Auch in der Medizin verfliegt der Zauber großer Entdeckungen manchmal schneller, als man denkt. Vor vier Jahren bekam Harald zur Hausen den Medizin-Nobelpreis für den Nachweis, dass die fast ausschließlich durch sexuelle Kontakte übertragenen humanen Papillomviren (HPV) Krebs am Gebärmutterhals verursachen können. Doch seitdem ist das Virus in der Öffentlichkeit kaum noch ein Thema.

Dabei ist HPV unter jungen Menschen extrem weit verbreitet. In einer Studie konnten Forscher nachweisen, dass etwa in Berlin jede zweite Frau zwischen 20 und 25 damit infi ziert ist. Ein echtes Problem ist das selten: „Meist ist eine Infektion harmlos, heilt ohne Folgen ab. Oft bemerken die Frauen sie gar nicht“, sagt Christian Dannecker, Gynäkologe an der Uniklinik München, der sich seit vielen Jahren mit HPV beschäftigt. Viele Frauen infi zieren sich schon in jungen Jahren mit dem Virus. Die Infektionsraten unter Jungen sind ähnlich hoch, bei ihnen führt HPV aber nur extrem selten zu bedrohlichen Erkrankungen. Für Frauen ist das Risiko viel größer. Denn unter ungünstigen Umständen, etwa bei Raucherinnen oder einem geschwächten Immunsystem, können die Viren schmerzhafte Genitalwarzen und chronische Entzündungen hervorrufen. In einigen Fällen entstehen daraus krankhafte Gewebeveränderungen, die zu Krebs führen können. Deshalb werden allein in Deutschland Zehntausenden Frauen jährlich Teile des Gebärmutterhalses entfernt. Dennoch erkranken pro Jahr rund 5.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, jede dritte stirbt daran.

Forscher haben Impfstoffe gegen die gefährlichsten HPV-Typen 16 und 18 entwickelt, die seit knapp sechs Jahren auf dem Markt sind. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut empfahl 2009 Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren die Impfung, Frauenärzte warben dafür. Voll wirksam ist die Impfung aber nur, wenn man noch nicht infi ziert ist. Doch nach dem ersten Sex ist das Virus oft schon im Körper. Christian Dannecker glaubt dennoch, dass fl ächendeckende Impfungen die meisten Krebsfälle verhindern würden, die nicht während der Vorsorge entdeckt werden. Doch er warnt davor, nach der Impfung nicht mehr zur Vorsorge zu gehen oder auf Kondome zu verzichten. Der Impfstoff wirkt zwar gegen die Hochrisiko-Typen, aber auch andere HPV-Varianten können manchmal Tumore verursachen. Bisher ist auch unklar, wie lange der Schutz anhält und wie oft nachgeimpft werden muss.

Jungs und Mädchen stecken sich gegenseitig an

Die HPV-Impfung ist in Deutschland äußerst unbeliebt. Anfangs lag die Impfrate in einigen Bundesländern bei über 50 Prozent, inzwischen lässt sich nur noch etwa jedes dritte Mädchen gegen HPV impfen. Hatten viele Medien die Impfung zunächst überschwänglich als „erste Impfung gegen Krebs“ gefeiert, schlug die Stimmung schnell in heftige Kritik um. Berichte über Todesfälle in zeitlicher Nähe zur Impfung verunsicherten Eltern und Mädchen, obwohl sich herausstellte, dass die Impfung nicht die Todesursache war. Frauenärzte mussten lange Gespräche führen, wenn sie die Impfung empfahlen. Das konnten sie sich im Praxisalltag nicht leisten, sie impften fortan nur noch, wenn jemand es ausdrücklich wünschte.

Die meisten HPV-Experten können die harsche Kritik an der Impfung nicht nachvollziehen. „Diese Kritik kam von Leuten, die sich mit HPV nicht auskennen, viele davon sind weder Mediziner noch Biologen. Nach allem, was wir heute wissen, ist die Impfung sicher und wirksam“, sagt etwa Andreas Kaufmann von der Berliner Charité. In Studien konnten Wissenschaftler nachweisen, dass die Impfstoffe weit mehr als neunzig Prozent aller HPV-Ansteckungen verhindern, wenn man vor der Impfung noch nicht infiziert war.

Kaufmann weist darauf hin, dass zum Beispiel Australien im Gegensatz zu Deutschland ein großes Impfprogramm aufgelegt hat, Ärzte impfen dort auch an Schulen. Vier von fünf Mädchen nehmen das Angebot zur Impfung zurzeit an, und erste Untersuchungen zeigen, dass deutlich weniger problematische HPV-Infektionen in der geimpften Gruppe auftreten. Und zwar bei Mädchen und Jungen, die dann ihrerseits niemanden mehr anstecken können.

Dass dies auch bei uns passieren wird, ist angesichts der Verunsicherung in der Bevölkerung unwahrscheinlich. Das frustriert nicht nur den Forscher Lutz Gissmann, der wie Nobelpreisträger zur Hausen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg forscht: „Es ist traurig, dass wir in Deutschland so viel zur Forschung beigetragen haben und sie jetzt kaum nutzen.“ Das Pro blem sei auch die allgemeine Impfmüdigkeit der Deutschen. Und dagegen können auch die größten medizinischen Entdeckungen nichts ausrichten. Der Medizinnobelpreisträger Harald zur Hausen lässt sich nicht entmutigen. Er fordert inzwischen auch eine Impfung für Jungen, um die Viren auszurotten oder zumindest wirksam einzudämmen.