Im Januar 2009 hängt eine schwarze Rauchwolke über der madagassischen Hauptstadt Antananarivo. Die Gebäude zweier regierungsnaher Fernsehsender brennen, Supermärkte sind geplündert, das Gefängnis gestürmt. Auf den Straßen bekämpfen sich Militärs und Demonstranten. Manche der Aufständischen haben sich mit Steinen und Stöcken bewaffnet und marschieren auf den Regierungssitz zu. Bis zu 80.000 Menschen protestieren, sie fordern den Rücktritt des Präsidenten Marc Ravalomanana. Auf einem Laster stehend ruft der Bürgermeister Antananarivos, Andry Rajoelina ihnen zu: »Nirgendwo auf der Welt hat das Militär es je geschafft, die Macht der Bevölkerung zu brechen. Wir machen weiter. Selbst wenn sie Hilfe aus dem Ausland holen, um mich zu beseitigen!« Es geht um alles, in diesen Tagen. Madagaskar ist ein von wirtschaftlichen Problemen gebeuteltes Land, mehr als 70 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze, 14 Prozent der Menschen sind unterernährt.
Die Demonstranten werfen dem Präsidenten vor, sich selbst zu bereichern. Einige von ihnen haben von dem Abkommen gelesen, das die Regierung mit Daewoo geplant hat. Für einen Bruchteil des in Südkorea üblichen Preises bekommt der südkoreanische Konzern etwa die Hälfte der Ackerfläche der Insel, 1,3 Millionen Hektar – gepachtet für 99 Jahre. Ein Gerücht geht um: Der Präsident hat das Land verkauft. Mindestens 28 Personen sterben bei den Unruhen, mehr als 200 werden verletzt. Dann schließt sich das Militär den Aufständischen an – Marc Ravalomanana ist gestürzt. Die Revolution in Madagaskar ist die bislang schwerste politische Krise, die das sogenannte Land-Grabbing (auf Deutsch: Landraub) nach sich zieht. Dabei werden auch in anderen armen Ländern Ackerflächen im großen Stil an ausländische Konzerne verpachtet und verkauft. Seitdem im Jahr 2008 die Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt innerhalb weniger Monate dramatisch anstiegen – eine Entwicklung, die unter anderem auf den Biospritboom zurückgeführt wird – kaufen einige Staaten außerhalb ihrer Grenzen Land, um unabhängig von den Marktschwankungen zu sein und ihre Lebensmittelversorgung langfristig zu sichern. Ägypten, Saudi- Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören dazu, aber auch China und Südkorea, die gemessen an der Bevölkerungszahl nur über knappe Ackerlandressourcen verfügen. Ihr Ziel: fruchtbare Böden im Kongo, in Kambodscha, im Sudan, in Madagaskar.
Der Wettlauf um die Äcker der Armen hat begonnen. Schon lange vor den Ereignissen in Madagaskar berichtete die Nichtregierungsorganisation Grain vor derartigen Praktiken. Sie warnte: Durch den Landkauf würden Kleinbauern aus den verpachteten Regionen vertrieben und ihrer Existenz beraubt, die Böden durch industrielle Nutzung zerstört und der Hunger der Einheimischen letztlich sogar vergrößert, da die angebauten Nahrungsmittel in die Heimatländer der Unternehmen exportiert werden. Doch manche Entwicklungsländer machen sich trotz alledem auf die Suche nach Käufern für ihre Böden. Das Investitionsministerium des Sudan beispielsweise plant, insgesamt 880.000 Hektar an arabische und asiatische Investoren zu verpachten, rund die dreifache Fläche des Saarlandes. Bereits mit sieben Staaten hat der Sudan Pachtabkommen geschlossen, die oftmals die Bedingung enthalten, dass die Ausländer in die marode Landwirtschaft investieren müssen. Auch in Madagaskar versprach sich der Präsident von dem Deal mit Daewoo Vorteile: Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung. Die Weltbank und die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), im vergangenen Jahr noch begeistert von den »Win-win-Perspektiven« der Agrarinvestments, warnen inzwischen vor den möglichen Folgen der Landpachtungen und sprechen sogar von einer neuen Form des Kolonialismus.
Damit sich derartige Geschäfte auch für die Entwicklungsländer lohnen, müssten Einheimische ausgebildet und an der Arbeit sowie den Ernten der Landwirtschaft beteiligt werden. Auch der Chef des Welternährungspolitik-Instituts IFPRI, Joachim von Braun, hat Bedenken. »Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn nun etwa in Entwicklungsländern Getreidelaster für den Export an hungernden Menschen vorbeirollen«, sagte er in einem Interview mit der »Zeit«. Das Welternährungsprogramm WFP unterstützt derzeit rund 5,6 Millionen Menschen im Sudan – so könnte es zur perversen Situation kommen, dass das Land Nahrungsmittel exportiert und gleichzeitig auf Auslandshilfen angewiesen ist. Mit dem Wettlauf um billiges Land nehmen jedoch auch die Proteste zu. So konnten kürzlich philippinische Aktivisten verhindern, dass China eine 1,24 Millionen Hektar große Ackerfläche pachtet. Solange die Mehrheit der Bevölkerung ohne Landbesitz leben müssten, sei ein solches Abkommen unrechtmäßig und unmoralisch, argumentierten sie. Für die oftmals undurchsichtigen und komplizierten Landkäufe fordern Ernährungsexperten seit Längerem internationale Verhaltensregeln. Im Sommer 2009 gaben die Staaten der G8 auf Initiative Japans, dem weltweit größten Nahrungsimporteur, eine Erklärung zur Lebensmittelsicherheit ab. Sie ist allerdings unverbindlich. Land-Grabbing verhindern wird sie in Zukunft also nicht – die nächsten Aufstände auch nicht.
Arne Semsrott (21) gewann 2007 beim SPIEGEL-Schülerzeitungswettbewerb. An seiner Schule durfte er das Blatt aber nicht verkaufen, woraufhin er ein Dixi-Klo aufstellte und die Schülerzeitung von der Klobrille weg verkaufte. Draußen hing ein Plakat mit der Aufschrift: »Schülerzeitungsverbot? Da scheiß ich drauf!.