Maurice Parr, den die Farmer im Norden Indianas nur als »Moe« kennen, zieht sich die Baseballkappe zurecht, bis ihn die grelle Abendsonne nicht mehr blendet. Dann deutet er auf einen Feldweg, der sich Richtung Westen in ein Maisfeld bohrt. An dieser Stelle bemerkte er im Spätsommer 2006 die Detektive, die ihn bei der Arbeit beobachteten. Zunächst einen Wagen mit zwei Männern, die Fotos machten und mit einer Videokamera hantierten. Später wechselten sich verschiedene Spitzelteams dabei ab, Parr zu verfolgen auf seinen Einsätzen als Saatgutreiniger für Bauern zwischen Indianapolis und Columbus/ Ohio. Jedes Detail dokumentierten die Ermittler. Auf welcher Farm Parr welche Art von Saatgut vorbereitete, damit die Bauern es im nächsten Jahr aussäen konnten. Er selbst überprüfte die Nummernschilder der schwarzen Limousinen: Gemeldet auf die Detektei McDowell & Associates, St. Louis. Sofort war ihm klar, in wessen Auftrag die Herren unterwegs waren. Farmer aus Iowa und Missouri, Kansas und Arkansas hatten ihm schaurige Geschichten berichtet – von Detektiven, die im Auftrag des Gentechnikkonzerns Monsanto durchs Land reisen, um Indizien zu sammeln gegen Bauern, die angeblich patentiertes Saatgut verwenden, ohne dafür zu zahlen.
Laut dem »Center for Food Safety« in Washington schreiten Monsantos Leute in 500 Fällen pro Jahr ein, strategisch über die Nation verteilt, um flächendeckend abzuschrecken. Die Ermittler von Monsantos Stammdetektei McDowell sollen in Büros eingebrochen und unter falschem Namen aufgetreten sein. Sie streuen Gerüchte über Bauern, bis schließlich Monsanto die Klage einreicht. Oft verlieren Farmer ihre Existenz, wenn der Konzern mit ihnen fertig ist. Als Moe Parr die Detektive entdeckte, war ihm klar: Bald wird auch er um sein bisheriges Leben kämpfen müssen. 1996 hatte die US-Regierung den Anbau von genmodifizierten Nutzpflanzen (GMOs) genehmigt, und zunächst glaubten die Farmer, ein goldenes Zeitalter breche für sie an. Die Hersteller versprachen höhere Erträge, weil die Technologie ihre Pflanzen resistent mache gegen Schädlinge, Dürre, Nebenwirkungen von Herbiziden.
Heute, ein gutes Jahrzehnt später werden neun von zehn Betriebe in den USA und Kanada mit Gentechnologie bewirtschaftet, doch die Ernüchterung unter den Bauern ist grenzenlos: Die Ernten sind nicht reicher als zuvor; mehr und nicht weniger Herbizide werden gespritzt, um immer widerspenstigere Unkräuter und Parasiten zu bekämpfen. Das fatalste Problem für die Landwirtschaft in Nordamerika: Den Markt für Saatgut, den sich einst Hunderte Anbieter teilten, kontrolliert heute ein einziger Konzern. Monsanto besitzt etwa bei GMOMais, -Soja und -Baumwolle einen Marktanteil von bis zu 95 Prozent und kann dementsprechend die Preise diktieren. Beispiel Mais: Für die Saison 2009 hob Monsanto den Preis für einen Sack Saatgut der Sorte MON591 um hundert auf 300 Dollar an. Pro Hektar und Saison muss ein Farmer nun über 250 Dollar investieren. Sobald er einen Sack Saatgut öffnet (eine Unterschrift ist neuerdings nicht mehr nötig), erklärt er sich einverstanden mit einem Knebelvertrag, der ihn auf Jahre an Monsanto bindet und dem Konzern jederzeit Zugang zu privaten Daten erlaubt.
Dass Saatgutreiniger wie Moe Parr für einen Sack konventionellen Saatguts 25 Dollar verlangten, ein Zwölftel des heutigen Preises, ist gerade mal zehn Jahre her – doch Nostalgie hilft in der Not nicht weiter. Aus Furcht vor Repressionen reden die wenigsten Bauern öffentlich. Einer von Parrs ehemaligen Kunden, der Mais-Farmer Bob Duval, 43, stützt sich auf Moes Schulter und sagt: »Wie konnten wir damals nur so dumm sein, diesen Albtraum nicht vorauszusehen.« Nordamerikas Farmer trugen ihre Saat im vergangenen Frühling in der Gewissheit aus, mit dem Ernteertrag sogar Geld zu verlieren. »Niemand in dieser Gegend, nicht mal die Ältesten, können sich an so ein Jahr erinnern«, sagt Bob Duval. Unterdessen geht Monsanto weiterhin erbarmunglos gegen kleine Farmer und Saatgutreiniger vor und nutzt dabei ein natürliches Phänomen aus: Per Pollenflug verbreiten sich Monsantos Samen auch über Felder, die mit konventionellem Saatgut bestellt werden. Für eine Klage reicht es aus, wenn Monsantos Helfer geringste Spuren ihrer patentierten Technologie vorfinden. Terry Zakreski, ein Anwalt, der Dutzende Farmer in ihrem Kampf gegen den Konzern vertrat: »Monsanto hat ein Problem: Es will einen Teil von Mutter Natur besitzen, der sich natürlicherweise jeder Kontrolle entzieht.« Und gerade diese Schwäche in seinem Geschäftsmodell nutzt Monsanto, um Amerikas Farmer gefügig zu machen.
Wer einige Tage im Farm Belt verbringt, trifft Bauern, die Monsantos Methoden mit der Stasi, der Gestapo oder Mafia vergleichen. Als der Sheriff von Lafayette, Indiana im Februar 2007 an seiner Tür klingelte, war Parr nicht mal mehr überrascht. »Was ich bloß angestellt hätte, fragte der Sheriff, es sei die schwerste Anklageschrift, die er je überbringen musste«, erzählt Parr. »Da ahnte ich, dass sie mir an den Kragen wollten.« Der Vorwurf: Parr bereitet Saatgut vor, das nicht rein ist von Spuren der Monsanto-Produkte. Per Gerichtsbeschluss musste Parr seine Buchhaltung seit dem Jahr 2000 offenlegen. Ein besonders hinterhältiger Schachzug der Anwälte, denn so erhielten sie vertrauliche Informationen über 70 Farmen in der Region. Viele von ihnen erhielten kurz darauf Besuch von Männern in schwarzen Limousinen. Mit Monsanto einigte sich Parr auf einen Vergleich, der einem Berufsverbot gleichkommt. Entweder er beschränkt seine Tätigkeit auf wenige Sorten Saatgut, die kaum noch verwendet werden, oder er zahlt eine hohe Summe Schadenersatz. »Obwohl mein Anwalt sagte, ich könne jede Verhandlung gewinnen, riet er mir davon ab, durch die Instanzen zu gehen, weil ich mir die Verfahrenskosten nicht leisten kann. Ich komme mit einem Anwalt, die schicken 30 Leute von ihrer Kanzlei Husch & Eppenberger, die uns mit Anträgen überziehen, bis wir nicht mehr atmen können.« Schmerzhafter als der finanzielle Schaden war jedoch, dass sich die meisten Kunden von ihm abwendeten und Freundschaften zerbrachen.
Kurz vor seinem 73. Geburtstag erlebte Parr seine schlimmste Krise. Dutzende Bücher und Filme, Hunderte Artikel beschreiben Monsanto als monströs und gierig. Trotzdem gelang es dem Konzern, innerhalb von zwei Jahrzehnten zum weltweit dominierenden Biotechnologie-Konzern anzuwachsen; einer Firma, die in über 160 Ländern Patente auf gentechnisch manipulierte Tiere und Pflanzen angemeldet hat, und vor der sogar das »Wall Street Journal« warnt: »Der Konzern beherrscht unsere Nahrungskette. Kaum ein Produkt im Supermarkt, in dem nicht die Technologie von Monsanto steckt.« Monsanto dient jedem Umweltschützer und Globalisierungsgegner von Indonesien bis Berlin als Lieblingsfeindbild. Die Website prahlt unterdessen mit der Tatsache, Detektive und Anwälte gegen Produktpiraten ins Feld zu schicken. Das Argument: Neue Eigenschaften in Gene einzubauen, sei sehr teuer. Wie kann ein Konzern einen derart schlechten Ruf pflegen und dennoch bei elf Milliarden Dollar Umsatz zwei Milliarden Gewinn erzielen?
Der Präsident und CEO Hugh Grant wird nicht müde, Monsanto als Heilsbringer der globalen Landwirtschaft zu preisen: »In einigen Jahrzehnten müssen wir neun Milliarden Menschen ernähren. Das wird ohne unsere Technologie nicht möglich sein. 2015 wollen wir Mais auf den Markt bringen, der in Dürre gedeiht; ebenso arbeiten wir an Reis und Soja, die fast ohne Wasser auskommen.« Den nordamerikanischen Markt beherrscht Monsanto bereits, nun nimmt die Firma den Rest der Welt ins Visier. In China, Indien, Brasilien, Argentinien, Südafrika wächst Monsantos Marktanteil rasant. »Wir verhandeln mit jeder Regierung der Welt, damit alle Menschen von unseren Produkten profitieren können«, sagt Grant. Nur die EU erlaubt bislang keinen Import von GMOs. Grant bleibt gelassen: »Europa braucht noch ein wenig Zeit.« 1981 lief das Geschäft des Chemiekonzerns Monsanto schlecht, und in der Zentrale in St. Louis, Missouri diskutierten Vorstände und Manager, was zu tun sei. Monsanto war ein führender Hersteller von giftigen Stoffen wie PCB, Agent Orange, Dioxin oder DDT, was der Firma zwei existenzbedrohende Probleme bescherte: Viele seiner Produkte wurden verboten. Plötzlich verlangten Regierungen auf Druck der neuen Umweltschutzbewegung, die ökologischen Katastrophen zu beheben, die Monsantos Fabriken angerichtet hatten.
Dieser Altlasten entledigten sich die Vordenker in Missouri kurzerhand, indem man sie in die neu gegründete Tochtergesellschaft Solutia auslagerte. Bis heute streitet deren Rechtsabteilung mit enormem Aufwand jede Verantwortung ab. Nach einer komplizierten Folge von Firmenaufkäufen ging 2002 ein unbelastetes Unternehmen mit dem Namen Monsanto aus dem Konzern hervor. In der düsteren Vergangenheit des Konzerns entdeckten die Manager ihren Ausweg in eine profitable Zukunft. Monsantos Bestseller war seit den 80er-Jahren ein Herbizid namens Roundup, das schon 1973 auf den Markt gebracht wurde. Zwar liefen die Patente aus und billige Nachahmer schmälerten die Profite, doch – so war der Plan – wenn Monsanto Pflanzen verkaufen könnte, die immun wären gegen die harschen Nebenwirkungen des aggressiven Herbizids, könnte die Firma eine Menge Geld verdienen. Heute beherrscht Saatgut der Marke Roundup-Ready den Weltmarkt. 1983 gelang Monsanto der entscheidende Durchbruch, als seine Wissenschaftler die erste genetisch manipulierte Pflanze herstellten.
Mehr als zehn Jahre bevor geklärt war, ob gentechnisches Saatgut jemals verkauft werden darf, investierte das Unternehmen massiv in diese Technologie und erarbeitete sich einen uneinholbaren Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Vermutlich spekulierten die Manager auf ihre perfekten Verbindungen zu den Gesetzgebern. Laut der Organisation Food First besetzten mindestens 22 ehemalige Mitarbeiter Schlüsselpositionen in den Ministerien. Ein ehemaliger Monsanto-Anwalt gehört gar dem Obersten Gerichtshof an – Clarence Thomas entschied bereits Fälle zugunsten von Monsanto. S chließlich kam dem Konzern der Zufall zu Hilfe. Um Alaskas Küste vom Öl der Exxon Valdez zu befreien, hatte General Electric eine Bakterie entwickelt und erstmals in der Geschichte der Menschheit ein Patent für einen lebenden Organismus erstritten. Monsanto konnte nun im großen Stil Urheberrechte auf seine genetisch veränderten Organismen anmelden – inzwischen besitzt das Unternehmen etwa 700 Patente und nimmt alleine durch die Lizenzgebühren Milliarden Dollar ein.
Der Farmer Bob Duval erinnert sich noch genau an den Tag im Jahre 1997, als ein Vertreter an seiner Tür klingelte und ihm ein neues Saatgut namens RRC2 anbot. »Die Argumente überzeugten mich: Weil die Pflanzen resistent gegen das Herbizid sind, konnte ich viel Zeit und Geld sparen. Ich unterschrieb ohne zu ahnen, dass ich einen Pakt mit dem Teufel schloss.« Damals lockten Monsantos Vertreter mit einem Kampfpreis, denn ihr Ziel bestand darin, dass der Farmer den sogenannten Technologie- Vertrag unterschrieb. Die zwei entscheidenden Klauseln: Der Farmer darf nicht länger einen Teil seiner Ernte behalten, um daraus Saatgut fürs nächste Jahr zu gewinnen, sondern erwirbt nach jeder Ernte neues Saatgut. Falls er sich für ein Produkt der Konkurrenz entscheidet, muss er sicherstellen, dass sich in seinem Grund kein einziges Samenkorn mit Monsantos Technologie befindet. Was absolut unmöglich ist. Bill Freese, Berater des »Center for Food Safety« hilft Bauern, die durch Monsantos Knebelverträge in Not geraten. Er sagt: »10.000 Jahre lang besaßen Farmer das Recht, über ihr Saatgut entscheiden zu können.
Monsanto hat diese Tradition beendet.« Selbst die wenigen Farmer, die nie einen Vertrag unterschrieben haben, sind inzwischen gezwungen, Monsantos Technologie zu nutzen. Der Konzern hat seit 1998 Hunderte Saatguthersteller aufgekauft und nur ein Konkurrent überlebte, der Chemiegigant DuPont. Doch selbst DuPont muss auf Monsantos Roundup-Ready- Technologie zurückgreifen und überweist für die Lizenz Gebühren. Inzwischen gibt es in Amerika nur noch zwei Sorten von Farmern. Die Mehrheit, die schweigt, und Ärger vermeiden will. Schließlich reicht ein anonymer Anruf bei der kostenlosen Hotline und Monsanto schickt die Detektive los. Auf der anderen Seite einige 100 Rebellen, die den Konzern offen kritisieren. Leute wie Bob Duval und Moe Parr. Moe verlor Freunde und sein Einkommen, auch Duval sprach seit Jahren mit keinem seiner Nachbarn. Weil seine GMO-Samen auf deren Felder wehten und Monsantos Detektive aktiv wurden? Oder weil sie Angst davor haben, sich mit einem Monsanto- Kritiker gemein zu machen? Die beiden Männer stehen auf dem Feldweg, der endlos dem Horizont entgegenführt. Glauben sie, Monsantos Macht brechen zu können? Und warum wenden sich die Farmer nicht gemeinsam an Politiker, damit diese sie aus dem Dilemma befreien? Da gäbe es ein kleines Problem, lacht Parr. Der Gouverneur von Indiana, beide Senatoren des Staates und die Kongressabgeordneten der umliegenden Wahlbezirke finanzieren ihre Wahlkämpfe u. a. mit Spenden von Monsanto. In anderen Bundesstaaten sieht es ähnlich aus. Selbst die Universität von Indiana, die die Langzeitfolgen der GMOs erforscht, wird von Monsanto gesponsert. »Hätten Sie an unserer Stelle Hoffnung?«, fragt Parr. Und zieht sich die Mütze noch einmal zurecht. Diesmal um seine Tränen zu verbergen.
Lars Jensen (35) lebt und schreibt in den USA. Auch wenn es dort nicht ganz leichtfällt, konnte er bisher den Konsum von genmanipulierten Lebensmitteln vermeiden.