fluter.de: Als Sohn von Vivienne Westwood und Malcom McLaren zählt Joe Corré zum Hochadel des Punk. Am 26. November wird er seine Sammlung an Platten, T-Shirts und Grafiken verbrennen. Er selbst beziffert deren Wert auf fünf Millionen Pfund. Ist er der letzte Punk?
Das ist natürlich schon eine typische Punk-Geste. Besonders weil sie klarmacht, dass Punk sehr destruktiv war. Ich finde die Aktion jedoch schwer zu ertragen, wenn man daran denkt, wie vielen Menschen man mit dem Geld helfen könnte.
Corré protestiert damit gegen die Vereinnahmung von Punk durch das Festival Punk.London, das unter der Schirmherrschaft von Boris Johnson initiiert wurde. Als der Bürgermeister war, fielen viele Clubs der Gentrifizierung zum Opfer.
Ach, diese drastischen Aktionen zählen doch heute nichts mehr. Alles verweigern, etwas zerstören – das hat 1977 etwas bedeutet. Aber wenn man sich die Welt heute ansieht, dann gibt es so viele, die die Welt effektiver als jede Popband zerstören können. Man kann Trump nicht an Destruktivität überholen. Punk-Gesten zu wiederholen erscheint mir völlig sinnlos. Joe Corré mag der Letzte seiner Art sein, aber vielleicht hat sich seine Art auch einfach überlebt.
Als Autor beschäftigen Sie sich intensiv mit Retrophänomenen, also damit, wie die Popmusik mit ihrer eigenen Vergangenheit umgeht. Waren Sie überrascht, dass in London gleich ein ganzes Themenjahr zu Punk ausgerufen wurde?
Nein, gar nicht. In der heutigen Popkultur wird wirklich jedes Jubiläum mitgenommen. Und 40 Jahre ist eigentlich ein ziemlich geeigneter Anlass. Beim 50. Jahrestag könnten viele von damals schon nicht mehr leben. Und Punk hat sich immer weiter verewigt. Noch stärker als die 1960er-Jahre. Man findet heute wenig junge Leute, die Hippie sind, aber Punk wird immer wieder entdeckt. Es scheint die ultimative Rebellion zu sein. Es passt dazu, wie man sich fühlt mit 15 Jahren, wenn alles, was man sieht, nur widerlich, gescheitert, kompromittiert erscheint. Dieser Purismus und die Absolutheit des Statements haben immer noch eine starke Anziehungskraft.
Davon ist in dem Programm in London wenig zu sehen. Die politische Seite des Punk wird kaum thematisiert.
Es wird heute als Style-Thema gesehen. Die Kreativität der britischen Modeszene wird gefeiert, der politische Teil unter den Tisch gekehrt, auch die schiere Zerstörungswut. Es ging bei Punk darum, wirklich fürchterlich zu sein. Als Teenager mochte ich Sid Vicious, weil er eben so niederträchtig war wie sein Name es vorgab. Er hat sich aufgeschlitzt, bis er blutete, auf der Bühne gekotzt. Es gab auch eine konstruktive, durchaus moralistische Seite des Punk, die dann in Festivals wie Rock against Racism mündete, wo Bands spielten wie die Tom Robinson Band, die ganz konkrete politische Forderungen artikulierte – für Schwulenrechte etwa.
Während in den USA der politische Protest in den 1960er-Jahren in die Popkultur einzog, passierte das in England erst mit Punk. Warum so spät?
In den 1960er-Jahren war eine Labour-Regierung an der Macht, die Perspektiven für junge Leute waren gut, der Militärdienst wurde abgeschafft. Überall wurde gekämpft, aber nicht in London. Gut, es gab Demos vor der amerikanischen Botschaft gegen den Vietnamkrieg, aber die Militanz oder der Idealismus, den die Proteste an den amerikanischen Universitäten, in Frankreich oder in Westdeutschland hatten, gab es nicht. Die 1970er-Jahre waren dann viel politisierter und turbulenter. Studenten gingen mit streikenden Arbeitern auf die Straße, als sich die wirtschaftliche Situation verschlechterte. Mit Punk entstand zum ersten Mal eine wirklich politische Jugendbewegung in Großbritannien. Vorher waren Jugendbewegungen vielleicht kulturell subversiv, aber es gab keine Songs über Arbeitslosigkeit oder wie man Faschisten attackiert. Auf den Plattencovers sah man plötzlich triste Betonwohnblöcke und urbane Wüsten. Dieser Sozialrealismus war neu im Rock.
Überlebte er den Punk?
Ja. In den 1980er-Jahren hat sich die Musik stark an politischen Themen abgearbeitet. Neben Rock against Racism gab es Red Wedge, da versuchten Musiker die Jungen für die Politik, insbesondere für Labour zu gewinnen, dann gab es die CND – die Abrüstungsbewegung –, die auch in der Musikszene eine Rolle spielte. Bands wie The Jam haben es mit politischen Themen in die Charts geschafft oder The Red Skins, eine weiße Soulgruppe, die für die Socialist Workers Party warb. Elvis Costello hatte ein paar Anti-Thatcher-Songs, The Beat hatte einen Hit namens „Stand down Margaret“, The Smiths waren sehr politisch, vor allem in Interviews. Es war damals üblich, dass man als Journalist auch politische Themen ansprach. Erst Ende des Jahrzehnts war die Luft raus. Als Thatcher das dritte Mal gewählt wurde, war das Projekt, mit Musik auch Politik zu machen, erschöpft. Schien ja nichts zu bringen.
Thatcher und die Punks waren große Gegenspieler – aber sie hatten auch einiges gemeinsam.
Schon. Sie brachen den gesellschaftlichen Konsens der Nachkriegsjahre, beide waren brutal, kalt und rücksichtslos. Emotional ist das nicht so unterschiedlich, wie die Punks mit den Hippies umgingen und wie Thatcher die Industrien, die nicht erfolgreich waren, zugrunde gehen ließ. Es gibt da schon Ähnlichkeiten. Und viele im Punk waren ehrgeizige Leute, da gab es viel Working Class-Ambition. Und viele haben es ja auch zu etwas gebracht. In der Musik, in den Medien.
In Ihrem Buch „Rip it up and start again“ feiern Sie die Phase nach Punk als Zeit der musikalischen Erneuerung. Begehen wir gerade das falsche Jubiläum?
Postpunk war musikalisch extrem interessant, es wurde viel experimentiert und Neues ausprobiert, aber es gibt dafür kein sinnfälliges Datum, das man feiern könnte, und ohne Punk wäre das auch alles nicht passiert. Punk dagegen war eine Serie von Ereignissen: die Sex Pistols fluchen im Fernsehen, die Fahrt auf der Themse zum Geburtstag der Queen, das erste Album von The Clash. Ein Jahr voller Aufregung lässt sich gut historisieren. Es gibt auch starke Bilder: das Cover von „God Save The Queen“, das Gesicht von Johnny Rotten und Siouxsie Sioux, die Sicherheitsnadeln. Punk ist perfekt für eine Mythenbildung.
Zum 30. Jahrestag von „Rappers Delight“ hat in New York keiner groß gefeiert, dabei war die erste Hip-Hop-Single gleich ein Millionenerfolg und machte die bis dato nur Insidern bekannte neue Musik weltweit populär. Spiegeln sich in solchen Jubiläen auch gesellschaftliche Machtstrukturen?
Die schwarze Musikkultur funktioniert da anders. Die verwenden die Vergangenheit in der Musik selbst – mit Samples etwa. Da wird die Vergangenheit ganz praktisch in die Gegenwart geholt. Es gibt zwar Nostalgie-Hip-Hop-Veranstaltungen, aber viel, viel weniger als im Rock. Da gibt es eine ganze Industrie mit sogenannten Legacy Acts, also Bands aus vergangenen Dekaden. Deshalb musste wohl auch ein Außenseiter kommen wie Baz Luhrmann...
...der bei „The Get Down“ Regie geführt hat, einer Netflix-Serie über die Entstehung des Hip-Hop in New York.
Ja, ein Australier, der nicht aus der Szene kommt und die Geschichte wie einen Comic inszeniert hat, was viele Hip-Hop-Granden kritisierten. Aber es stimmt, die Langlebigkeit von Punk hat auch damit zu tun, dass viele frühere Punks jetzt in Entscheiderpositionen sind. Sie kontrollieren Institutionen und entscheiden über Budgets für Kulturförderung. Im englischen Parlament sind auch Abgeordnete, die Raver waren. Tom Watson, der stellvertretende Parteivorsitzende der Labour Party, geht jedes Jahr aufs Reading Festival. Einer, der sich für den Parteivorsitz der Labour Party bewarb, war Public Enemy Fan. Das verändert auch, wie wir mit der Vergangenheit umgehen.
Titelbild: Muir Vidler / 13photo
Felix Denk, Kulturredakteur bei fluter.de, hat in dem Interview mit Simon Reynolds gelernt, dass eines der beliebesten Samples im Hip-Hop ausgerechnet vom Punk-Impressario Malcom McLaren stammt: die ersten Zeilen von Buffalo Gals. Laut whosampled.com tauchen sie in 268 anderen Stücken auf