Der Beruf des Journalisten steht bei Befragungen auf der Beliebtheitsskala ganz unten, irgendwo zwischen Zuhälter und Gerichtsvollzieher. Vielleicht ist das der Grund, warum sich viele Journalisten so gerne von Unternehmen einladen lassen. Denn von ihnen werden sie behandelt wie Könige.
Zum Beispiel beim Creme-Spezialisten Beiersdorf. Als der Hamburger Kosmetikkonzern seine Männerpflege-Serie »Q10« von Nivea präsentierte, lud er eine Gruppe von Journalisten nach Italien ein – vor allem Redakteure von Männer- und Fitnessmagazinen, sogar einer vom »Kicker« war anwesend. Im Süden konnten die Medienvertreter dann ein ganzes Wochenende lang die Wirkung von Körperlotionen und Handcremes testen, aber auch die von delikater Pasta im Feinkostrestaurant. Am Sonntag ging es zum Formel-1-Rennen nach Monza, am nächsten Tag nach Hause. Man muss wohl nicht erwähnen, dass die Berichterstattung über die neuen Cremes danach wie geflutscht lief.
Manche Journalisten mögen über karge Zeilenlöhne und unterbezahlte Jobs klagen – andererseits sichern sie sich gern ein paar Vorteile: Das Portal www.pressekonditionen.de führt alle Firmen auf, die Journalisten Preisnachlässe einräumen – rund 1.300 Presserabatte kommen so zusammen. Ein Auto gibt es meist für 15 Prozent weniger, gegen Vorlage des Presseausweises. Kann jemand, der so gut von einem Unternehmen behandelt wird, noch kritisch sein? Klar, kann er. Allerdings gibt es immer mehr Beispiele, wo sich die gute Pflege der vierten Gewalt für die Unternehmen auszahlt.
So lässt BMW regelmäßig Journalisten auf Firmenkosten nach Italien fliegen, nicht nur Autospezialisten, sondern auch Autoren und Redakteure aus den Kulturressorts von Qualitätszeitungen wie der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und der »taz«. Gemeinsam mit den Designern des Hauses sprechen sie dann über das Aussehen von Automobilen im Allgemeinen und über das der BMWs im Besonderen. Auf dem Programm steht schon mal der Besuch eines Oldtimertreffens direkt am Comer See, wo zum polierten Blech leckere Häppchen gereicht werden. Noch ein paar Runden im Wasserflugzeug – dann dürfen alle wieder nach Hause und überlegen, wie sie die gewonnenen Eindrücke journalistisch verarbeiten. Selbst in der alternativen »taz«, deren Leser am liebsten Fahrrad fahren, fand sich anschließend ein Bericht über die tolle Oldtimershow.
Noch besser mit der Presse meinte es im vergangenen Jahr VW und lud eine Gruppe von Journalisten zur Olympiade nach Peking ein, samt Stadtführungen und Besuch der Eröffnungsgala der Olympiade. Dummerweise sah das zuständige Finanzamt im Anschluss an den schönen Trip die Grenze steuerfreier Zuwendung überschritten und bat die Journalisten zur Kasse. Die fällige Steuer wurde schließlich von VW übernommen, wo man sich wenig einsichtig, sondern beleidigt gab. Zur Fußball-WM in Südafrika werde man nun gar nichts mehr machen, grollte eine Führungskraft.
Dass Unternehmen Journalisten über die eigene Arbeit informieren, ist selbstverständlich. Die Journalisten müssen schließlich wissen, an welchen Produkten die Konzerne arbeiten und wie es um die Geschäftsentwicklung steht, um darüber berichten zu können. Die PR-Experten (PR steht für Public Relations, also »öffentliche Beziehungen«) sind darauf spezialisiert, die Kommunikation zwischen Unternehmen und Journalisten so effektiv wie möglich zu organisieren. Doch mittlerweile bereiten sie die Informationen nicht nur so auf, dass Journalisten sie verarbeiten können – lieber noch kümmern sie sich darum, es den Journalisten so angenehm wie möglich zu machen. Denn dann, so das Kalkül der PR-Agenturen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Berichte nicht allzu kritisch ausfallen. Wer möchte schon schlecht über jemanden reden, von dem er ein Wochenende lang so fürstlich bewirtet wurde. Für so manchen Journalisten sind solche Ausflüge ein paar Tage willkommener Urlaub. Der Artikel ist dafür gewissermaßen die Bezahlung.
Wenn die Schiedsrichter bestochen sind, bleiben die Zuschauer zu Hause
Doch damit höhlt die PR den Journalismus aus: Denn immer öfter berichten Journalisten nicht mehr das, was sie nach eigener Recherche für das Richtige und Wahre halten. Sondern das, was PR-Agenturen ihnen nach den Wünschen ihrer Auftraggeber zurechtgelegt haben. So steht auf dem Spiel, was zu den wichtigsten Werten des Journalismus gehört: Glaubwürdigkeit, Neutralität, Unabhängigkeit. Und damit letztlich die Zukunft der Medien überhaupt. Wenn sich die Mediennutzer nicht mehr darauf verlassen können, dass Journalisten in ihrem Interesse arbeiten und nicht im Interesse derer, die für eine Veröffentlichung viel Geld investiert haben, entsteht ein Misstrauen, das den Medien die Legitimation entzieht. Es ist wie im Sport: Wenn die Schiedsrichter bestochen sind,bleiben die Zuschauer irgendwann zu Hause.
Dieses Misstrauen hat sich auf den Rängen längst breitgemacht: Um zu überprüfen, wie es um das Ansehen von Journalisten steht, hat der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach über tausend Deutsche über 18 befragt. Das ernüchternde Fazit seiner Studie hat er im Buch »Entzauberung eines Berufs – Was die Deutschen vom Journalismus erwarten und wie sie enttäuscht werden« veröffentlicht: Nur 35 Prozent gaben an, den Journalisten zu vertrauen, besonders ausgeprägt war die Skepsis bei den 18- bis 24-J.hrigen.
Dieses Ergebnis ist nicht allein auf die Macht der PR zurückzuführen, aber auch. Die Untersuchung zeigt, dass viele Deutsche die Journalisten für käuflich halten und davon ausgehen, dass sich die Interessen von Anzeigenkunden auf die redaktionelle Berichterstattung auswirken. Dabei gehört die Verquickung von Journalismus und PR in manchen Redaktionen gewissermaßen zum Geschäftsprinzip. Vor allem bei Männer-, Frauen- oder Modemagazinen, bei denen ganze Heftteile aus nichts anderem bestehen als aus Tipps für Düfte, Kosmetik, Autos und Bekleidung. Gern lassen Modefirmen durchblicken, dass sie nur eine Anzeige schalten, wenn auch im Produktteil positiv über sie berichtet wird. In wirtschaftlichen Krisenzeiten, wo bei vielen Magazinen die Anzeigen ausbleiben, ist das ein gutes Druckmittel.
Doch nicht nur Lifestyle-Magazine sind Überbringer platter PR-Botschaften – selbst in seriösen Tageszeitungen findet sich im redaktionellen Teil oft genug ungefilterte Werbung. Vor allem der Reiseteil ist bei den PR-Agenturen beliebt, weil sich die Tageszeitungen die ganzen Reisen zu den Traumstränden der Welt gar nicht leisten können, ihre Leser aber auch nicht ständig mit Geschichten über Langeooge langweilen wollen. Daher wird so gut wie nie kritisch über ferne Ziele berichtet, schließlich sind die meisten Reporter dankbar, dass sie kostenlos in einem Beach-Bungalow für 1.000 Dollar die Nacht schlafen konnten.
Diese Entwicklung hat aber nicht nur mit der Verführbarkeit von Journalisten zu tun. Sie ist auch eng damit verbunden, dass die deutschen Medienhäuser seit Jahren in schweren Problemen stecken, die durch die derzeitige Wirtschaftskrise noch verstärkt wurden. Die Zeitungen verlieren Leser ans Internet, die Anzeigenerlöse sinken.
Richard Gaul beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Gaul kennt beide Seiten, den Journalismus und die PR-Branche. 15 Jahre lang arbeitete der studierte Volkswirt als Wirtschaftsredakteur, bei der «Stuttgarter Zeitung», beim »Manager Magazin« und bei der »Zeit«. Dann wechselte er zu BMW und war dort nach kurzer Zeit für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Automobilkonzerns verantwortlich. Vor zwei Jahren gründete er seine eigene PR-Firma, seit vergangenem Jahr ist er außerdem der Vorsitzende des deutschen Rats für Public Relations. Das Gremium existiert bereits seit 22 Jahren und hat die Aufgabe, die PR-Agenturen immer wieder an die Grenzen bei der eigenen Arbeit zu erinnern. Doch das wirkt heute mitunter, als versuche man Rasern bei voller Fahrt ein Schreiben unter den Scheibenwischer zu klemmen – mit der Bitte um maßvolles Tempo. »Nur wenn es eine klare Trennung gibt zwischen Journalismus und PR, können beide Bereiche ordentlich arbeiten«, sagt Gaul und räumt ein, dass davon beide Seiten im Moment weit entfernt seien.
Für den 62-Jährigen sind drei Trends dafür verantwortlich, dass PR und Journalismus immer mehr ineinander verschwimmen. »Zum einen gibt es eine ungeheure Beschleunigung: Journalisten sind durch die Entwicklung des Internets gezwungen,Informationen immer schneller in Umlauf zu bringen«, sagt Gaul. Zum Zweiten hätten die wirtschaftlichen Probleme der Medienunternehmen zu massiven Kostensenkungen auchbeim eigenen Personal geführt. »Zum dritten hat sich die PR-Branche in den letzten Jahren gleichzeitig immer weiter professionalisiert. « Alle drei Entwicklungen zusammengenommen hätten eine fatale Konsequenz: »Wenn sich auf der einen Seite immer mehr professionelle Leute befinden und auf der anderen Seite die Kollegen in denMedienhäusern immer weniger werden und unter Zeitdruck stehen, sind sie geneigt, Inhalte leichtfertig zu übernehmen.«
Allein an der Entwicklung der Mitarbeiterzahlen lässt sich die Machtverschiebung ablesen, die in den letzten Jahren stattgefunden hat: Nach Angaben der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) e.V., des .ltesten PR-Berufsverbandes in Deutschland, arbeiteten vor 20 Jahren 30.000 Menschen in der PR, heute sind es etwa 50.000. Gleichzeitig gibt es etwa 45.000 bis 50.000 hauptberufliche Journalisten in Deutschland. Das bedeutet: Für fast jeden Journalisten gibt es im Schnitt jemanden in der PR, der ihn mit vorgefertigten Botschaften beliefert.
Neben der klassischen PR-Arbeit, bei der Journalisten mit Informationsmaterial versorgt werden – und gelegentlich mit einer schönen Reise, investieren viele Unternehmen auch viel Geld darin, die öffentliche Meinung nach eigenen Interessen zu steuern. Sie gründen Institute, deren Forschungsergebnisse in ihrem geschäftlichen Interesse liegen, sie lassen Meinungsumfragen veröffentlichen, die Ergebnisse gemäß ihrer eigenen Meinung produzieren, oder bezahlen Experten, die all diese Ergebnisse in den Medien präsentieren.
Sie füttern Blogs und Foren mit manipulierten Kommentaren
Ende Mai zum Beispiel wurde bekannt, dass die Deutsche Bahn im Jahr 2007 1,3 Millionen Euro dafür ausgab, in der Öffentlichkeit ein zur Geschäftspolitik passendes Meinungsklima zu verbreiten: für den Börsengang, gegen den Streik der Lokführer. Sie hatte PR-Experten damit beauftragt, Leserbriefe und Einträge in Internet-Foren zu schreiben, an die Medien wurden Meinungsumfragen und vorgefertigte Beiträge verschickt. Die so vermittelten Botschaften lauteten: Die Deutschen haben mehrheitlich genug vom Streik der Bahnführer. Und: Vom Börsengang der Bahn erhoffen sie sich einen besseren Service. Viele Medien veröffentlichten dieses Material, ohne kenntlich zu machen, aus welchen Quellen sie stammten. »Wenn ein Medium eine vorgefertigte Botschaft schnell, leichtfertig und ungeprüft veröffentlicht, dann liegt das in der Verantwortung der Medien, nicht in der der PR- Agentur«, urteilt Richard Gaul. Es sind die Journalisten selbst, die ihre Unabhängigkeit gegen die Macht der PR verteidigen müssen.
Aber selbst wenn die Journalisten irgendwann zu sich kommen, wird die PR-Branche neue Felder entdeckt haben, wie sie die Konsumenten beeinflussen kann. Denn noch einfacher als Journalisten zu bestechen, ist es, sich selbst in Foren und Blogs einzuschalten und dort Stimmung zu machen.
So sind viele der Foren zum Thema Medizin mittlerweile von Pharma-Vertretern unterwandert, die dort die vom Konzern gewünschte Meinung verbreiten, ohne sich als PR-Agenten zu erkennen zu geben. Die Firma Arvato bietet das sogenannte »social media monitoring« an: Überall im Internet wird geschaut, welches Image ein Unternehmen hat – anschließend wird es durch gezielte Einträge in sozialen Netzwerken wie StudiVZ oder werkenntwen.de und Blogs oder Wiki-Portalen positiv verändert. Arvato gehört im Übrigen zu Deutschlands größtem Medienkonzern »Bertelsmann«, der über seinen Verlag »Gruner + Jahr« Magazine wie »Neon«, »GEO« oder den »Stern« herausgibt. Man kann also beides: Am Journalismus verdienen und gleichzeitig mit seiner Zerstörung Gewinne machen.
Kai Schächtele (35) – ist freier Journalist. Im letzten fluter berichtete er über die Unterwäsche-
Produktion bei Bruno Banani