Frau, Bannenberg, VW, Siemens, Schmiergelder und schwarze Konten: Ist Deutschland korrupter geworden?
Obwohl es sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt, glaube ich schon, dass es für einige Branchen zutrifft. Trotzdem darf man zwei Schlüsse auf keinen Fall ziehen: dass nur die Firmen betroffen sind, über die man in der Presse liest; und dass Korruption ein Phänomen der letzten Jahre ist.
Sondern?
Korruption war schon in der Nachkriegszeit an der Tagesordnung. Nur: Heute wissen wir es, die Bestechungssummen und die Fantasie der Täter sind größer geworden. Früher hat man sich die Fliesen im Bad machen lassen, heute muss es schon eine komplette japanische Gartenanlage sein. Die Wahrheit ist: Kaum ein DAX-Unternehmen, so gut wie kein mittelständisches Unternehmen und keine Kommune sind frei von Korruption.
Warum ist das so?
Weil es sich lohnt, zumindest kurzfristig, und weil das Risiko, entdeckt zu werden, immer noch viel zu gering ist. Es ist eben einfacher, jemanden mit Geld oder einem Geschenk zu einem Vertragsabschluss zu bewegen, als mit der Qualität eines Produkts zu überzeugen. Schuld sind vor allem die Strukturen, die die Korruption zulassen, weniger die Tatsache, dass da hoch kriminelle Menschen am Werk sind. Kommt jemand frisch von der Universität voller Idealismus in ein Unternehmen und stellt fest, dass es in seinem Konzern ohne Korruption nicht geht, er allein die Strukturen aber nicht ändern kann, hat er zwei Möglichkeiten: mitzumachen oder das Unternehmen zu verlassen. Die meisten machen mit.
Korruption ist ein schwammiger Begriff. Ab wann muss man ein schlechtes Gewissen haben?
Freiberufler können eine Einladung zum Essen oder ein kleines Werbegeschenk ruhig annehmen. Problematisch wird es bei Geschenken, die individuell zugeschnitten sind. Bekommt man als Journalist von einer Mode-firma eine Jacke für 500 Euro geschickt, sollte man sich schon fragen: Mögen die mich, oder soll ich positiv über sie berichten? Man sollte nur so weit gehen, dass man sich noch frei fühlt, ein neutrales oder kritisches Urteil fällen zu können. Für Angestellte oder Amtsträger einer öffentlichen Einrichtung sind schon kleinere Geschenke problematisch.
Zwingt die Konkurrenzsituation Unternehmen, ein korruptes System mitzutragen?
In der Tat behaupten viele Unternehmen, keine andere Wahl zu haben. Sie sagen: Wenn wir nicht bestechen, kommen wir gar nicht in den Markt, dann bekommen wir, vor allem im Ausland, keine Aufträge. Diese Behauptung ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Viele Geschäfte mit afrikanischen und asiatischen Ländern, in denen Korruption an der Tagesordnung ist, lohnen sich gar nicht, weil die Summen, die an Schmiergeld gezahlt werden müssen, exorbitant sind. Auf diese Geschäfte könnte man verzichten. Leider tut das so gut wie kein Unternehmen.
Warum prangert kaum ein Unternehmen korrupte Praktiken von Mitbewerbern an?
Um weiter Geschäfte in dieser Branche machen zu können. Würden sie Konkurrenten an den Pranger stellen, könnte es passieren, dass die zum Gegenschlag ausholen. Und der könnte verheerende Folgen haben, vor allem wenn die beschuldigten Unternehmen viel Macht am Markt besitzen.
Wer leidet am meisten unter der Korruption?
Der Steuerzahler. Wenn ein Amtsträger bestochen wird, zahlt der Bestechende dieses Geld niemals aus versteuertem Einkommen. Es wird vielmehr auf den Auftrag geschlagen und führt am Ende dazu, dass die Produkte, die wir in den Geschäften kaufen, teurer werden. Das kann nicht Sinn und Zweck einer Marktwirtschaft oder einer Verwaltung sein. Es geht Vertrauen verloren. Das gesamte demokratische System wird geschädigt.
Und das korrupte Unternehmen profitiert?
Kurzfristig. Wird es ertappt, können die Negativ-Berichterstattung und der damit verbundene Imageschaden zu einer Welle der Zurückweisung führen. Beispiel Siemens: Ist der Schaden für einen Konzern so hoch, wie es sich im Moment andeutet, wird man sich zukünftig überlegen, ob man damit nicht doch lieber aufhört. Und obwohl die Strafverfolgungsbehörden immer noch viel zu schlecht ausgestattet sind, ist die Gefahr gestiegen, entdeckt zu werden. Mittlerweile herrscht auch in der Bevölkerung ein Klima der Kontrolle und der Missbilligung. Die Menschen reagieren sensibler auf das Thema Korruption.
Haben alle Länder mit Korruption zu tun?
Die skandinavischen Länder gelten zumindest in Verwaltungsangelegenheiten als weitgehend korruptionsfrei. Dort können die Bürger alle Entscheidungsprozesse einsehen. Diese Transparenz macht Kumpanei, geheime Abmachungen und Absprachen unmöglich. Es gibt noch eine andere sehr interessante Begründung für die Korruptionsresistenz dieser Länder: Dort sind wesentlich mehr Frauen in Schlüsselpositionen. Die sind weniger korruptionsanfällig als Männer. Sie verstoßen seltener gegen Normen und begehen weniger Straftaten. Kommen sie in Führungspositionen, können sie die alteingesessenen Strukturen von Männerbünden aufbrechen.
Beeinflusst die EU-Erweiterung die Korruptionsbereitschaft deutscher Unternehmen?
Es ist gut, wenn in einem erweiterten Europa versucht wird, einheitliche Rechtsstandards durchzusetzen und Korruption zu ächten. Aber die Realität ist weit hinter solchen Ansprüchen zurück: Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Kontrolle der hoch korrupten Länder in Osteuropa funktionieren soll. Auf uns werden noch gravierende Formen von Korruption und Wirtschaftskriminalität zukommen. Wenn gerade junge Leute in einer Welt leben wollen, in der sie für die medizinische Versorgung ihrer Kinder oder einen Uni-Abschluss zahlen wollen – das ist in Osteuropa an der Tagesordnung –, dann sollen nur alle so weitermachen. Wenn nicht, wird es Zeit, gemeinsam dagegen anzugehen.
Und was kann der Einzelne tun?
Sich ständig fragen, ob man gerade unzulässig beeinflusst oder gekauft werden soll. Das Wichtigste aber: Man muss sich Verbündete suchen und in einem Verbund der Ehrlichkeit Zeichen setzen. Keiner darf den persönlichen Vorteil über Dinge stellen, die uns am Ende allen schaden.
Britta Bannenberg, 42, ist Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Universität
Bielefeld. Von ihr erschien u.a. Korruption in Deutschland. Portrait einer Wachstums-branche (2004, mit W. Schaupensteiner).