Vier Szenarien aus der Spieltheorie: Jede Entscheidung verrät etwas über das Funktionieren des Marktes.

Ich packe meinen Koffer

Du bist ein Gangster und triffst dich mit einem Komplizen zum Koffertausch. Ihr habt vereinbart, dass dein Koffer hundert Euro und der Koffer des anderen Gangsters Diebesgut enthält. Ihr beide könnt euren Koffer erst öffnen, wenn der andere außer Reichweite ist. Der Koffer, den du übergibst, enthält
1) hundert Euro. So war es ja auch vereinbart.
2) fünfzig Euro. Der andere schummelt bestimmt auch. 
3) null Euro. Oder soll ich für Diebesgut auch noch zahlen?


Christian Rieck

„Sehr ehrenhaft, wenn du dich für die erste Antwort entscheidest. Nach der Spieltheorie ist aber die dritte die richtige Lösung – oder anders gesagt: die dominante Strategie. So nennt man die Strategie, mit der sich ein einzelner Spieler den größtmöglichen persönlichen Vorteil verschafft. Die dominante ist aber nicht gleichzeitig die fairste Strategie. Im Gegenteil: Wenn beide in diesem Beispiel die dominante Strategie wählen, kommt das Geschäft nie zustande. Ihr befindet euch in einer Zwickmühle: Obwohl ihr zusammenarbeiten wollt, könnt ihr dem anderen nicht trauen, weil es für beide besser ist, die Absprache zu brechen. Solche Situationen gibt es in der Wirtschaft oft. Ein politisch nicht korrektes Beispiel: der Euro. Damit er eine stabile Währung bleibt, müssen die Staatsschulden der Mitgliedsländer klein bleiben. Für ein einzelnes Land ist es zunächst von Vorteil, sich über diese Grenze hinaus zu verschulden, weil es die Lasten einer instabilen Währung nicht allein trägt. Also versucht jedes einzelne Land, sich stärker zu verschulden, als wenn es die Folgen allein tragen müsste. Mit dem Erfolg, dass am Ende alle stärker verschuldet sind.“

Verstehe einer die Frauen

Du bist mit deiner Freundin verabredet, hast aber vergessen, wofür. Du würdest gern ins Theater gehen, deine Freundin lieber ins Fußballstadion. Da ihr nicht telefonieren könnt, müsst ihr unabhängig voneinander entscheiden, wohin ihr geht. Du 
1) gehst ins Theater – du hasst Fußball und weißt, dass deine Freundin das weiß. 
2) gehst ins Stadion – das mag deine Freundin, und sie ist wohl dorthin gegangen. 
3) wirfst eine Münze – woher sollst du wissen, wo deine Freundin ist?

Christian Rieck

„Das Spiel hat es in sich. Es hängt von euch beiden ab, ob ihr euch treffen werdet. Alle drei Antworten haben die gleiche Chance auf Erfolg. Das ändert sich, wenn ihr das Spiel mehrmals spielt. Dann machst du Erfahrungen, anhand derer du abschätzen kannst, wie sich deine Freundin in Zukunft verhalten wird – und sie, wie du dich verhalten wirst. Entweder du gehst stur ins Theater, damit deine Freundin weiß, wo sie dich findet – oder umgekehrt. So kommt es zu einem Lock-in. Das bedeutet ,einrasten‘ und bezeichnet in der Wirtschaft einen Zustand, in dem ein Käufer so abhängig von einem Verkäufer wird, dass er nicht mehr ohne Weiteres zu einem anderen wechseln kann. Vor allem in der New Economy fußen viele Geschäftsmodelle auf einem Lock-in. Wer sich zum Beispiel für ein Betriebssystem entschieden hat, kann es nur mühsam wechseln, ohne Daten zu verlieren. Oder: Kaufen viele Anleger eine Aktie, kauft man selbst auch, der Preis steigt ja. Zumindest, bis die Spekulationsblase platzt.“

Denn du weißt nicht,
was du tust

Du machst eine Mutprobe und rast mit deinem Auto auf ein anderes Auto zu. Du
1) fährst weiter. Nur Schwache geben nach.
2) fährst nicht weiter. Du bist ja nicht blöd.
3) wirfst eine Münze. Kopf: Fahren. Zahl: Stopp.

Christian Rieck

„Der Einsatz bei diesem Spiel ist sehr hoch. Es heißt chicken game – Feiglingsspiel. Mit Antwort 1 gefährdest du dein Leben. Wählst du die zweite oder die dritte, verlierst du vielleicht das Spiel. Um nicht immer der Dumme zu sein, musst du abschätzen, ob der andere bremst. Die Wahrscheinlichkeit lässt sich mathematisch bestimmen. Ich rechne das oft mit Studenten durch. Erstaunlich viele gehen ein zu hohes Risiko ein, es kommt zum Unfall. Sie vergessen, dass ihr Gegenspieler die gleichen Überlegungen anstellt wie sie selbst. Es gibt hier kulturelle Unterschiede: Skandinavische Studenten riskieren weniger als deutsche. Auch deutsche Manager staunen, wenn ich ihnen erkläre, wie ihr Gegenspieler die Situation sieht. Warum das deutsche Bildungssystem diese Art von Blindheit fördert, weiß ich nicht.“

Ein Angebot, das man ausschlagen kann

Du hast hundert Euro und bietest einem Mitspieler einen Teil an. Lehnt er ab, geht ihr beide leer aus. Stimmt er zu, teilt ihr das Geld wie von dir vorgeschlagen. Du gibst
1) einen Euro. 
2) vierzig Euro und behältst sechzig Euro.
3) fünfzig Euro – alles andere ist unfair.
 

Christian Rieck

„Das sogenannte Ultimatumspiel bringt eine Reihe erstaunlicher Ergebnisse. Ein vollständig rationaler Spieler müsste auch einen Euro annehmen. Das ist schließlich besser als nichts. Versuche haben aber gezeigt, dass die meisten Spieler eine solche Aufteilung ablehnen – weil sie unfair ist und sie sich darüber ärgern. Sie sind eher bereit, das Geschäft abzulehnen, als sich unfair behandeln zu lassen. Erst bei einer Aufteilung von sechzig Euro zu vierzig Euro akzeptieren die meisten den Handel. Ich habe das mit vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen durchgespielt. Dabei kam heraus, dass vor allem das Alter darüber entscheidet, wie viel man zu geben bereit ist. In der Gruppe der Menschen über 65 Jahre steigt die Bereitschaft stark an, dem anderen mehr zu geben, als man selbst erhält. Viele Spieler bemü-hen sich, fair zu handeln, auch wenn sie keinen direkten Nutzen davon haben. Solche Werte stützen die Wirtschaft und schaffen das Vertrauen, das nötig ist, um Geschäfte zu machen.“

Christian Rieck ist Professor für Wirtschaft an der FH Frankfurt/Main und ein Schüler des Nobelpreisträgers Reinhard Selten. Von Rieck stammt eine der ersten deutschen lesbaren Erklärungen der Spieltheorie (Spieltheorie. Eine Einführung, 1992). Rieck bildet auch Manager und Lehrer in der Spieltheorie aus.