Der georgische Fotograf David Meskhi hat vor zehn Jahren angefangen, die Skateszene in Tiflis zu dokumentieren. Daraus ist der Dokumentarfilm „When the earth seems to be light“ entstanden. Die Doku läuft aktuell auf diversen Festivals. Sie porträtiert ein junges Georgien, das zwischen westlichem Lebensstil, dem langen Schatten der sowjetischen Vergangenheit und den konservativen Vorstellungen der orthodoxen Kirche seinen Raum sucht. David Meskhi lebt heute in Berlin.

fluter.de: Wie kommt man eigentlich auf die Idee, ausgerechnet in Georgien die Skater zu fotografieren? Gibt es denn da überhaupt welche?

David Meskhi: Ich arbeitete vor zehn Jahren für ein Magazin und habe ein Trainingszentrum für Bodenturner fotografiert. Als ich auf der Straße zwei Skater entdeckte, merkte ich, dass die eine ähnliche Akrobatik haben wie die Turner. Das wollte ich fotografieren. Aber es war schwer, genug Skater für eine Fotostrecke zu finden. Damals gab es nämlich genau zwei in Tiflis. Ich fragte einen Freund, der in einer Punkband spielte, ob er nicht mitskaten könnte. Man sah auf den ersten Bildern wohl mehr Skater, als es damals in ganz Georgien gab. 

Die müssen ein ziemlich außergewöhnlicher Anblick auf den Straßen von Tiflis gewesen sein. Wurden es dann mehr?  

Ja. Wir haben viel Feedback auf die Fotos bekommen und bald vier weitere Skater kennengelernt. Mit denen haben wir dann Orte gesucht, die ein bisschen besser aussehen, und mehr Bilder gemacht. Die Skater haben die Fotos dann auf sozialen Netzwerken geteilt. So entstand irgendwann eine kleine Subkultur. Einige wollten Skater werden, aber mehr noch wollten Fotos von Skatern machen. 

Die Fotos sind in den letzten zehn Jahren entstanden. Ihr Look sieht aber sehr nach 70er-Jahren aus. Das weiche Gegenlicht könnte auch in Kalifornien sein, wo das Skateboarden entstand. War das eine bewusste Entscheidung?

Nein, Zufall. Damals habe ich noch analog fotografiert und in Georgien waren die Filme, die man kaufen konnte, halt schon oft abgelaufen. Deshalb hatten die diesen speziellen Look. Aber mir gefiel das. Ich mag diese frühe amerikanische Skateszene. Die hatte etwas Umstürzlerisches, das war ein soziales Statement. Und ich fand interessant, dass das auch in unserem Land losgeht. Diesen Moment wollte ich festhalten. Wie gut die ihre Tricks können, hat mich weniger interessiert.  

Die Spots, an denen die Kids skaten, sehen aus wie Ruinen der sozialistischen Vergangenheit. 

Die meisten sind verlassene Orte. Manche haben wir zusammen gesucht, an manche habe ich sie gebracht, weil man auf öffentlichen Plätzen nicht gut fotografieren oder filmen kann. Da kommt immer wer und mault die Skater an. Außerdem wollte ich Orte, die den Zustand unseres Landes repräsentieren. Viele Aufnahmen sind in einem Reitstadion entstanden, das nie zu Ende gebaut wurde, weil das Geld ausging. Genau so fühlt sich Georgien heute an. 

In der Doku, die aus der Fotostrecke entstand, beschwert sich ein Skater, dass er immer Ärger wegen seiner langen Haare hat. Wie schwer ist es denn, in Georgien ein Außenseiter zu sein? 


 

Vor über 25 Jahren zerbrach die Sowjetunion. Zu den ersten unabhängigen Staaten zählte Georgien, das bald von der EU anerkannt wurde. Wie in vielen ehemaligen Teilstaaten der Sowjetunion etablierte sich bald ein autoritäres System, das die Rosenrevolution 2003 schließlich beendete. 2008 kam es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Russland in den Provinzen Abchasien und Südossetien. Der Konflikt ist bis heute ungelöst. Seit Sommer 2016 hat Georgien ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Das Europäische Parlament will die derzeit noch bestehende Visumspflicht für Georgier, die in die EU einreisen wollen, bald aufheben

Ich habe in den 90er-Jahren in einer Post-Punk-Band gespielt und trug Ohrringe. Auf der Straße haben immer wieder Leute an denen gezogen. Diese Kids sind interessant, weil die immer die kalifornischen Skatevideos schauen, andererseits in diesem orthodox dominierten Land leben. Bilder aus Georgien, das sind der Staat, die Kirche, die Berge. Und die Kriege der letzten Jahrzehnte. In dieser Bilderwelt die Skater zu zeigen war mir wichtig. Es ist ja auch ein junges Land. Die anderen jungen Leute sollen sehen, dass etwas passiert. 

Im Film werden immer wieder Fernsehausschnitte eingeblendet. Einmal sieht man wie ein wütender Mob, angeführt von orthodoxen Geistlichen, eine kleine LGTBQ-Parade angreift und verprügelt. Ist die Kirche wirklich so mächtig? 

Früher kontrollierte der KGB (der ehemalige Geheimdienst der Sowjetunion, Anm.) das Leben, heute ist es die Kirche. Als ich in der Filmschule war, konnte eine Unterrichtsstunde über die Nouvelle Vague damit beginnen, dass ein Priester reinkam und wir uns erstmal bekreuzigen und beten mussten. Seither hat sich nicht viel getan. Es gibt immer noch Leute, die bereit sind, jemanden um die Ecke zu bringen, weil er queer ist. Die Fernsehszenen, die wir in den Film geschnitten haben, stammen alle aus der Zeit, als wir gedreht haben. Wir haben die nicht über Jahre gesammelt. 

In Russland gibt es eine starke antiwestliche Strömung. Ist das in Georgien ähnlich?

Nein, Georgien war immer schon stärker Europa zugewandt als Russland. Die denken immer noch, der Westen sei der Feind. Was den Jungen in Georgien das Leben schwer macht, ist die orthodoxe Tradition. Die Mehrheit der Menschen glaubt der Kirche auch noch. Trotzdem nähern wir uns dem Westen an. Mit sehr kleinen Schritten. 

Was dachten die Skater, als sie den Film gesehen haben? 

Die waren schockiert. Die dachten, wir würden einen coolen Skatefilm drehen. Aber als der Film erfolgreich auf Festivals lief und auch ihre Eltern ihn mochten, da entstand ein Dialog zwischen den Generationen. Jetzt sind sie Celebrities der Subkultur. Das finden die natürlich gut. 

Was machen die Skater heute? Im Film war es ja völlig unklar, wie es mit ihnen im Leben weitergehen würde. 

Fast alle sind heute an der Uni, ein paar an der Kunsthochschule. Einer ist Koch, ein anderer Kameramann, einer studiert Film in Marseille. Der mit den Tattoos ist ein Multitalent. Er macht Hip-Hop, Mode, Kunst. Geschäftsmann wurde keiner. Und der Franzose, der mitskatet und auch schon mal in einem Film von Larry Clark war, der ist gerade in einer Kampagne für Saint Laurent zu sehen.

„When the earth seems to be light". R: Salome Matschaidse, Tamuna Karumidze, David Meskhi, Deutschland, Georgien, 2015, 75 Min.