Der Kongolese Sikumoya Mumandi liebt Deutschland. Er liebt es, deutsche Volksmusik zu hören, deutsches Bier zu trinken und in ruhigen Momenten Goethe zu rezitieren. Nichts wäre ihm lieber, als auch deutsch zu sein und endlich richtig dazuzugehören. Bei all den skeptischen Blicken in den Bussen und Anfeindungen bei der Arbeit und auf Ämtern ist das aber gar nicht so einfach. Als ein paar Neonazis Sikumoya durch Leipzigs Straßen jagen und er nach einem heftigen Schlag auf den Kopf wieder im Krankenhaus aufwacht, ist plötzlich alles anders: Sikumoya wird selbst zum Nazi. Und zwar zu einem, der es mit der rechten Ideologie viel ernster meint als die erstaunten Wutbürger um ihn herum.

Ausgedacht haben sich diese Film-Groteske die Leipziger Brüder und Filmemacher Tilmann und Karl-Friedrich König. Mit Letzterem haben wir darüber gesprochen, was Deutschsein eigentlich ist, ob man über Nazis lachen darf und wie man mit Filmen aufrütteln kann.

Wie kommt man auf die Idee, einen Film über einen schwarzen Nazi zu drehen?

Durch einen Freund unserer Familie, Kalemba Mukumadi. Nach dem Sturz des Diktators Mobutu floh er aus dem Kongo und fand in Deutschland eine neue Heimat. Leider wurde er extrem oft angegriffen und auch verprügelt. Als ihn dann einmal am Erfurter Bahnhof drei Jugendliche rassistisch beleidigten, wurde es ihm zu viel, er ist zu ihnen hin und hob den Arm zum Hitlergruß. Da waren die völlig baff! So ist er mit ihnen ins Gespräch gekommen.

Der Protagonist eures Films paukt bis spät in die Nacht für seine Einbürgerung – er will endlich auch dazugehören. Was muss man eigentlich machen, um als „integriert“ zu gelten?

Das kommt ganz drauf an, wen man fragt. Vor bestimmten Leuten ist es auch unmöglich – weil sie pauschalisierte Feindbilder haben und auch eine gewisse, nun ja, Resistenz gegenüber Argumenten. Und wenn man dich fragen würde? Dann würde ich sagen: die Sprache lernen. Für manche werden aber selbst Menschen, die akzentfrei Deutsch sprechen, nie ganz dazugehören. Da genügt es, ein bisschen so auszusehen, als käme man vielleicht aus dem arabischen Raum. Gegen dieses Bild anzukommen ist wahnsinnig schwierig: Unser Protagonist Sikumoya macht, so viel er kann und noch mehr – und trotzdem kriegt er es nicht hin.

Ja, wenn auch wohl kaum in so extremer Form wie in unserem Film. Die Integrationsdebatte ist auf jeden Fall gerade so aufgeheizt, dass kaum einer noch objektiv diskutiert. Politiker fühlen sich durch die Bevölkerung dazu gezwungen, harte Parolen zu schwingen. Die Gefahr der Überanpassung einerseits und der totalen Abschottung andererseits wächst dadurch. Das wäre anders, wenn wir Integration als etwas sehen würden, bei dem beide Seiten mitmachen.Bei Sikumoya wird Integration zur totalen Selbstaufgabe. Ist das ein reales Problem?

Gedreht habt ihr im Sommer 2014 in Thüringen und Sachsen. Wie fand es die Bevölkerung dort eigentlich, so klischeehaft dargestellt zu werden?

Die meisten Reaktionen gab es auf dem Lindenauer Markt in Leipzig, wo wir für den Dreh einen Wahlkampfstand der fiktiven Partei „NPO – Nationale Patrioten Ost“ aufgebaut haben. Wir hatten zwar eine Drehgenehmigung, aber keine Absperrung. Manchen Passanten war wohl nicht ganz klar, dass wir einen Film drehten: Die einen nahmen interessiert unsere Fake-Parteiblätter mit. Die anderen empörten sich. Ein Anwohner stellte sogar riesige Boxen auf und spielte für 20 Minuten bei voller Lautstärke „Deutschland muss sterben“ von Slime. Unseren Dreh hat das extrem behindert, aber es war auch cool zu sehen, dass es sehr wohl gesellschaftliches Engagement gibt.

Euer Protagonist wird durch einen Schlag auf den Kopf selbst zum Neonazi und schließt sich den „Nationalen Patrioten Ost“ an. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Integrationsbeauftragter sagt Sikumoya, alles Nichtdeutsche müsse ausgerottet werden. Habt ihr euch nie gedacht: Hey, diese Szene ist jetzt echt zu krass?

Wir haben uns eher gefragt, ob etwas zu platt wirkt. Zum Beispiel die Szene, in der Sikumoya seine Parteigenossen zwingt, ihre amerikanischen Jeans und koreanischen Handys zu verbrennen. Das wirkt übertrieben, aber zeigt gut, wie irrwitzig Ideologien sind, wenn man sie zu Ende denkt. Hattet ihr nie Angst anzuecken? Wir haben uns viele Gedanken gemacht, uns zum Beispiel bewusst dafür entschieden, die Sprache der Neonazis zu meiden.

Nun ja, also der Protagonist ...

… von seinem Text mal abgesehen. Insgesamt haben wir aber versucht, keine Rassismen zu reproduzieren.

Ihr habt euch dafür entschieden, den Film ohne Verleih in die Kinos zu bringen. Warum?

Die zwei Verleihe, die daran interessiert waren, hätten für 15 Jahre alle Rechte für den Film besessen. Wir wollen den „Schwarzen Nazi“ aber in Schulen, Jugendzentren und andere Einrichtungen bringen und nach den Vorführungen gemeinsam über Rassismus sprechen.

Kann man denn mit einem Film an festgefahrenen Meinungen rütteln?

Ich will die Wirkung nicht übertreiben, aber ich glaube schon. „Der schwarze Nazi“ bricht Ideologie auf und dekonstruiert sie, zum Beispiel diese alberne Idee des „deutschen Blutes“. Sikumoya wird damit konfrontiert, kein deutsches Blut zu haben, worauf er entgegnet, im Krankenhaus eine Bluttransfusion bekommen zu haben. Indem man Bilder humoristisch bricht, kann man sicher etwas erreichen.

Klar, aber nicht nur. Man sollte ihre Gefährlichkeit immer im Kopf behalten und auch darstellen. Gerade weil viele Zuschauer Neonazis nur aus dem Fernsehen kennen und im wahren Leben überhaupt keine Schnittstellen mit ihnen haben. Ich kenne einige Neonazis und weiß: Sie stellen eine reale Gefahr dar.Darf man sich über Nazis lustig machen?

Das klingt nach Erfahrungen am eigenen Leib?

Ja. Meine Heimat Jena war in den 90er-Jahren fast wie eine national befreite Zone, vor allem wenn Rummel war und sich alle rechten Jugendlichen versammelten. Damals sahen die noch mehr wie eine Subkultur aus mit Bomberjacke und Ostschulschnitt: Glatze hinten, vorne Pony.

Und da wurdest du regelmäßig verkloppt?

Als bunter, alternativer Jugendlicher war man ein beliebtes Angriffsziel.

Bei manchen Szenen eures Films entwickelt man fast eine Sympathie für den einen oder anderen Nazi. War das gewollt?

Unser Film ist nicht nur ein politisches Produkt, sondern auch ein Spielfilm. Wenn keine der Hauptpersonen Empathie hervorruft, funktioniert der Film nicht. Tatsächlich hat Sympathie auch viel mit dem Stil der Schauspieler zu tun. Wenn zum Beispiel jemand dieses „Trottelige“ gut draufhat, wie der Schauspieler der Nazi-Rolle „Steve“, dann kitzelt das besonders viel Sympathie hervor – vor allem im Vergleich zum Protagonisten, der ja total krass und hart wirkt.

Manchmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken – Intention oder Versehen?

Ich mag das sehr, wenn Filme mit Genres spielen. Wir haben uns deshalb bewusst für ein bisschen Sand im Getriebe entschieden, das den Zuseher aus dem Modus der Komödie reißt. Ich will aber auch nicht behaupten, dass das leicht beklemmende Gefühl immer zu 100 Prozent beabsichtigt war. An manchen Stellen hat das womöglich auch mit filmischem Unvermögen zu tun.

„Der schwarze Nazi", Deutschland 2016, Regie und Drehbuch: Tilmann und Karl-Friedrich König. Mit: Aloysius Itoka, Judith Bareiß, Chris Weber

Dafür, dass Sara Geisler erst 2012 nach Deutschland kam, hat sie sich schon recht gut integriert: Genau wie Sikumoya schätzt sie deutsches Bier und hat auch ihren Tiroler Akzent mittlerweile einigermaßen im Griff. Einen Wechsel der Staatsbürgerschaft zieht sie dennoch nicht in Betracht – auch wenn ihr der Gedanke während der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl ab und an durch den Kopf blitzte.