Manchen Leuten mag ein Nine-to-five-Job das angenehme Gefühl vermitteln, angekommen zu sein. Bei mir bewirkt er genau das Gegenteil: Ich will nur noch weg. Und da bin ich offenbar in guter Gesellschaft. Viele Millennials kriegen Beklemmungen, wenn sie an einen Ort gebunden sind und ihre Zeit nicht mehr frei gestalten können. Sie wechseln, wie die Daten des Karrierenetzwerks LinkedIn zeigen, überdurchschnittlich häufig den Job. Nicht immer freiwillig: Das hängt auch mit befristeten Jobs und schlechten Arbeitsbedingungen zusammen.
Sich von der Arbeit nicht auf, sondern lieber unter die Palme bringen lassen
Im digitalen Zeitalter findet man mehr denn je Möglichkeiten, den Lebensunterhalt auch ohne festen Arbeitsvertrag zu verdienen – mit Jobs, die es vor ein paar Jahren so noch nicht gab. Deshalb sind heute so viele „digitale Nomaden“ in der Welt unterwegs, Entrepreneure und Freelancer, die für ihre Arbeit nichts weiter brauchen als einen Laptop und schnelles Internet. Unabhängig von einem Chef oder einer Firma verdienen sie ihr Geld als Grafikdesigner, Programmiererin, Online-Händler oder, wie ich, Bloggerin und Autorin. Digitale Services und Tools machen es einfach, mit Auftraggebern in Kontakt zu bleiben. Und so ergibt sich die Freiheit, von überall auf der Welt arbeiten zu können. Unter Palmen liegend und Smoothie schlürfend mein Geld verdienen? Klingt gut, dachte ich mir und startete mein Work-and-Travel.
Doch so einfach ist es dann doch nicht. Niemand räkelt sich den ganzen Tag am thailändischen Strand in der Hängematte und betreibt so ganz nebenbei ein florierendes Unternehmen. Ein eigenes Business aufzubauen und Auftraggeber zu bekommen ist harte Arbeit. Und ganz sicher würde sich kein digitaler Nomade mit dem Laptop direkt in den Sand setzen, wie es der eine oder andere Fernsehbericht suggeriert. Schon aus ergonomischen Gründen suchen sich die allermeisten im Reiseland ihrer Wahl einen Coworking-Space, in dem sie sich zeitweilig niederlassen. Mittlerweile schießen die Coworking-Spaces rund um den Globus aus dem Boden. Ende des Jahres soll es laut dem Szene-Magazin „deskmag“ weltweit 19.000 Coworking-Spaces geben, in denen 1,7 Millionen Menschen arbeiten.
Gehört auch dazu: kostenloses Yoga und Workshops zu Suchmaschinen- und Selbstoptimierung
Die Ansprüche an die austauschbaren Arbeitsplätze wachsen: Viele Nutzer erwarten von einem Coworking-Space mehr als nur einen Schreibtisch und eine Infrastruktur zum Arbeiten. Teile der „Generation Y“ sind auf der Suche nach der perfekten Work-Life-Balance, und das spiegelt sich auch im Rahmenprogramm etlicher Coworking-Spaces wider, beispielsweise täglich wechselnde Vorträge zu Themen wie „Vegan Living“ oder „Lady Boss – Confidence in Networking“, praktische Workshops zu Photoshop oder Suchmaschinen-Optimierung. Kostenloses Yoga ist ebenso im Angebot wie gemeinsame Mittagspausen, Massagen, Pools und BBQs mit Karaoke. Die Mitglieder lernen sich bei Speed-Meetings kennen und helfen sich gegenseitig interdisziplinär bei sogenannten Mastermind-Sessions, in denen jeder sein aktuelles Projektproblem erläutern kann und von den anderen Tipps erhält. In den integrierten Cafés gibt es fair gehandelten Bio-Kaffee und gesundes Essen. Auch soziales und ökologisches Engagement ist manch einem digitalen Nomaden wichtig.
Im balinesischen Coworking-Space „Dojo“ etwa, von wo aus ich zuletzt gearbeitet habe, gab es Aktionen wie wöchentliche „Beach Cleanups“ oder Hilfsprojekte, die Spaziergänge mit Hunden aus dem Tierheim und Englischunterricht für Kinder aus der Umgebung organisierten. Damit wollen sowohl die digitalen Nomaden als auch die – oft selbst ausländischen – Besitzer der Coworking-Spaces den Einheimischen etwas zurückgeben.
Doch auch im Coworking-Kosmos ist nicht alles rosarot. Wie alle Touristen bringen auch Work-Travellers häufig Probleme wie Umweltverschmutzung, Korruption und Verdrängung in die Regionen. Manche verhalten sich respektlos und missachten die kulturellen Gepflogenheiten des Landes.
Hinterm Monsun: Das Laptop macht die Grätsche und der nächste Computerladen ist zwei Autostunden entfernt
Andersherum machen einige Länder den digitalen Nomaden das Leben schwer – besonders jene, in denen die Infrastruktur nicht sehr weit entwickelt ist. Auf den Philippinen stand ich häufig ohne Internet, auf Sri Lanka sogar gänzlich ohne Strom da. In Indien hat mein Laptop nach einem fünftägigen Monsun die Grätsche gemacht und der nächste Computerladen war zwei Autostunden entfernt.
Wenn die Technik dann aber doch funktioniert, muss man aufgrund der Zeitverschiebung schon mal mitten in der Nacht mit Auftraggebern skypen. Hinzu kommen ganz private Schwierigkeiten, in die man in südlichen Gefilden geraten kann, etwa beim Blick in den Schrank festzustellen, dass sämtliche Klamotten im tropischen Klima geschimmelt sind. Über die fast immer inbegriffenen Magen-Darm-Problemchen brauche ich niemanden Genaueres zu berichten.
Aber dein womöglich größtes Problem ist ein anderes. Wenn du erst mal im Land deiner Träume arbeitest, kann es passieren, dass du plötzlich etwas möchtest, was eigentlich ein bisschen untypisch für dich als digitale Nomadin ist: Du willst nicht mehr weg.
Fotos: Dojo Bali