Dominik Pietzker sitzt im Konferenzraum der Berliner Werbeagentur Media Consulta, die in einer ehemaligen Schuhfabrik in Berlin-Mitte residiert. In das alte Gebäude an der Wassergasse ist viel Hightech eingezogen. In die furnierte Frontwand des Konferenzraumes sind eisgraue Bildschirme eingelassen, an der Seite hängt eine große Leinwand für den PC-Projektor. Hier verkauft Pietzker "Illusionen, die zu Herzen gehen", wie er das nennt. Pietzker arbeitet als Creative Director bei Media Consulta. Der 37-Jährige trägt ein T-Shirt mit V-Ausschnitt und dunkelblaue Jeans zu hellbraunen Wildlederschuhen.
Ein Sonnyboy mit Zahnpastalächeln. Germanistik, Geschichte und Philosophie hat er studiert und am Ende seinen Doktor gemacht. Dann lockten Freiheit und Abenteuer, sagt er süffisant. "Aber auch das angeblich große Geld, das in der Werbung gemacht wird." Statt Goethe nachzuspüren, sucht Pietzker nun nach zündenden Sprüchen und Slogans. Bei den Kopfgeburten der Kreativen unterscheidet er zwischen "So-what-Ideen" und "Boa-ey-Ideen". Die erste Gattung wird "gleich in die Tonne gekloppt". Mit einer "Boa-ey-Idee" lassen sich manchmal Millionen machen. Pietzker hat eine Nase dafür, er muss sie haben. "Der Wettbewerb ist unerbittlich. Mittelmaß wird nicht akzeptiert."
Eine der größten Kampagnen, die Media Consulta bislang gemacht hat, begann im Herbst 2001 mit einer schlanken Zeile. "Feel free to say no." Aus diesen fünf Worten entstand der Claim für eine europaweite Werbung gegen das Rauchen. Ausgeschrieben worden war die Informationskampagne von der Europäischen Kommission. Zielgruppe waren 14- bis 18-Jährige in 15 EU-Ländern. Es gab einen Gesamtwerbeetat von insgesamt 18 Millionen Euro. Unter mehr als zwanzig Agenturen machten die Kreativen aus der Berliner Schuhfabrik das Rennen. "Der Claim der Kampagne lädt dazu ein, wirkliche Freiheit zu genießen", sagt Pietzker. Skelette oder unappetitliche Röntgenbilder mit Lungenkrebs waren für die Berliner Werber tabu. "Der erhobene Zeigefinger war ein absolutes No-no", erläutert er die Vorgaben an das Team.
Jugendliche beginnen mit dem Rauchen "nicht wegen des Geschmacks, sondern aus Imagegründen", erklärten Wissenschaftler den Werbern bei der Vorbereitung. Deshalb, sagt Pietzker, seien die Kernbotschaften der Kampagne nicht als Verbot oder Warnung inszeniert, sondern "auf emotionale, sympathische und kreative Weise kommuniziert" worden. Auch Zigaretten- und Alkoholprodukte werben mit den Emotionen der Freiheit. "Wir haben uns gegen den Mainstream gestellt und Mäh statt Muh gemacht", sagt Pietzker, "Guerillamarketing" nennen die Experten solche Praktiken. Dabei gehe es darum, mit einem begrenzten Finanzbudget "Formen zu finden, die mit Gewohnheiten brechen und Konventionen unterlaufen". Bei der Imagekampagne für das Nichtrauchen werde Jugendlichen etwas erlaubt, was ihnen in der Regel nicht gestattet ist, sagt Pietzker: "nein zu sagen". Nein zu Drogenmissbrauch und Abhängigkeit, zu Gruppenzwang und Uniformität, zu Zigaretten und Nikotin.
"Die wirkliche Freiheit ist die Freiheit, nein zu sagen", hämmern die Macher der Kampagne auf Plakaten und in TV- und Kinospots. Ihre Zielgruppe, die Jugendlichen, stellen sie als "Zielscheibe", "Sklave" und "Opfer" der mächtigen Tabakindustrie dar. Für ihren Nichtraucherfeldzug hat die EU-Kommission prominente Unterstützer wie den Europäischen Fußballverband UEFA gefunden. Fußballer wie Luis Figo, Zinedine Zidane oder Michael Ballack flöten die Botschaft auf Eurosport und bei MTV. Zahlreiche Fernsehsender in Europa stellten kostenlose Werbezeiten zur Verfügung. Mit internationalen Popstars wie Moby oder Sophie Ellis Bextor wurden Kinospots abgedreht: "No future for cigarettes."
Zwischen 2002 und 2004 erzielte der Werbefeldzug laut Media Consulta europaweit eine Milliarde Kontakte. Demnach konnten jedes Jahr etwa 36,6 Millionen Jugendliche zehnmal erreicht werden. Das ist viel und wenig zugleich. Nach wissenschaftlichen Studien nimmt sich der Magazinleser für eine Anzeige gerade noch 1,2 Sekunden Zeit, pro Tag prasseln 75 Botschaften auf einen Bundesbürger ein. Die Hälfte hat er bereits nach 24 Stunden wieder vergessen. "Fast alle Werbebotschaften verpuffen Tag für Tag im Weltraum", sagt der Werber Rainer Baginski. "Ein ungeheurer Ideen- und Kapitalverschleiß, ein Festival der unentwegten Misserfolge." Doch deshalb wird nicht weniger, sondern immer noch mehr Werbung gemacht. Verstärkt setzt die Werbung auf Gefühle.
Bierbrauer segeln in die Karibik, der Strom aus der Steckdose bekommt eine Farbe, Automobilhersteller werben kaum mehr mit technischen Details, sondern mit Fahrgefühl. Es werden Erlebniswelten aufgebaut. Jede Zeit hat ihre eigenen Werte. "Wir sind froh, wenn der Nagel drei Jahre hält", sagt Pietzker. Die Eiswerbung aus den 1980er-Jahren, in der ein Lederjackentyp ("Nogger dir einen!") breitbeinig vor seinem Porsche posiert, wäre nach Einschätzung Pietzkers heute nicht mehr machbar. "Die Leute haben Machos und Sexismus über." Und die Freiheit? "Die Freiheit ist keine Mode", sagt Pietzker. Die habe immer Konjunktur: "Danach sehnt sich jeder Mensch. Schon seit Jahrtausenden."