Die Stadt an der Loire war einst die Hauptstadt des französischen Sklavenhandels. Jahrhundertelang zog man es vor, darüber zu schweigen
Im September 1763 verließ der 17-jährige Offiziersanwärter Joseph Mosneron-Dupin an Bord des Segelschiffs "Le Prudent" den Nantes vorgelagerten Hafen von Paimboeuf an der französischen Atlantikküste. Das voll beladene Schiff segelte nach Bissau an die westafrikanische "Sklavenküste", wo es im Januar 1764 anlegte. Zahlreiche portugiesische und englische Schiffe lagen dort schon vor Anker, auch ein weiteres aus Nantes, namens "Phoenix", schreibt Mosneron in seinen Erinnerungen "Ich, Joseph Mosneron, Sklavenhändler aus Nantes". Mosneron schildert ausführlich die zähen Verhandlungen mit dem König des Volkes der Papel, "dessen Macht über die Europäer, Tribut zu zollen und Gastgeschenke zu erbringen, anscheinend größer ist als über sein eigenes Volk".
Da Teile der eigenen Ladung – insbesondere die Säbel und Flinten, die gegen Sklaven getauscht werden sollen – schon bei der Ankunft verrostet waren, zogen sich die Verkaufsgespräche über Monate hin. Die "Vorräte aus Frankreich" gingen bereits zur Neige. In dieser "kritischen Position" schreibt Mosneron, "entschied sich der 34 Jahre alte Kapitän James, die Schwarzen überteuert zu bezahlen". Mit 140 Sklaven brach die "Prudent" schließlich im April 1765 nach Martinique auf. Der Skorbut, eine Vitaminmangelkrankheit, "verschlang Schwarze und Weiße", berichtet Mosneron über die Reise. Die überlebende "Ladung an Schwarzen" wurde schließlich "mehr schlecht als recht" auf dem Sklavenmarkt von Fort-Royal verkauft. Im Dezember 1765 erreichte der Teenager seinen Heimathafen wieder. Er wurde später selbst zu einem erfolgreichen Händler, der 1786 eine Firma gründete, die sich ganz auf den Sklavenhandel spezialisierte.
Erst drei Jahre nach seinem Tod 1833 wurde die Firma aufgelöst. Wie viele Händler aus Nantes hatte Joseph Mosneron ein Vermögen mit dem Sklavenhandel verdient.
Die Franzosen haben den Sklavenhandel nicht erfunden. Sie stiegen sogar erst relativ spät in das Geschäft ein, das innerhalb Afrikas und im Vorderen Orient seit mehr als 1.000 Jahren blühte. Nach der Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 mussten die sich zu Kolonisatoren entwickelnden führenden Seemächte bald feststellen, dass es ihnen nicht gelang, genügend Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung der neu eroberten, riesigen Landflächen zu mobilisieren. Die Lösung: Man besorgte sich Arbeitssklaven auf dem afrikanischen Kontinent. Vorreiter waren in diesem Metier die Portugiesen, die bereits im Laufe des 15. Jahrhunderts zahlreiche Handelsstationen an der afrikanischen Küste einrichteten und dort bei afrikanischen Menschenhändlern die Arbeitskräfte für ihre kolonialen Ambitionen einkauften. Spanier, Portugiesen, Briten und Holländer lieferten sich fortan einen Wettstreit um den Rang der vorherrschenden Kolonialmacht. Der Ausbau der Tabak- und Zucker-, Kaffee- und Kakaoplantagen verlangte nach möglichst billigen Arbeitskräften.
Es dauerte bis ins 17. Jahrhundert, bis Frankreich es seinen europäischen Nachbarn gleichtat. Die Antillen-Insel Saint-Christophe wurde 1626 zur ersten französischen Kolonie in der neuen Welt. Guadeloupe, Martinique und der westliche Teil von Saint- Domingue (das heutige Haiti) folgten. Anfangs waren die Zahlen der schwarzen Zwangsarbeiter auf den Plantagen noch relativ gering. 1671 etwa hatten 47 Prozent aller Plantagenbesitzer auf Guadeloupe nur einen einzigen Sklaven. Zum einen lag das daran, dass die Farmer zu wenig Kapital hatten, um sich mehr Sklaven zu leisten. Zum anderen glaubte man, die benötigten Arbeitskräfte durch natürliche Fortpflanzung reproduzieren zu können. Dies führte dazu, dass die Sklaven zunächst noch vergleichsweise gut behandelt wurden. Man achtete sogar darauf, dass die Transportbedingungen über den Atlantik nicht zu unmenschlich waren. Doch das änderte sich mit dem stetig steigenden Bedarf.
1685 legte man im "Code noir" die rechtlichen Grundlagen der Sklaverei in den Kolonien fest. Ein Sklave erhielt darin denselben rechtlichen Status wie ein Möbelstück oder ein anderes bewegliches Gut. Statt auf den langfristigen Erhalt der Arbeitskraft setzte man nun auf schnelle Rentabilität. Die Bedingungen wurden immer härter, der Bedarf an Arbeitskräften stieg drastisch. Länger als zehn Jahre überlebte kaum ein Sklave die Arbeit auf den Plantagen.
Es ist diese Entwicklung, die den französischen Anteil am weltweiten Sklavenhandel in die Höhe treibt – und den französischen Hafenstädten am Atlantik goldene Jahre bescherte: Bordeaux, Le Havre, La Rochelle, Lorient, Saint-Malo und vor allem Nantes werden zu den wichtigsten Häfen für den französischen Sklavenhandel. In Nantes begann der sogenannte Dreieckshandel erst im Jahr 1688, aber binnen weniger Jahre entwickelte sich die Stadt an der Loire dann zur Hauptstadt des französischen "traite négrière".
Zwischen 1707 und 1793 nahmen 41 Prozent aller französischen Expeditionen hier ihren Ausgang, zwischen 1707 und 1711 waren es sogar 75 Prozent. Der Vorteil der Stadt bestand darin, dass sie durch ihre Lage an der Loire über gute Verbindungen ins Hinterland und bis in die Hauptstadt Paris verfügte. "Dreieckshandel" heißt das Wirtschaftsmodell, weil die Handelsroute in einem Dreieck verlief: Reeder und Kaufleute rüsteten in Nantes ein Schiff aus und bestückten es mit Waren, die im westlichen Afrika begehrt waren – darunter vor allem bedruckte Stoffe, die in den Manufakturen in der Vendée, aber auch in Holland, England und der Schweiz hergestellt wurden. Zudem lieferten die Nantaiser Reeder Säbel, Gewehre, aber auch Alkohol, Spiegel und Schmuck an die westafrikanische Küste. Entlohnt wurden sie dort in menschlicher Währung: Die Sklaven wurden über den Atlantik in die Kolonien auf den Antillen gebracht. Für die Ladung Sklaven erhielten die "Négriers" – so nannte man die Sklavenschiffe auf Französisch – dann Baumwolle, Zucker, Tabak und Kaffee. Diese Waren wiederum wurden zurück nach Nantes gebracht. Erst nach dem Verkauf dieser Ladung auf dem französischen Festland wussten die Nantaiser Kaufleute, wie groß der Gewinn war, den sie mit ihrem Dreieckshandel erzielt hatten.
Wirtschaftlich war Sklavenhandel ein spekulatives Risikogeschäft. Schiffe konnten auf der langen Route verloren gehen, viele der unter fürchterlichen Bedingungen eingepferchten Gefangenen starben unterwegs. Etwa 13 Prozent der Sklaven überlebten die Überfahrt nicht. Oft jedoch rafften auch Seuchen einen weitaus größeren Anteil hin. Die Überlebensrate der Besatzung war indes kaum besser.
Dennoch war der Sklavenhandel ein lohnendes Geschäft, dem viele angesehene Nantaiser Handelshäuser ihren Erfolg verdankten. Große und angesehene Familien bauten auf dem Menschenhandel ihr Vermögen auf, wie die Michels, die Montaudouins oder die Sarrebourses d’Audeville. Doch es waren nicht nur die Reeder, die vom Sklavenhandel profitierten. Auch für die oft in der Region angesiedelten Hersteller jener Waren, die in den afrikanischen Kolonien begehrt waren, fielen stattliche Erträge ab. An der Finanzierung einer solchen Expedition waren oft mehrere Reeder und Kreditgeber beteiligt, denn der Bau, die Ausrüstung und Besatzung eines Sklavenschiffes kostete ein Vermögen: 400.000 Livres – das war mehr als der Preis für ein Pariser Stadtpalais. Der Kapitän eines solchen Schiffes erhielt als Lohn 150 Livres und eine sogenannte "pacotille" (ein "Päckchen"), das aus einer bestimmten Zahl Sklaven bestand, die Kapitän und Offiziere selbst verkaufen durften. Der Preis für einen erwachsenen Sklaven lag Ende des 18. Jahrhunderts an der afrikanischen Küste zwischen 100 und 300 Livres. 100 Livres waren in etwa das, was man in Frankreich pro Jahr an Pacht für einen kleinen Bauernhof aufbringen musste.
An den mehr als 400 Handelsstationen entlang der afrikanischen Küste verbrachten die Sklavenhändler normalerweise etwa drei bis sechs Monate, bis die Verhandlungen mit den Emissären der örtlichen Herrscher abgeschlossen und Waren gegen Sklaven getauscht waren. Dann begann die Überfahrt über den Atlantik, die rund zwei Monate dauerte. Die versklavten Männer und Frauen wurden auf dem Zwischendeck untergebracht, nach Geschlechtern getrennt und zu zweit aneinandergekettet. Studien gehen heute davon aus, dass einem Einzelnen etwas weniger als 1,5 Kubikmeter Raum zustanden. 350 bis 450 Sklaven nahm ein durchschnittliches Sklavenschiff auf. Während der Überfahrt durften die Gefangenen nur selten an Deck, um frische Luft zu schnappen. Je näher die Landung – und damit der Verkauf – rückte, desto häufiger gewährte man ihnen derartige Erfrischungen. Man besprühte sie mit Meerwasser, rieb sie mit Palmöl ein, um die Haut zum Glänzen zu bringen. Manchmal brachte man sie sogar mit Musik und Peitschen zum Tanzen, um ihre Muskeln geschmeidig zu halten.
Schätzungen zufolge wurden bis zu 550.000 Afrikaner auf den 1714 Schiffen, die in Nantes ablegten, in die Sklaverei transportiert. Das Volumen des Sklavenhandels versechsfachte sich in Nantes zwischen 1768 und 1789 von 20 auf 120 Millionen Livres. Zwar schaffte die Revolution 1794 offiziell die Sklaverei in den Kolonien ab. Doch der Konsul Napoleon Bonaparte führte sie 1802 gleich wieder ein.
Erst 1815, kurz vor seiner Abdankung, verbot schließlich Kaiser Napoleon den Sklavenhandel. Das war allerdings nicht seiner humanistischen Einsicht geschuldet, sondern eher eine aus der politischen Not geborene Geste an die Engländer, die ihrerseits bereits 1807 das Verbot erlassen hatten. Dies änderte jedoch nichts daran, dass der Handel illegal weiter florierte – da die Sklaverei noch immer in den Kolonien fortbestand. Ein Großteil der Bürgermeister, die Nantes während der Restauration in den Jahren von 1815 bis 1830 regierten, waren stadtbekannte illegale Sklavenhändler. Erst mit dem endgültigen Verbot der Sklaverei unter der Zweiten Republik im Jahre 1848 kam ihr Geschäft zum Erliegen.
Über diese Geschichte hat man in Nantes lange Jahre den Mantel des Schweigens gebreitet. Nur die Fassaden der prächtigen Häuser der Kaufleute und Reeder auf der Île Feydeau und am Quai de la Fossé mit ihren negroiden Masken und Verzierungen erinnerten daran, woher der Reichtum dieser Bürger stammte. Erst 1992 schließlich gab es eine erste kritische Ausstellung zum Thema. Seit zwei Jahren existiert nun ein Mahnmal sowie ein Erinnerungsweg, der von den Quais am Ufer der Loire zum Museum im Schloss der Herzoge der Bretagne führt. Immerhin.