„Moralisch sind die Deutschen immer vorbildlich“

Manchmal ist man unsicher, ob es nicht mehrere Politikwissenschaftler mit dem Namen Claus Leggewie gibt. Einen, der an der Justus-Liebig-Universität in Gießen Professor ist, ein anderer, der das kulturwissenschaftliche Institut in Essen leitet, einen weiteren, der Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zum Thema „Globale Umweltveränderungen“ ist, und einen, der seinen Mitmenschen in Büchern und Zeitungsartikeln die Hölle heißmacht, wenn sie sich nicht langsam für den Klimaschutz erwärmen. Es ist aber erstaunlicherweise ein und derselbe – und daher natürlich genau der Richtige, unser Gespräch zu beginnen.

Hallo, Herr Professor Leggewie. Wie viel CO2 erzeugt denn Ihr Auto?

Ich gehöre ja einer total verrotteten, fossilen Generation an, für die ein Auto ein Statussymbol ist, Ölgeruch bringt mich heute noch in Verzückung. Aber ich habe es geschafft, davon loszukommen und meinen Schlitten verkauft.

Sie wollten nicht als uncool gelten ...

Ach, da habe ich keine Sorgen. Aber für eine Rettung des Klimas muss eben nicht nur der strukturelle Wert des Autos demontiert werden – das ist ja längst geschehen – sondern auch der symbolische geopfert werden. Bei Jüngeren sieht man diesen Wertewandel am ehesten. Da sagt der 14-jährige Schüler zu seiner Mutter: Setz mich an der Ecke ab, ich will nicht, dass die Leute sehen, was wir für einen Geländewagen haben.

Es geht also nicht mehr darum, zu zeigen, wieviel Geld man hat, sondern, wie wenig CO2 man ausstößt. Warum ist CO2 überhaupt die neue Leitwährung?

Weil sich darum eine große Transformation unserer Vorstellungen von Zeit, von Politik, von den Märkten und vom guten Leben dreht, nicht mehr um Euro und Dollar oder das ewige Leben und die Hölle.

Ist das richtig so und unumstritten?

Ja, schon. Aber Reduktionsziele bewegen niemanden. Wir müssen zeigen, wo vermeintliche Verzichte Gewinne sind. Weniger ist mehr!

Und was versteht man unter einer „low carbon society“?

Eine nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die mit geringeren Treibhausgasemissionen auskommt.

Können Sie Menschen verstehen, die sagen: Was soll ich aufs Autofahren verzichten, wenn anderswo riesige Kohlekraftwerke ans Netz gehen?

Hannemann, geh du voran … Das sind doch Ausreden. Klar ist es schlecht, wenn ein uraltes Kraftwerk in Betrieb genommen wird. Aber erst einmal sollen sich die Menschen ihre Stromrechnung anschauen und die Möglichkeit ergreifen, den Stromanbieter zu wechseln. Wer das gemacht hat, darf dann auch vor einem Kohlekraftwerk demonstrieren. Der Ansatz, dass ich mich erst mal gar nicht rühren muss, bevor nicht „die Wirtschaft“ und „die Politik“ etwas gegen den Klimawandel unternehmen – der ist denkfaul und bigott.

Dennoch könnte man ja auch als gut meinender Verbraucher angesichts der Blockadehaltung der USA und Chinas eine gewisse Ohnmacht spüren.

Ach, moralisch sind die Deutschen immer vorbildlich, aber der Einzelne hier hat in den vergangenen Jahren weniger zum Klimaschutz beigetragen als der Durchschnittskalifornier. Die Bewohner der amerikanischen Westküste haben erheblich mehr für die CO2-Reduktion getan als viele andere Erdenbürger. Es gibt in den USA ein Bündnis von mehr als 600 Städten und Gemeinden, die eine Selbstverpflichtung unterschrieben und auch befolgt haben, von der deutsche Gemeinden nur träumen können. Wir nennen das „bottom up“ – von unten nach oben passiert da sehr viel. Es soll niemand sagen, dass wir nichts für den Klimaschutz tun können. Dann soll man lieber sagen: Ich will nichts tun – das ist wenigstens ehrlich.

Ist das Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen dann gar nicht so schlimm?

Kopenhagen gescheitert – woran messen Sie das? Was glauben wir denn, wie Politik abläuft? Dass da irgendwelche Gradzahlen an die Wand geworfen werden und alle unterschreiben einen weltweit verbindlichen Vertrag? Dass sich die Staatenlenker dort nicht geeinigt haben, liegt an der Architektur unseres globalen Regierens. Die UN schließt das Mehrheitsprinzip regelmäßig aus, weil man den totalen Konsens haben möchte. Aber sie können nicht so schnell einen Konsens herstellen zwischen dem Präsiden- ten der Malediven, den Saudis und den Republikanern im US-Kongress. Wir haben es in der Klimadebatte mit ganz erheblichen Differenzen zu tun ...

... die in die Sackgasse führen?

Mal sehen, aber es geht langsam voran. Nach Kopenhagen ist die Umweltdiplomatie bei dem Treffen der Umweltminister kürzlich auf dem Petersberg wieder auf Touren gekommen. Wir würden ja heute auch sagen, dass die Abrüstungsverhandlungen zu Zeiten des Kalten Kriegs sinnvoll waren – und damals haben sich die Politiker Millimeter für Millimeter auf ein Ziel zubewegt. Was den Klimawandel anbelangt, setzen wir nun auf subglobale Klimaallianzen, Koalitionen der Willigen. Das sind z. B. Deutsch- land, Japan und Brasilien im Bereich von Technologietransfers.

In Kopenhagen wurde über das Ziel gesprochen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Kritiker halten solche Zahlen für stark vereinfacht und unseriös – zumal manche Prognosen wie das dramatische Abschmelzen der Polkappen schon bei 1,5 Grad eintreten könnten.

Die Inselstaaten sagen sehr zu Recht, dass ihr Schicksal schon bei 1,5 Grad besiegelt ist. Die Insel Tuvalu werden wir nicht retten können, mit nichts. Das ist aber nicht die Schuld der heutigen Politiker, sondern ein Resultat der Überentwicklung des Plane- ten während der letzten Jahrzehnte. Wir haben mit der Zwei- Grad-Leitplanke im „Copenhagen Accord“ einen globalen Konsens geschaffen, eine handhabbare Größe, und das ist ein großer Schritt nach vorn. Auch bei den Maastricht-Kriterien sagen wir: Drei Prozent Neuverschuldung eines Landes geht noch, 3,5 Prozent geht nicht. Man braucht solche Leitplanken, gerade bei der Physik des Klimas. Politikberatung funktioniert nicht so, dass man das wissenschaftliche Wissen eins zu eins in die Köpfe der Politiker bekommt. Hinter der Zwei-Grad-Leitplanke stecken immense Rechenoperationen, die man natürlich mitliefern kann, aber die verstehen weder Entscheidungseliten noch normale Bürger. Daher müssen sie darauf vertrauen, was die Wissenschaft ihnen rät, aber der demokratische Prozess ist autonom und funktioniert nach eigenen Regeln.

Der Weltklimarat, der die Empfehlungen ausspricht, steht in der Kritik, weil er das Abschmelzen der Himalaya-Gletscher bei bleibendem CO2-Ausstoß für das Jahr 2035 vorhergesagt hat. Richtig soll das Jahr 2350 gewesen sein. Kann man da nicht die Skeptiker verstehen, die an der Erderwärmung zweifeln?

Das war ein schwerwiegender Fehler, aber eben nur einer. Dieser Zahlendreher hätte nicht sein dürfen. Da muss das interne Qualitätsmanagement verbessert werden.

Dieser Fehler hat die Republikaner in den USA dazu gebracht, die Berichte des IPCC – also des Weltklimarats – als Science-Fiction zu bezeichnen, auf deren Grundlage man keine Gesetze erlassen sollte.

Ja, so haben sie es vorher schon jahrzehntelang mit dem Rauchen gemacht. Da gab es die überwältigende wissenschaftliche Evidenz, dass Passivrauchen krank macht und dennoch hat die Lobby entsprechende Gesetze verhindert, indem sie systematisch und auf schwacher Basis Zweifel gesät hat. Das war unverantwortlich, und es ist noch unverantwortlicher beim Klimawandel.

Es gibt aber auch Wissenschaftler in Deutschland, die an den Prognosen zweifeln.

Die Klimaskeptiker unterteilen sich in drei Gruppen. Es gibt Menschen, die ihre Marktlücke darin sehen, gegen den Stachel zu löcken – ob das nun Moscheen sind oder regenerative Energien. Das sind die Witzbolde, die sich politische Unkorrektheit zum Lebensprinzip gemacht haben. Dann gibt es die Neidhammel, vor allem randständige Naturwissenschaftler, die nicht zum Zuge gekommen sind und auch gern Fördergelder hätten. Und die dritte Gruppe – und nun wird’s kriminell – sind Leute von der Energielobby. Die haben ein klares Interesse und verspielen wider besseres Wissen unsere Zukunft. Die meisten Daten des IPCC sind nicht nur valide, sondern – wo wir vergangene Prognosen schon mit aktuellen Messungen abgleichen können – untertrieben. Das kann kein Klimawandelleugner bestreiten.

Wäre also doch eine Begrenzung auf 1,5 Grad besser als auf zwei?

Natürlich, aber die Zeit scheint verstrichen, die in Kopenhagen freiwillig gemachten Zusagen versetzen uns schon in eine Drei-Grad-plus-Welt oder in extremen Zeitdruck. Zwei Grad ist ja keine Stellschraube, an der irgendwelche Staatslenker drehen, und dann geht die Temperatur herunter. Nicht die Wissenschaft muss sich politisieren, sondern die Gesellschaft. Gerade der Abschluss eines global verbindlichen Vertrages mit klaren Obergrenzen und konkreten Reduktionsetappen verlangt von uns allen, ein hohes Maß an Verantwortung und Verzicht, was sage ich: eine ziemlich radikale Umstellung unseres Lebensstils. Weniger individuelle Mobilität, weniger Verzehr importierter Nahrungsmittel wie z. B. Rindfleisch, mit weniger Wohnraum auskommen, sparsamer heizen – das muss sich jeder klarmachen und damit kann jeder gleich nach der Lektüre anfangen.

Wenn ich mir aber den Lebensstil der letzten Jahre anschaue und die Einstellungen der 14- bis 35-Jährigen, sehe ich dieses Maß an Verantwortungsbewusstsein nicht.

Für 1,5 Grad sein und den Arsch nicht hochkriegen ... klar, dass das den sofortigen totalen Verzicht auf Automobilität in Deutschland heißt. Wenn die Wirtschaftskrise anhält, dann schaffen wir es vielleicht.

Sie meinen: Die Wirtschaftskrise war gut fürs Klima?

Natürlich. Der Rückgang der Emissionen im Jahre 2009 ist bei uns einzig und allein auf die globale Wirtschaftskrise zurückzuführen. Es wird weniger produziert und konsumiert, also werden weniger Treibhausgase emittiert.

Und was schaffen wir ohne eine neue Rezession?

Wir haben ja die Technologien zur Reduzierung des CO2 oder können sie in absehbarer Zukunft mit vertretbaren Investitionen entwickeln. Wir haben auch gute Gesetze – das Einspeisegesetz, das die Abnahme von regenerativen Strom zu einem bestimmten Preis garantiert, ist ein Exportschlager in 30 bis 40 Ländern. Was fehlt, ist die breite Mitwirkung der Bevölkerung, aber die ist absolut notwendig. Deutschland ist eine unheimlich reiche Gesellschaft, in der jeder Einzelne einen großen Handlungsspielraum hat, sich aber hinter Chinesen und Amerikanern versteckt.

Sind Initiativen wie Utopia, wo Zehntausende für verantwortungsvollen Konsum eintreten, nicht ein Zeichen des Umdenkens?

Deswegen bin ich ja optimistisch. Der Wertewandel, den wir im Auge haben, läuft seit 40 Jahren und er läuft weltweit. Utopia ist genau das Richtige, eine Initiative, die das Verhalten des Einzelnen in das Zentrum rückt, die auch den kritischen Konsum als den schlafenden Riesen politischer Mobilisierung erkennt. Es gibt aber keinen sozialen Wandel ohne politische Bewegung.

Dennoch sind Sie eher pessimistisch. Ihr neuestes Buch hat als Titel eine Songzeile der Band R.E.M.: „It’s the end of the world as we know it.“

Sie kennen den Song nicht. Dessen Refrain heißt: „And I feel fine.“ Nur wer die heutige für die beste aller Welten hält, kann traurig sein, dass sie ans Ende kommt. Wir können dazu beitragen, dass diese Welt besser wird. Klimaschutzstrategien sind sogenannte „No-regret“-Strategien, das heißt: Wir werden sie auf keinen Fall bereuen, auch wenn es gar keinen Klimawandel gäbe: Der Ausbau der erneuerbaren Energien, Effizienzprogramme, intelligente Mobilität, gesündere Ernährung und urbane Verdichtung – das alles ist nicht nur gut für die Umwelt, es steigert auch die soziale Gerechtigkeit, die subjektive Lebenszufriedenheit und sichert die Zukunft der nächsten Generationen. Und nebenbei schaffen wir auch noch Arbeitsplätze und Exportchancen, vor allem im Süden der Welt. Aber noch mal: Jeder einzelne Leser dieses Interviews muss wissen, dass man nicht warten kann, bis die anderen anfangen. Man kann sofort eine große Volksbewegung starten, indem man seinen eigenen Lebensstil kritisch betrachtet und freudig ändert. Die Lebensfreude in zehn Jahren hängt da- von ab, ob man den alten oder den neuen Weg geht.


„Die Wirtschaft ist schon weiter als der Konsument“ 

So kann man es auch machen: Claudia Langer hat früher eine eigene Werbeagentur gehabt, bei deren Verkauf sie viel Geld verdiente. Anstatt sich damit ein schönes Leben zu machen, gründete sie das Webportal utopia.de, das das Leben vieler besser machen soll. Utopia setzt darauf, dass Verbraucher mit strategischem Konsum für mehr soziale Gerechtigkeit und ein besseres Klima sorgen können. Bisher funktioniert das recht gut: Drei Jahre nach der Gründung hat Utopia mehr als 55.000 Nutzer und berät inzwischen große Unternehmen in Fragen der Nachhaltigkeit.

 Hallo, Frau Langer. Herr Leggewie ist ganz angetan von den Möglichkeiten, die sich einem politisch denkenden Bürger bieten, die Welt durch seinen Konsum zu verbessern. Sehen Sie das ähnlich optimistisch?

Ja und nein. Ich sehe vor allem den Unterschied zwischen dem, was möglich ist, und dem, was tatsächlich getan wird. Der Verbraucher ist ein unsicherer Verbündeter und unsicherer Wähler, er schickt widersprüchliche Signale an Unternehmen und Politik. Er könnte die Welt verändern, aber er tut sicher nicht genug.

Meinen Sie all die Menschen, die grün wählen, aber jedes Wochenende mit Billigfliegern irgendwohin fliegen?

Klar gibt es viel Hedonismus, an dem ich verzweifeln könnte. Aber wir leben alle mit unseren Widersprüchen. Viele meiner Freunde z. B. haben „das Projekt“, in diesem Jahr „endlich“ zu einem Ökostromanbieter zu wechseln, aber keine Zeit für die drei Minuten, die man dafür benötigt. Die Masse der Menschen ist leider träge und so desinteressiert, dass sie die Welt nur noch im Privatfernsehen an sich ranlassen. Mich ärgert das aber jeden Tag. Dass die Bewussteren, die theoretisch alles wissen, auch viel zu wenig tun, ist fast noch schlimmer.

Ist der Klimaschutz nicht auch eine Frage des Geldes?

Null. Die Diskussion stehe ich locker durch. Tiefkühlpizzen und Wurst in der Plastikverpackung sind letztlich nicht viel billiger als vernünftiges Essen. Wir haben auf unserem Portal extrem vie- le Leute, die nicht so viel Geld haben – Hartz-IV-Empfänger, die viel bewusster leben als das Akademikerpaar in Prenzlauer Berg oder Schwabing, das einen viel höheren CO2-Fußabdruck hat.

Sie reden viel mit Managern über die Entwicklung nachhaltiger Produkte. Gibt es in den Unternehmen ein Umdenken?

Absolut. Ich spüre in Teilen der Wirtschaft einen grundlegenden Wandel im Bewusstsein. Viele Manager leben mit einer Ahnung, was da auf uns alle zukommt. Das Internet ist ein zusätzlicher Treiber, weil das Web 2.0 in kürzester Zeit die Reputation eines Unternehmens zerstören kann. Wenn sich früher ein Konsument beschwerte, hat man ihm eine Entschuldigung und eine Kiste Freibier geschickt. Heute ist der Unmut öffentlich. Das führt dazu, dass Unternehmen sich dem Dialog stellen und reagieren müssen.

Betreiben nicht die meisten eher eine Art »Green-Washing« – also bloße Imagepflege – anstatt wirklich etwas für den Klimaschutz zu machen? Wenn beispielsweise zwischen den ganzen Klamotten, die von Westkonzernen konventionell in Dritte-Welt-Ländern hergestellt wurden, ein paar fair gehandelte T-Shirts hängen?

Viele schon, aber eben nicht alle. Es gibt mittlerweile große Textilunternehmen, die aus eigenem Antrieb den gesamten Baumwollmarkt revolutionieren. Weil sie wissen, dass Baumwolle eine der größten Ökosünden der Welt ist. Und nun setzen sie mit ihrem Handeln Maßstäbe und die gesamte Branche unter Druck. Meine Hoffnung ist, dass eine solche Firmenpolitik der Normalfall wird und Unternehmen, denen das völlig egal ist, stigmatisiert werden. Es gab nie so ernsthafte Gespräche mit Unternehmen, wie in diesem Moment, und das gibt mir Auftrieb.

So ein Umdenken kann aber dauern ...

Es gibt schon ein massives Umdenken. Auf vielen Führungsebenen gibt es bereits eine neue Generation, die sehr von diesem Thema berührt und dafür zu begeistern ist. Die sind mit der Umwelt- und Friedensbewegung aufgewachsen und sind elektrisiert von den Möglichkeiten, die sie als Unternehmer haben. Ich habe ja lange in der Werbung gearbeitet, und früher gab es viel verhärtetere Fronten. Auf der einen Seite hieß es „Scheiß Großkonzerne“, auf der anderen „Scheiß Ökos“. Das ist mittlerweile alles durchlässiger geworden. Darum setze ich auch auf engagierte Kooperationen und nicht auf Konfrontation und Frontenbildung.

Wollen Sie damit sagen, dass die Konzerne weiter sind als die Verbraucher?

In Teilen zumindest ernsthafter bei der Sache. Und man muss feststellen, dass viele Nachhaltigkeitsanstrengungen der Firmen vom Verbraucher nicht honoriert werden. Es gibt ja in der Textilindustrie z. B. Unternehmen, die aus innerem Antrieb organic cotton anbieten, und der Kunde kauft dann doch wieder das Shirt für drei Euro. Und stellen sie sich vor, was passieren würde, wenn wir alle bei McDonald’s und Burger King nur noch vegetarische Gerichte bestellen würden.

Es ist ja auch eher unglaubwürdig, wenn eine Burger-Bude plötzlich Tofu anbietet ...

Ich bin auf Wirkung geeicht, die moralische Bewertung überlass ich anderen. Mein Beitrag ist es, möglichst viele Unternehmen davon zu überzeugen, auf Bioprodukte zu setzen.

Reden wir mal über die Utopisten. Ist Ihre Firma das Portal für das kleine gute Gewissen zwischendurch?

Der Mensch funktioniert nicht über Einsicht und nicht sehr lange über Angst. Für mich ist strategischer Konsum ein trojanisches Pferd. Ich muss niedrigschwellige Angebote machen, damit sich die Leute überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Manchmal versuche ich auch schon mal, einen Trend herbeizureden. Der neuste Trend ist z. B. Sommerfrische vor den Toren der Stadt. Ich sage dann: Hey Leute, ihr müsst nicht immer in den Flieger steigen – in der Hoffnung auf die Neugier der Menschen. Das ist ein mühsames Geschäft, denn nicht mal die Grünen-Wähler wollen verzichten. Deswegen fangen wir klein an – in der Hoffnung, dass man die Verbraucher damit anfixt, um irgendwann die Dosis zu erhöhen und sagen zu können: Du, wir müssen dir mal ein Geheimnis verraten. So ganz ohne Verzicht geht’s doch nicht.

„Die Wirtschaftsinstitute machen ständig Fehler“

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) berät vor allem Politiker in Fragen des globalen Wandels, der Klimawirkung und der nachhaltigen Entwicklung. Natur- und Sozialwissenschaftler erarbeiten hier gemeinsam Grundlagen für zukünftiges Handeln von Staaten, Gemeinden und Unternehmen. Fritz Reusswig ist seit 15 Jahren beim PIK und beschäftigt sich u. a. mit der Zukunftsfähigkeit der Städte in Zeiten des Klimawandels. Welche Rolle kann die Wissenschaft jenseits der Politberatung spielen und wie kann sie gesellschaftliches Handeln beeinflussen?

Herr Reusswig. Wir haben Mai, draußen regnet es, die Temperatur liegt bei neun Grad. Können Sie manchmal die Menschen verstehen, die an der Erderwärmung zweifeln?

Wetter ist ein stochastisches Phänomen – unterliegt also auch oft Zufallserscheinungen – das Klima aber können wir relativ gut voraussagen. Auch im Jahr 2050, wenn wir vielleicht zwei Grad Erderwärmung haben werden, wird es noch kalte Winter geben. Für mich waren die Klagen über den kalten Winter eher der Beweis für die Erwärmung. 1980 hätte sich nämlich niemand über einen normalen Winter gewundert, aber in den letzten Jahren haben wir so suppige warme Perioden gehabt, dass uns die Kälte in diesem Jahr ganz ungewöhnlich vorkam.

Auftrieb bekommen die Klimaskeptiker aber auch dadurch, dass der Weltklimarat das Verschwinden der Himalaya-Gletscher um rund 300 Jahre vorverlegt hat.

Ja, das ist ein ärgerlicher Fehler gewesen, aber jeder weiß, dass man Tausende von Seiten wieder und wieder lesen kann, und dennoch kann es am Schluss Fehler geben. Seltsam ist doch, dass Jahr für Jahr die Wirtschaftsinstitute Prognosen veröffentlichen, mit denen sie oft danebenliegen und dennoch werden sie immer wieder aufs Neue zitiert – gerade von den Zeitungen. Niemand kommt auf die Idee, an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Wenn aber der Klimarat einen Zahlendreher liefert und auf tausend Seiten statt 2035 einmal 2350 schreibt, schreien alle auf. Die Empörung hört sich ja fast an, als wäre der Himalaya gerettet, wenn wir den Fehler korrigieren.

Wie sehr hat die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft gelitten?

Er wurde natürlich politisch instrumentalisiert. In den USA ist laut neuesten Umfragen die Überzeugung, dass es überhaupt einen Klimawandel gibt, deutlich zurückgegangen. Dabei war der Wert sogar in den letzten Bush-Jahren deutlich gestiegen und 2007 schließlich in die Nähe der Umfrageergebnisse in Europa gerückt – dort hat man immer schon daran geglaubt. Aber nun hat sich der Wind durch die Diskussion um den Weltklimarat gedreht, und zwar dramatischerweise nicht bei denen, die immer skeptisch waren – die haben schon vorher nichts kapiert, sondern bei den politisch Aufgeklärten und gut Informierten.

Muss sich also an der Arbeit der Wissenschaftler etwas ändern?

Man kann sich immer verbessern, die Qualität mehr sichern. Aber ich halte nichts davon, noch wissenschaftlicher zu werden und sich mit dem IPCC von der Politikberatung abzulösen. Da würde ein hohes Gut verspielt, nämlich all die Schnittstellen zur Politik, an denen sich viel Sachverstand bündelt. Ohne das würde der Weltklimarat politisch bedeutungslos und zu einem wissenschaftlichen Gremium, das nicht gehört wird.

Kritik gibt es auch am Zwei-Grad-Ziel, weil schon 1,5 Grad Erwärmung dramatisch sind. Ist diese Zahl wissenschaftlich begründet oder ein politisches Konstrukt?

Sie ist eine Mischung aus wissenschaftlicher Aussage und politischer Bewertung. Die Wissenschaft kann nur die Natur beobachten, ohne zu bewerten. Die Politik kann die Menschen fragen: Wann tut es denn weh bei euch und was ist es euch wert, die Erwärmung zu begrenzen. Diese beiden Sphären müssen zusammenkommen und so ist auch das Zwei-Grad-Ziel entstanden. Es ist also ein Fehler, diese zwei Grad als einen wissenschaftlich ex- akten Wert zu verkaufen. Es ist viel notwendiger zu zeigen, dass es einen Wissenschafts- und einen Bewertungsanteil gibt

Fühlen Sie sich als Wissenschaftler von der Politik vereinnahmt?

Das wirft im Falle der Klimadiskussion die Frage auf, ob es in der Politik einen vernünftigen Diskurs im Sinne des Gemeinwohls gibt oder nur wissenschaftliche Erkenntnisse manipuliert werden. Ich glaube an das Erste. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht zur Kolonne der Lobbys werden. Es geht ja überall um handfeste ökonomische Interessen. Die einen sagen, wir benötigen Atomenergie, weil die CO2-neutral ist, andere sagen, wir kommen mit den regenerativen Energien hin. Da muss man unabhängig bleiben.

Wissenschaftler haben doch ein besseres Image als Politiker. Wäre es nicht an der Zeit, direkter mit den Menschen zu kommunizieren?

Ja, wir müssen offensiver werden. Wissenschaftler beraten Staaten, sie beraten nicht Unternehmen, nicht die Bürger. Die Berichte des Weltklimarats sind für die Entscheidungsträger in der Politik gedacht. Man müsste eigene Formate bilden, damit auch Kommunen und Bürger den Weltklimabericht durchdringen. Wenn ich fünf Prozent der Bevölkerung erreiche – über das Internet, über Blogs, über Zeitschriften – würde das die Akzeptanz schon deutlich erhöhen. Die Frage ist aber, wer das alles bezahlt.

Gerät der Klimaschutz durch den wirtschaftlichen Abschwung und einen schwachen Euro unter Druck?

Das ist schon so. Wenn der Euro stark ist, bleibt auch der Klimaschutz auf der Agenda, in wirtschaftlich schwachen Zeiten könnte er weggespart werden. Ich kann sogar verstehen, dass der Klimaschutz für einen Arbeitslosen nicht so wichtig ist wie ein neuer Job. Es muss aber eine Instanz geben, die uns immer wieder dar- an erinnert, wie wichtig der Erhalt der Erde und der Kampf gegen die Erderwärmung sind.

Gewarnt wird doch schon genug. Fehlt es nicht eher an verbindlichen Abmachungen, wie sie sich viele Menschen von der Konferenz in Kopenhagen erhofft haben?

Es stimmt mich schon bedenklich, dass trotz der Fünf-vor-Zwölf-Stimmung in Kopenhagen nichts herausgekommen ist. Das könnte schon demotivierend sein für die einzelnen Bürger. Aber umgekehrt kann man auch sagen, dass es klüger ist, über machbare Sachen zu reden, als über den großen globalen Konsens. Dann redet man eben über den Erhalt der Wälder oder über regenerative Energien. Gefragt sind pragmatische Lösungen für Städte, Kommunen und den Bürger. Der Großraum London hat mehr CO2-Emissionen als ganz Griechenland – London sitzt aber bei solchen Konferenzen nicht mit am Tisch. Wir können also unterhalb der globalen Ebene durchaus jede Menge machen und erreichen.