Was passiert?
In Québec, dem mehrheitlich französischsprachigen Teil Kanadas, gehen 2012 zahllose junge Menschen auf die Straße, um gegen erhöhte Studiengebühren zu demonstrieren. Die Regierung geht mit Härte gegen die Proteste vor, die Hoffnung auf eine revolutionäre Bewegung zerschlägt sich. Klas, Ordine, Tumulto und Giutizia setzen im Untergrund ihren Protest mit immer radikaleren Methoden fort. Ihr Motto: „Die Menschen wissen noch nicht, wie schlecht es ihnen geht. Wir werden es ihnen zeigen!“ Bis sie anfangen, die Gewalt auch gegen sich selbst zu richten.
Und was soll uns das zeigen?
Wie der Titel des Films schon suggeriert: Die Revolution frisst ihre Kinder. Doch das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite zeichnet der Film von Mathieu Denis und Simon Lavoie das jugendliche Bedürfnis nach, die saturierte westliche Wohlstandsgesellschaft umzustürzen. Und die Verzweiflung darüber, dass im 21. Jahrhundert eine linke Perspektive fehlt, die den Kapitalismus ernsthaft in Frage stellt.
Wie wird’s erzählt?
Als größenwahnsinniges, dreistündiges Diskurs-Epos mit unterschiedlichsten filmischen Mitteln: Denis und Lavoie wechseln immer wieder Bildformat (4:3, 16:9, Breitwand) und Farbgebung, schneiden dokumentarisches Material der Proteste in die fiktionale Handlung, werfen wortreiche Manifeste als Textinserts auf die Leinwand und lassen theaterhafte Szenen auf pure Kino-Momente folgen. Schließlich gibt es noch einen bombastischen Orchester-Soundtrack und der Filmhandlung steht eine minutenlange Ouvertüre voran. Letzteres gibt’s eigentlich nur in angestaubten Hollywood-Epen.
Stärkste Szene
Als Klas beim Dinner ihren Eltern von den Protesten erzählt, bekommt sie eine Standpauke von ihrem Vater, der seine rebellische Vergangenheit längst verdrängt hat: „Erstmal ein nützlicher Teil der Gesellschaft werden!“ Die bürgerliche Selbstgerechtigkeit, der jugendliche Protest, ein kaum lösbarer Generationenkonflikt – in dieser Szene ist alles drin. Als der Streit eskaliert, sticht Klas dem Vater mit dem Steakmesser in die Schulter und stürmt aus dem Haus.
Good Job!
Der Theoriewust, die Formatwechsel mit der Kamera, der bombastische Soundtrack – das alles könnte arg prätentiös sein, fügt sich jedoch zur konsequent-experimentellen Form, die ein revolutionärer Stoff verdient.
Was soll das denn?
Als die Gruppe nach einer fatalen Aktion zunehmend zweifelt, zündet sich eine Protagonistin aus Schuldgefühlen selbst an – im Vorgarten ihrer Mutter. Die psychopathologischen Tendenzen des Films gegen Ende schwächen eindeutig das politische Profil der Figuren.
Wieder was gelernt
Ein Großteil der überbordenden Manifeste und Pamphlete, die den Film diskursiv unterfüttern, stammt aus den 60er- und 70er-Jahren. Mit der linksextremistisch-nationalistischen FLQ (Front de libération du Québec), auf die sich der Film indirekt bezieht, gab es damals auch in Kanada eine terroristische Gruppe, die 1970 im Zuge des Ausnahmezustands von Polizei und Armee zerschlagen wurde.
Ideal für... theorieaffine, queerfeministische, linksradikale Cineasten.
„Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves“, Regie: Mathieu Denis, Simon Lavoie, mit: Charlotte Aubin, Laurent Bélanger, Emmanuelle Lussier Martinez, Gabrielle Tremblay, Kanada 2016, 183 Min.
Foto: Eva-Maude T-Champoux