Einen Wahlkampf voller Überraschungen und Skandale erleben die Franzosen in diesen Wochen. Sorgen bereitet vielen das gute Abschneiden des Front National in den Umfragen. Früher waren sogar rassistische und antisemitische Äußerungen beim Front National üblich, seit der neuen Parteivorsitzenden Marine Le Pen tritt die Partei gemäßigter auf. Mittlerweile gibt es kontroverse Diskussionen darüber, ob der FN als rechtspopulistische Partei oder weiterhin als rechtsextrem einzustufen ist. Fest steht: Würde Le Pen die Wahl gewinnen, könnte das für Frankreich und für Europa weitreichende Veränderungen bringen, die für das liberaldemokratische Lager der EU-Befürworter ein Drohszenario darstellen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Präsidentschaftswahl im Überblick.

Wie funktioniert das französische Wahlsystem?

Der „Président de la République française“ wird direkt vom Volk gewählt – und zwar für fünf Jahre. Dass es in Frankreich zwei Wahlgänge gibt, liegt am absoluten Mehrheitswahlrecht. Demnach ist im ersten Wahlgang derjenige gewählt, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Das ist bei der Präsidentschaftswahl aber noch nie passiert. Deswegen gibt es immer einen zweiten Wahlgang am Sonntag zwei Wochen später. Bei dieser Stichwahl treten dann die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen an.

Wie viel Macht hat ein französischer Präsident?

Sehr viel. Man nennt ihn auch „Monarch auf Zeit“. Festgeschrieben ist dieser Einfluss in der Verfassung der von Charles de Gaulle gegründeten Fünften Republik von 1958. Diese Machtfülle hänge mit den schlechten Erfahrungen und der großen politischen Instabilität zusammen, die man in der Dritten (1875 bis 1940) und Vierten Republik (1946 bis 1958) gemacht hat, sagt die französische Historikerin und Germanistin Hélène Miard-Delacroix: „Die Dauer der Regierungen betrug in der Vierten Republik im Durchschnitt nur sechs Monate.“

Konkret sieht das so aus: Der Präsident bestimmt den Premierminister, und dieser führt dann seine Politik aus. Der Präsident kann ihn auswechseln, er bestimmt die Zusammensetzung der Regierung und leitet die Kabinettssitzungen. Er kann die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. Der Präsident kann auch den Ausnahmezustand ausrufen – Präsident François Hollande tat dies nach den Terroranschlägen am 13. November 2015. Er kann als Oberbefehlshaber der Armee Soldaten ins Ausland senden, ohne das Parlament zu befragen. Er bestimmt die Außen- und Sicherheitspolitik und entscheidet, ob Atomwaffen eingesetzt werden.

Doch das französische System ist kein rein präsidiales System wie in den USA, wo Donald Trump Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem ist. Denn in Frankreich gibt es neben dem Präsidenten ja den Premierminister, der vom Parlament abberufen werden kann. „Man spricht von einem semipräsidentiellen System, denn Präsident und Regierung können nicht gegen das Parlament regieren“, sagt Miard-Delacroix. Das Parlament stimmt nämlich über die Gesetze ab.

FAQ Frankreich-Wahl

Anhänger des französischen Präsidentschaftskandidaten Benoit Hamon mit Plakat (Foto: RGA/REA/laif)

Bedingungsloses Grundeinkommen, höherer Mindestlohn, 32-Stunden-Arbeitswoche, Legalisierung von Cannabis – mit seinem linken Programm liegt Benoît Hamon in den Umfragen derzeit auf Platz 4

(Foto: RGA/REA/laif)

Was ist der Unterschied zu Deutschland?

Das Amt des französischen Präsidenten lässt sich nicht mit dem des deutschen Bundespräsidenten vergleichen. Der deutsche Bundespräsident hat weniger politische Aufgaben. Das Pendant zum Amt des französischen Präsidenten ist in Deutschland eher der Kanzler. Aber Angela Merkel ist bei ihren Entscheidungen viel abhängiger von der Zustimmung des Bundestags und ihrer Partei. Hier spricht man von einem parlamentarischen System. Die deutschen Bürger wählen „nur“ den Bundestag, der dann den Kanzler wählt.

Warum wählen die Franzosen im Juni gleich noch einmal?

Das Parlament in Frankreich setzt sich aus den beiden Kammern Nationalversammlung und Senat zusammen. Und die Wahl der 577 Abgeordneten der Nationalversammlung findet am 11. Juni und 18. Juni statt. Am 24. September wird auch noch die Hälfte der 348 Mitglieder des Senats neu gewählt. Übrigens: Bei den Parlamentswahlen könnte es passieren, dass plötzlich das gegnerische Lager die Mehrheit hat. Dann darf dieses den Premierminister stellen. Die Franzosen nennen diese Situation „Cohabitation“, eine Art schwieriges Zusammenleben zum Beispiel eines konservativen Präsidenten mit einem sozialistischen Premier. So eine Kohabitation schwächt die Macht des Präsidenten.

Welche Themen bestimmen die Wahl in Frankreich?

Vor allem der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Frankreich hat eine Arbeitslosenquote von 9,7 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt sie 6,1 Prozent. Fast ein Viertel der Jugendlichen sucht einen Arbeitsplatz. Nach den Terroranschlägen ist natürlich auch die Sicherheit eines der wichtigsten Themen. Auch die Kriminalität – vor allem in manchen Vorstädten – beschäftigt die Franzosen sowie die Steuer- und Flüchtlingspolitik.

Was ist an diesem Wahlkampf so besonders?

Zunächst die Tatsache, dass ein amtierender Präsident darauf verzichtet, noch einmal zu kandidieren, obwohl ihm eine zweite Amtszeit erlaubt wäre. Der sozialistische Präsident François Hollande hatte so schlechte Umfragewerte, dass er im Dezember ankündigte, aufzuhören. Das gab es noch nie in der Fünften Republik. Dann steht der Wahlkampf im Schatten der Justiz. Gleich gegen zwei aussichtsreiche Kandidaten ermitteln Untersuchungsrichter. Zum einen gegen den Kandidaten der konservativen Partei Les Républicains (Republikaner), François Fillon, zum anderen gegen Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei Front National.

Frankreich-Wahl FAQ 2

Anhänger von Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen mit Banner (Foto: Fred MARVAUX/REA/laif)

„Frexit“, Austritt aus der NATO, weniger Einwanderung – diese Versprechen könnten Marine Le Pen die Stichwahl gewinnen lassen. Fürs Präsidentenamt reicht es laut Experten wohl eher nicht

(Foto: Fred MARVAUX/REA/laif)

Was bedeutet die Wahl für Europa?

Kommt nach dem Brexit der Frexit, also der Ausstieg Frankreichs aus der EU? Denn eine weitere Besonderheit dieser Wahl ist, dass Marine Le Pen so gute Umfragewerte wie noch nie hat (26 bis 30 Prozent im ersten Wahlgang). Wenn sie gewählt würde, wäre das für die EU wahrscheinlich ein Desaster. „Nicht nur Frankreich, ganz Europa hätte wohl die größten Veränderungen zu erwarten“, sagt Eileen Keller vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Wie Donald Trump setzt die ausländer- und europafeindliche Le Pen auf Abschottung. „Sie will den Franc wieder einführen und ein Referendum für den Frexit“, erklärt Keller. Bei einer außenpolitischen Rede im Februar in Paris wurde Le Pen sehr deutlich: Für sie ist die EU „ein bürokratisches Monster“ und es sei Zeit, „mit der EU Schluss zu machen“, sagte sie.

Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Marine Le Pen es wirklich schafft?

Die Rechtspopulisten seien seit mehr als 30 Jahren nie so stark gewesen wie heute, warnte vor kurzem sogar Präsident François Hollande. Aber: Wegen des Mehrheitswahlrechts ist ein Sieg eher unwahrscheinlich. Schafft es Le Pen in die Stichwahl, käme es wohl wieder zu einem „Front républicain“: Das bedeutet, dass linke und konservative Wähler sich zusammenschließen, um Le Pen zu verhindern. „Bei bisherigen Wahlen hat der Front National bis zu sieben Millionen Stimmen bekommen, aber um die Stichwahl zu gewinnen, bräuchte Marine Le Pen mehr als doppelt so viele“, sagt Eileen Keller. Andererseits sind viele Wähler noch unentschieden, dieser Wahlkampf ist unberechenbar. Und viele Franzosen sagen auch: Erst der Brexit, dann Donald Trump – warum sollte es nicht auch Marine Le Pen schaffen?

Titelbild: Guillaume BINETM.Y.O.P./laif