Das mit der Gleichberechtigung kam erst später. Zuerst ging es ihr nur um den Krieg. Als der „Islamische Staat“ in die Kurdengebiete im Norden Syriens vorstieß, beschloss die Frau, die nun Siham heißt, sich zu wehren. „Es war total klar, dass diese Leute versuchen, uns ein Leben aufzuzwingen, das wir nicht wollen. Ich wollte meine Familie, mein Volk und mein Land schützen“, sagt sie.
Es musste schnell gehen. Die heute 28-jährige Tochter eines Gemüsehändlers, Schulabbrecherin, arbeitslos, lernte das Wichtigste über Panzerfäuste, Granatwerfer und Kalaschnikows und bekam dazu noch ein paar Anweisungen in Militärtaktik. Sie legte symbolisch ihren alten Namen und ihr altes Leben ab und wurde zu Siham. Ob sie Angst hatte? Ob sie zweifelte? Gefühle dieser Art darf sie Journalisten gegenüber nicht mehr zulassen. „Ich habe kein Privatleben mehr. Das Einzige, was mich kümmert, ist die Zukunft der Kurden“, sagt sie.
Es dauerte nur ein paar Wochen, dann war sie Soldatin des bewaffneten Arms der Kurdenpartei PYD. Genauer gesagt: der Volksverteidigungseinheiten, die auch mit Frauengruppen (YPJ) in den syrischen Kurdengebieten kämpfen. In Deutschland sehen manche diese Truppe kritisch, weil sie auch Minderjährige rekrutiert haben soll und ihr (wie so ziemlich allen Parteien in diesem Bürgerkrieg) Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Für andere hingegen stellt sie neben den irakischen Peschmerga, die sogar von Deutschland ausgebildet und bewaffnet werden, eine der verlässlicheren Gruppierungen dar.
Ein Leben, das aus Todesgefahr und Langeweile besteht
Obwohl die kurdische Gesellschaft nach wie vor sehr patriarchalisch ist, sind Soldatinnen vollkommen akzeptiert. Schätzungen zufolge kämpfen zwischen 10.000 und 26.000 von ihnen aufseiten der kurdischen Einheiten. Nachprüfen lassen sich solche Zahlen nicht. Die Frauenbrigaden stoßen im Westen auf großes Medieninteresse, in diesem Krieg werden sie natürlich auch zu Propagandazwecken benutzt, um für die kurdische Sache zu werben.
Seit drei Jahren führt Siham nun dieses Leben, das aus einer Mischung aus Todesgefahr und Langeweile besteht. Stundenlange Feuergefechte, dann wieder wochenlanges Abwarten und Wacheschieben. Jeder Tag ist anders, erzählt Siham. „Wenn wir nicht kämpfen, diskutieren wir oft gemeinsam mit den Männern über unser Leben. Es ist nicht alles traurig und ernst. Manchmal feiern wir sogar, wir tanzen und singen.“
„Erst wenn die Frauen frei sind, werden auch die Männer frei sein“
Als Soldatin weiß Siham, dass jeder Tag ihr letzter sein kann. Erst kürzlich wurde sie in einer Schlacht verwundet. Auf der offiziellen Webseite der Frauenkampfverbände werden Dutzende Porträts gefallener Kämpferinnen ausgestellt. Märtyrerinnen heißen sie im offiziellen Sprachgebrauch. Erst nach ihrem Tod werden die Klarnamen und die Herkunft der Frauen offenbart. Auch Ausländerinnen schließen sich den kurdischen Einheiten an. Im März 2015 starb eine 19-jährige deutsche Kommunistin im Gefecht.
Siham beteuert, dass es in den Selbstverteidigungseinheiten keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gebe. „Mit unserem Kampf beweisen wir, dass wir genauso viel wert sind wie Männer.“ Sie hofft, dass die Bevölkerung in den Kurdengebieten in Sachen Gleichberechtigung von der YPJ lernt. „Wir wollen eine Zivilgesellschaft, in der Männer und Frauen dieselben Rechte haben. Erst wenn die Frauen frei sind, werden auch die Männer frei sein“, sagt sie.
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