Die Erzählung „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ ist dank ihrer unzähligen Bühnenfassungen heute das wohl bekannteste Werk Gogols in Deutschland. Nikolai Gogol, russisch schreibender Ukrainer und unter Psychosen leidender Sohn einer psychotischen Mutter, sollte selbst in geistiger Umnachtung enden. Von religiösen Wahnvorstellungen getrieben, hungerte er sich kurz vor seinem 43. Geburtstag zu Tode.
Die Idee dazu verdankte Gogol dem zehn Jahre älteren Alexander Puschkin, der das junge Erzählgenie nach Kräften förderte. Dem Stil nach hätten die beiden Autoren allerdings kaum verschiedener sein können. Wo Puschkin mit vollendeter Lakonie beeindruckte, wucherte in Gogols Erzählungen eine barocke Fantasterei. Er bezog seine Sujets sämtlich aus der russischen Alltagswelt, verfremdete diese jedoch weitgehend – in vielerlei Hinsicht kann Gogol als ein sehr früher Vertreter des literarischen Surrealismus gesehen werden.Vorher hatte er es noch geschafft – wohl während eines psychotischen Schubs –, das fertige Manuskript des zweiten Teils von „Die toten Seelen“ zu verbrennen. Doch auch in seiner ewig unvollendeten Form sollte dieser Roman über einen so windigen wie findigen Geschäftemacher, der mit den Identitäten verstorbener Leibeigener handelt, zu einem der wichtigsten Werke der russischen Literatur werden.
Das herausragende Beispiel dafür ist seine Erzählung „Die Nase“, ein zu absurder Literatur geronnener Albtraum. Darin macht sich das Riechorgan eines kleinen Beamten urplötzlich selbständig, geht in St. Petersburg spazieren, trägt Uniform und benimmt sich in jeder Hinsicht wie ein Mensch. Knapp hundert Jahre später verarbeitete Dmitri Schostakowitsch die Erzählung zu seiner ersten Oper, die aber gleich nach der Uraufführung 1930 der stalinistischen Zensur zum Opfer fiel.
Auch Gogols eigene Nase soll übrigens sehr markant gewesen sein.
Mehr aus der Reihe „Mitreden, obwohl ich das Buch nicht gelesen habe“:
Teil 1: Alexander Puschkin – der Nationaldichter
Teil 2: Nikolai Gogol – der Surreale
Teil 3: Fjodor Dostojewski – der Spieler
Teil 4: Lew Tolstoi – der Graf
Teil 5: Anton Tschechow – der Menschenfreund