Rückkehr des Mehrklassenwahlrechts

Kurz sah es im Verlauf dieser Heftproduktion so aus, als überraschte uns eine revolutionäre Demo- kratiediskussion, die wir auf keinen Fall verpas- sen durften. In einem Absatz eines „FAZ“-Artikels über das ominöse Aspen Ideas Festival, bei dem sich Reiche und Mächtige treffen und mehr oder weniger verrückte Ideen austauschen, stand nämlich, dass der berühmte Finanzinvestor Nicolas Berggruen seit Neuestem die Idee propagiere, man könne es mal wie- der mit einem Mehrklassenwahlrecht probieren. Das Stimmgewicht der einzelnen Bürger solle in Zukunft nicht mehr gleich sein, sondern nach intellektu- eller Kapazität gestaffelt werden. Zitternd be- reiteten wir uns darauf vor, dass diese Idee aus Aspen über den Ozean heranbranden und uns mit einer fundamentalen Diskussion erschüttern würde. Muss jetzt bald jeder vor einer Wahl einen Intelligenz- test machen? Bekommt eine 15-jährige Hochbegabte
in Zukunft mehr Macht als zehn Normalschlaue? Wir warteten und warteten, aber die Idee tauchte bis auf diesen einen Absatz in der „FAZ“ nie wieder ir- gendwo auf.

Wahlkreiszuschnitt

Eigentlich wollten wir euch in diesem Heft noch erzählen, wie Wahlkreise entstehen, doch dann wurde der Platz ein wenig knapp, und das Thema war auch ein bisschen langweilig. Deswegen flog es raus. Die Anekdote über einen gewissen Elbridge Gerry, der
im 19. Jahrhundert mal Gouverneur von Massachusetts war, können wir vielleicht trotzdem noch loswer- den. Der schnitt nämlich einmal seinen Wahlkreis so zu, wie es ihm passte. Das heißt, dass alle Leute, die sowieso nicht für ihn gestimmt hätten, einem anderen Bezirk zugeordnet wurden. Im Fall von Gerry hatte der Wahlkreis am Ende nichts mehr mit einem Kreis zu tun, sondern eher die Form eines Salaman- ders angenommen, den man im Nachhinein liebevoll „Gerrymander“ nannte. Wenn man sich das Gebilde (oben auf der Seite seht ihr es) so anschaut, erinnert es allerdings eher an einen Drachen.

Ein Taschenaquarium für jeden Wähler!

Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hašek hat mit dem „braven Soldaten Schwejk“ nicht nur ein tolles Buch über einen schelmischen Befehlsver- weigerer geschrieben, sondern auch im echten Le- ben anarchistisch gewirkt. So war er Mitbegründer einer Satire-Partei, die schon 1911 den Wahlkampf der anderen Parteien auf die Schippe nahm. Im Pra- ger Lokal „Kuhstall" forderte er unter anderem die Wiedereinführung der Sklaverei, die Verstaatli- chung der Hausmeister und den staatlich verordneten Alkoholismus. Jedem Wähler versprach er zudem ein Taschenaquarium. Der Name des amüsanten Vereins:

„Partei des maßvollen Fortschritts in den Grenzen der Gesetze". Klingt heute eigentlich nicht nach Satire, sondern nach Mainstream.