„Alter, Digger, fängt schon gut an, Alter.“ Jerome findet sein Zimmer nicht.

„Ich weiß nicht, welche Hosengröße ich hab.“ Julia kämpft mit dem Einkleiden.

„Das ist alles so neu für mich.“ Anna-Lena muss erst mal klarkommen.

Jeder Vierte bricht den freiwilligen Wehrdienst innerhalb der Probezeit wieder ab

Die allergrößten Probleme sind das noch nicht, mit denen die drei Jugendlichen da konfrontiert werden. Sie gehören zu den Protagonisten der Youtube-Serie „Die Rekruten“, mit der die Bundeswehr seit Dienstag im Netz um Nachwuchs wirbt. Die „Reality-Doku“ begleitet zehn junge Männer und zwei junge Frauen bei ihrer dreimonatigen Grundausbildung an einer Marinetechnikschule bei Stralsund. Zwölf Wochen jeden Tag ein neues Video auf Youtube, dazu Bildchen und Clips auf Facebook, Instagram und Snapchat, außerdem Plakate und Radiospots. Kosten: 1,7 Millionen Euro für die Serie, 6,2 Millionen Euro für die Promo drum herum.

Zwischen 2017 und 2023 sollen 14.300 neue Soldaten und 4.400 zivile Beschäftigte eingestellt werden

Die Bundeswehr steckt in Personalproblemen, vor allem seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 ist die Nachwuchsrekrutierung kein Selbstläufer mehr. Schließlich konkurriert die Freiwilligenarmee seitdem mit der Wirtschaft um gefragtes Personal wie Techniker und Ingenieure. Meist hat die Wirtschaft das bessere Ende für sich – höhere Bezahlung, in der Regel keine Lebensgefahr. Auch deshalb bemüht sich die Bundeswehr unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Kampagnen wie „Mach, was wirklich zählt“ stärker als zuvor um ein Image als moderner, auch für junge Menschen attraktiver Arbeitgeber.

Das Werben um junge Leute ist für die Bundeswehr eine Gratwanderung

Dabei ist es zumeist das Wie, das von Kritikern immer wieder einmal bemängelt wird. Kürzlich, als die Bundeswehr auf der Spielemesse Gamescom mit drei bekannten Youtubern warb und nicht preisgab, wie viel Steuergelder dafür ausgegeben wurden. Oder vor zwei Jahren, als eine Anzeige in der Onlineversion des Jugendmagazins „Bravo“ als verklärend kritisiert wurde. Und ganz aktuell, da die Rekrutenkampagne der Opposition zu teuer und beschönigend ist.

Der Etat für die Anwerbung beträgt in diesem Jahr rund 35 Millionen Euro

Das Geld sei besser in modernere Ausrüstung investiert, war in diesen Tagen mehrfach zu lesen – schließlich gilt diese seit dem Debakel um das Sturmgewehr G36 als nicht mehr zeitgemäß. Die Bundeswehr hält die rund acht Millionen Euro für die Serie dennoch für gut angelegt, schließlich sei der Youtube-Kanal laut ihren eigenen Angaben innerhalb von einer Woche mehr als eine Million Mal geklickt worden.

Die Kritik, dass die Videos nicht die „wahre“ Bundeswehr zeigten – Abenteuer, Sport, Kameradschaft statt Kampf und Tod –, weist die Bundeswehr zurück: Die Filme zeigten ein authentisches Bild der Grundausbildung, es gebe auch kein Skript. Alle Höhen und Tiefen sollen gezeigt werden.

So oder so ist das Werben um Nachwuchs für die Bundeswehr eine Gratwanderung. Einerseits will sie ganz besonders junge Menschen ansprechen, andererseits sind Kinder und Jugendliche als Zielgruppe eigentlich tabu, worauf selbst der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes schon hingewiesen hat. Kinderrechtlern missfällt außerdem, dass Jugendliche mit dem Einverständnis ihrer Eltern bereits mit 17 Jahren in die Bundeswehr eintreten können.

Jeder Fünfte verpflichtet sich nach dem freiwilligen Wehrdienst als Zeit- oder Berufssoldat

Die ersten Videos von „Die Rekruten“ sind im selfiehaften Vlog-Style gehalten, die Serie soll die Jugendlichen „in ihrer Welt“ abholen. Dort ist es offenbar eine mittlere Tragödie, wenn man seine Piercings im Dienst entfernen muss. „Alter, Digger, fängt schon gut an.“ Mal sehen, wie die Jugendlichen reagieren, wenn es dann wirklich mal unangenehm wird – und ob die Serie entsprechende Szenen überhaupt zeigt.

 

Titelbild: „Die Rekruten“/Bundeswehr