El Patrón weint. Es ist kein lautes Heulen, kein Aufschrei, keine große Szene. Im Gegenteil: Hier sitzt ein gedemütigter Mann, ein im Innersten verletztes Häuflein Elend. Einer, dem bis dahin alles gelungen ist, gar mehr, als er sich jemals erträumt hatte. Und der eben gerade das erste Mal an seine Grenzen gestoßen ist.
Der Patron, der hier weint, das ist Pablo Escobar, jener ebenso geschickte wie grausame Drogenbaron, der Kolumbien ab Mitte der 1970er-Jahre bis zu seinem Tod 1993 de facto beherrschte wie ein Gutsherr. Die US-amerikanische Serie „Narcos“ erzählt in zehn Folgen seinen sagenhaften und bisweilen unwirklichen Aufstieg vom erfolgreichen – aber weltpolitisch unwichtigen – Elektronikschmuggler bis in die Top Ten der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt.
Der brasilianische Kinostar Wagner Moura, der schon im Favela-Krimi „Tropa de Elite“ für „Narcos“-Co-Regisseur José Padilha vor der Kamera stand, ist zur Vorbereitung der Serie eigens in Escobars Heimatstadt Medellín gezogen. Dort hat er sich über zwanzig Kilogramm Bauch angefressen und Spanisch gelernt, das er auch ausgiebig anwenden darf, denn „Narcos“ untertitelt die spanischen Dialoge lediglich, was für eine noch dichtere Atmosphäre sorgt.
Moura interpretiert Escobar angenehm uncool, bisweilen plump, bildet quasi das Gegenstück zu Al Pacinos Darbietung im Mafiaklassiker „Scarface“. Denn „Narcos“ will eben keine Heldengeschichte sein, spinnt keinen Mythos und ist auch sicher nicht die Robin-Hood-Story, für die Escobar, der einiges von seinem Reichtum den Menschen Medellíns zugutekommen ließ, sein Leben zumindest zeitweise hielt. Im Gegenteil: Wie in vielen guten Fernsehserien dieser Tage erzählt „Narcos“ eine sehr ambivalente Geschichte, in der es weder „die Guten“ noch „die Schlechten“ gibt. Alle stecken im Sumpf des Drogengeldes, nur eben verschieden tief.
Erzählerisch ist „Narcos“ angenehm schlicht konzipiert: Pablo Escobars Geschichte wird, mit einigen Zeitsprüngen und ergänzt durch ein wenig Archivmaterial, streng chronologisch geschildert aus der Perspektive eines Sonderermittlers aus den USA. Der blickt aus dem wichtigsten Markt für Escobars Kokain auf das Drogenimperium, nur um bald festzustellen, dass man ruchlos bis über den Rand der Moral hinweg sein muss, wenn man etwas gegen einen Mann ausrichten will, dessen Kartell mehrere Millionen Dollar pro Woche verdient.
Escobars Gegner haben die Wahl zwischen „plata o plomo“
Denn egal wie schnell die wenigen anständigen Polizisten und ihre amerikanischen Helfer auch sind, im Zweifel war der Mann mit dem Koks längst da und hat die relevanten Zeugen entweder gekauft oder erschießen lassen. Die Wahl, die Escobar in den ersten Folgen von „Narcos“ überforderten Grenzsoldaten und später auch der hilflosen kolumbianischen Regierung lässt, lautet „plata o plomo“ – Silber oder Blei. 30 Richter und 457 Polizisten ließ der echte Escobar ermorden. Nur den sicher geglaubten Weg zur kolumbianischen Präsidentschaft konnte sich Pablo Escobar mit seinen Drogenmillionen nicht frei machen. Eine Erniedrigung, die Escobar in „Narcos“ zu Tränen kränkt und die er zeit seines Lebens nicht verwinden sollte.
Zwar bedient „Narcos“ durchaus manches Klischees über Südamerika, ob Kokain oder korrupte Polizisten, doch durchbricht die Serie exakt diese Klischees immer dann, wenn man sich gerade gemütlich mit ihnen arrangiert hat. Das macht sie zu einem sehr guten, wahnsinnig spannend erzählten Thriller, in dem man tatsächlich etwas über Escobar, aber auch über die unrühmliche Rolle der Vereinigten Staaten und über kolumbianische Politik lernt.
Das vielleicht Verblüffendste an „Narcos“ ist aber der Blick in die Geschichtsbücher, wenn man mal wieder den Eindruck hat, die Serie bei einer dramaturgischen Schummelei zum Zwecke der Unterhaltung erwischt zu haben. Dann sieht man: Für „Narcos“ wurde zwar tatsächlich leicht an der Wahrheit gedreht – aber nicht in die Richtung, in die man es erwartet. In Wirklichkeit war die Geschichte des Pablo Escobar nämlich noch viel, viel irrer und absurder, als man es einer Fernsehserie jemals abkaufen würde.
Daniel Erk arbeitet in Berlin als freier Journalist unter anderem für die „Zeit“, „Business Punk“ und fluter.de