur dazu, dass einige wenige Verantwortung übernehmen und viele in Abhängigkeit gebracht werden. Dabei müsste jeder verantwortlich sein für seine kleine Welt, jeder ein kleiner Unternehmer. Was er ausdrücklich nicht meint, ist: Jede Firma müsste nur Kartrennen und gemeinsame Mittagessen einführen, um erfolgreich zu sein. "Es darf nicht aufgesetzt sein", sagt er, "das muss von innen kommen." Unser Problem, sagt Dekeyser, ist, dass Unternehmer nicht mehr respektiert werden. "Früher war ein Unternehmer ein mutiger Mann, der etwas riskiert hat." Und heute? Manchmal hat er das Gefühl, er müsse sich rechtfertigen für seinen Erfolg.
In Deutschland ist so viel Freiheitswillen nicht immer wohlgelitten. Der Feind der Freiheit ist die Bürokratie. Als Dekeyser die Idee hatte, seine Geschäftspartner vom Lüneburger Showroom aus über das Flüsschen Ilmenau mit dem Boot zum Restaurant fahren zu lassen, winkte der Bauleiter ab: Ein Steg müsste gebaut, ein Zaun durchbrochen werden, und um herauszufinden, wem die paar Quadratmeter Land zwischen Showroom und Flüsschen gehören, brauche man ein halbes Jahr.
Gerade hatte Dekeyser Besuch vom Brandschutz. Er lässt die Firmenzentrale umbauen, an jeder Ecke steht ein Maler. Der Brandschutz hat Einwände, Bodenplatten aus Holz müssen entfernt werden. Die Sache wird 30.000 bis 40.000 Euro kosten. Eigentlich müsste Dekeyser wütend sein. Doch der wunderliche Unternehmer scheint unerschütterlich in seiner guten Laune. Er geht jetzt erst einmal für zwei Tage paddeln mit seinem Sohn. Natürlich wird er auch beim Paddeln arbeiten, im Kopf. Eine der Fragen, die ihn im Moment umtreiben, ist die, wie man, um Himmels willen, das Wachstum seines Unternehmens auf 30 Prozent drücken kann. Zu schnelles Wachstum ist ungesund, schlecht für die Kreativität, für die Qualität. Er will nicht, dass die Freiheit im Wachstum erstickt.