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Lässt uns alt aussehen

Die Aufregung um FaceApp und Datenschutz war groß – zu groß? Unser Autor hat da noch ein paar Fragen

  • 4 Min.
Faceapp

Was soll die Aufregung um FaceApp? Ist doch total lustig, sich selbst in alt zu sehen.

Klar, sich selbst im anderen Geschlecht oder um Jahre gealtert zu sehen macht Spaß. Das ermöglicht die App mithilfe von künstlicher Intelligenz und Abertausenden Fotos, mit denen die App trainiert hat. Die verblüffend realistischen Ergebnisse werden millionenfach geteilt. Das Problem: Die Bilder werden nicht lokal auf dem Handy bearbeitet, sondern zunächst in eine Cloud geladen. Die Nutzungsbedingungen bieten Raum für verschiedenste Weiterverwendungen der Bilder; wer die App nutzt, genehmigt nämlich eine

„unwiderrufliche, weltweite, übertragbare Lizenz zur Nutzung, Reproduktion, Änderung, Anpassung, Veröffentlichung, Verbreitung, öffentlichen Aufführung und Anzeige Ihrer Benutzerinhalte, (…) ohne dass Sie dafür eine Entschädigung erhalten.“

Was die AGB-Lyrik bedeutet: Nach dem Upload hat man so gut wie kein Mitspracherecht mehr. Auch wenn das Foto vom eigenen Handy gelöscht wird, darf der Anbieter es theoretisch nutzen, um damit Geld zu machen. Entwickelt wurde die App von Wireless Lab aus Sankt Petersburg. Laut deren Chef Yaroslav Goncharov werden die meisten Bilder nach 48 Stunden automatisch von den Servern gelöscht. Wie viele die „meisten“ sind? Und warum nicht alle gelöscht werden? Das wissen wir nicht.

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Viel Lärm um nichts? Millionen von Usern luden wie unser Autor ihre Bilder unbesorgt bei FaceApp hoch …

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… bis sich irgendwer die Zeit nahm, mal in die AGB zu gucken

Ist das wirklich so schlimm? Instagram und Co. sind doch nicht viel besser.

Stimmt. Nutzungsbedingungen dieser Art sind gang und gäbe, insbesondere bei sozialen Netzwerken. Instagram hat in seinen AGB sogar fast denselben Satz, der FaceApp so zum Verhängnis geworden ist. Darüber regen sich weitaus weniger Menschen auf.

Warum dann bei FaceApp?

Vor allem in den USA war der Wirbel groß, sodass ein Senator sogar das FBI um Ermittlung bat. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass FaceApp einem russischen Konzern gehört. Da klingeln bei vielen schnell die Alarmglocken: Gerade nach den vermeintlich manipulierten Präsidentschaftswahlen sind Daten, Internet und Russland für viele Amerikaner*innen eine suspekte Mischung. Die anfängliche Befürchtung, dass die Bilder nach dem Hochladen in die Cloud direkt auf russischen Servern landen, wurde mittlerweile durch Recherchen des Magazins „Forbes“ aufgelöst; sie werden ihnen zufolge auf US-amerikanischen Servern gespeichert.

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DSGV?&%!Z-was? Klingt kompliziert, heißt aber vor allem: Die Anbieter müssen ihre Nutzer genau informieren, was sie mit den Daten machen

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Ob die Unternehmen sich bis in jedes Detail daran halten?

Dürfen Konzerne mit meinen Daten machen, was sie wollen?

Nein, zumindest im Europäischen Wirtschaftsraum nicht. Seit 2018 gilt die Datenschutzgrundverordnung. Unternehmen müssen ganz genau darüber informieren, welche Daten sie zu welchem Zweck erheben, verarbeiten und speichern – und die Nutzer müssen dem zustimmen. Die Nutzungsbedingungen von FaceApp, die an die von Instagram angelehnt sind, informieren uns zwar darüber – machen das aber unzureichend.

„Die App ist nicht klar DSGVO-inkonform, hat aber bei der Verarbeitung große Schwächen“, schreibt die Stiftung Datenschutz in einer Stellungnahme an fluter.de. Problematisch sei etwa, dass FaceApp die Daten auch für kommerzielle Zwecke nutzen darf. In welchem Umfang das geschieht, sei für die Nutzer*innen unklar. Auch dass sich der Dienst vorbehält, bereits entfernte Benutzerinhalte zu speichern, sehen die Experten kritisch. „Die FaceApp-Interessierten müssen sich fragen, ob sie einer solchen Anwendung wirklich vertrauen können“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Aber mal ganz im Ernst: Welches Unternehmen hat überhaupt Interesse an meinen Selfies?

Die Aufregung um FaceApp war auch deshalb so groß, weil biometrische Fotos wertvolle Rohstoffe für Algorithmen sind. Unternehmen, Forschung oder Militär: Sie alle basteln an zuverlässigen selbstlernenden Algorithmen, die Gesichter erkennen können und brauchen Trainingsdaten. Fotos und Videos aus öffentlich zugänglichen Seiten zu verwenden, ist in der Forschung an künstlichen Intelligenzen üblich.

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Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist nicht nur ein chinesischer Traum: In einem Berliner Bahnhof wird sie derzeit getestet

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Endlich Hipster-Bart: Aber lohnt sich der Tausch „Daten gegen Vollbart“ wirklich?

Über Suchmaschinen und Seiten wie Flickr werden Unmengen an Fotos heruntergeladen, wobei die Creative-Common-Lizenz als Rechtsgrundlage herhält: Sie gestattet in bestimmten Versionen die Verwendung für akademische Zwecke. Wer die Datenbank jedoch wofür verwendet, lässt sich nicht so einfach kontrollieren – wie im Fall der MS-Celeb-Datenbank von Microsoft. Die Fotosammlung umfasst zehn Millionen Bilder von rund 100.000 Personen und wurde 2016 veröffentlicht. Sie sollte die bislang größte ihrer Art sein. MS-Celeb stand unter der Prämisse, ausschließlich Bilder von Personen des öffentlichen Lebens zu verwenden, die unter Creative-Commons-Lizenz frei verfügbar waren.

Warum ist das problematisch?

Keiner der Betroffenen hatte je eingewilligt, dass sein Gesicht als Trainingsdatensatz benutzt wird.Nach heftiger Kritik wurde die MS-Celeb dieses Jahr gelöscht. Sie war jedoch lange genug online, dass diverse Unternehmen sie zu Forschungszwecken benutzen konnten. Für Aufregung sorgte vor allem der Zugriff zweier chinesischer Konzerne, die Medienberichten zufolge Technologien zur Überwachung und Verfolgung der uigurischen Minderheit lieferten.

Auch in Deutschland wird bereits Gesichtserkennung getestet: Am Berliner Bahnhof Südkreuz lief bis Mitte 2018 ein Jahr lang eine Testsoftware, die 300 freiwillige Teilnehmer wiedererkennen sollte. Trotz großer Kritik von Bürgerrechtlerinnen und Datenschützern, die insbesondere auf falsche Erkennungen verwiesen, wird das Projekt seit Juni fortgeführt. Die Algorithmen sollen zum Beispiel Personen zählen, herrenlose Koffer oder liegende Personen erkennen. Entziehen kann man sich diesen Tests nur auf eine Weise: Indem man den Bahnhof gar nicht erst betritt.

Du willst wissen, wie du bei Facebook die Gesichtserkennung ausschaltest, oder einfach erklärt bekommen, wie du deine Mails verschlüsselst? Hier stehen die zehn fluter.de-Datenschutz-Tipps.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.