Als die »Polarstern« im Januar 2009 in See sticht, um in das Gebiet zwischen dem 40. und 50. Grad südlicher Breite vorzudringen, das man wegen der heftigen Westwinde auch die „Donnernden Vierziger“ nennt, ist die Vorfreude der deutschen und indischen Wissenschaftler an Bord groß. „Wir versammelten uns am Peildeck des Forschungsschiffes, vor uns die große blaue Weite, hinter uns die funkelnden Lichter Kapstadts, gebettet in den Schoß des Tafelbergs, die langsam aus unserem Sichtfeld verschwanden“, schreiben die Expeditionsleiter. Das Ziel des Schiffes, ein Meereswirbel in den Südpolargewässern, ist nach ein paar Tagen erreicht. Auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern versetzen die Forscher das Meer mit insgesamt sechs Tonnen gelöstem Eisen – Sie wollen damit einen gigantischen Algenteppich wachsen lassen, der zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre binden soll. In den Worten der Expeditionsleiter klingt das so: „Die Zugabe einer sehr geringen Menge Eisen im Bereich des Südpolarmeeres ist vergleichbar mit dem Gießen eines von Dürren geprägten Landstriches: Pflanzen erwachen zum Leben, beginnen zu wachsen und ernähren die Tiere und Mikroben, die auf sie angewiesen sind.
Ist das womöglich die Lösung des Klimaproblems? Kann ein Algenteppich das CO2 binden, das die Menschen in die Atmosphäre abgeben? Umweltschützer protestieren weltweit gegen solche Experimente. Die Düngung der Meere könne das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen, argumentieren sie. In Deutschland stritten sich der Umweltminister und die Forschungsministerin über die Fahrt der Polarstern. Doch nach ein paar Wochen war klar, dass das Experiment keine Naturkatastrophe auslöst und auch wahrscheinlich nicht die Lösung für das Klimaproblem ist. Stattdessen war das bescheidene Ergebnis für alle überraschend: Krebse fressen die Pflanzen auf, bevor sie richtig wachsen können.
Die Krebse haben großen Hunger
Obwohl die Eisendüngung des Meeres damit vorerst gescheitert ist, hatte die Reise ins Südpolarmeer zumindest einen Effekt: Sie verschaffte dem Thema Geo-Engineering zum ersten Mal eine große Öffentlichkeit. Dabei ist die Idee, dass Menschen den Planeten optimieren, um die von ihnen ausgelöste Klimaveränderung rückgängig zu machen, an sich nicht neu, sondern schon rund drei Jahrzehnte alt. „In den 80er-Jahren war das Thema aber politisch nicht salonfähig, weil alle gesagt haben, es ist zu gefährlich, wir können so einen Eingriff nicht wirklich beherrschen“, sagt der Umweltethiker Konrad Ott. Heute ist es vor allem der Eindruck, dass die Politik im Kampf gegen die Erderwärmung versagt hat, der den Anhängern des Geo-Engineerings Auftrieb verschafft.
Warum also nicht einfach Millionen kleiner Aluminiumballons in die Stratosphäre entsenden, wo sie die Erde gegen Strahlen abschirmen sollen, wie Edward Teller, der Erfinder der Wasserstoffbombe, vorschlug? Längst sind es nicht mehr nur die Anhänger von Science-Fiction- Fantasien, die Gefallen an einer solchen schnellen Lösung für das Problem finden – selbst wenn diese riskant und teuer ist. „Nach der ergebnislosen Klimakonferenz von Kopenhagen kam die Diskussion über Geo-Engineering zurück, aber diesmal mit Macht. Man kann sie nicht mehr unter den Teppich kehren, sondern muss sich ihr irgendwie stellen“, sagt Konrad Ott.
Grundsätzlich lassen sich die Geo-Ingenieure in zwei Lager unterteilen: Die einen wollen die Sonnenstrahlung besser abschirmen und so die Erderwärmung stoppen oder zumindest verlangsamen. Die anderen wollen das CO2 einfangen, in dem sie die Speicherfähigkeit der Erde erhöhen, zum Beispiel durch einen Algenteppich im Meer. Am stärksten ist die Bewegung in den USA. Dort sind es vor allem ehemalige Klimaskeptiker, die sich nun für die abenteuerlichsten Pläne stark machen. Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen will die Stratosphäre mit Millionen Tonnen von Schwefeldioxid anreichern, um die Wolkenbildung zu stärken. Das Ziel ist ein sogenannter Pinatubo- Effekt: 1991 hatte der philippinische Vulkan Pinatubo so viel Staub in die Atmosphäre geblasen, dass die globale Temperatur zeitweise um 0,5 Grad absank. Doch das Schwefeldioxid hält sich in der Stratosphäre nur ein bis zwei Jahre – es müsste also kontinuierlich injiziert werden. Außerdem sind Wechselwirkungen mit anderen Substanzen noch nicht erforscht. Andere wollen Tausende Roboterschiffe auf die Meere schicken, von denen aus künstliche Wolken zum Himmel gesendet werden, und wieder andere machen sich für reflektierende Schichten im Weltall oder auf den Ozeanen stark.
Ist Geo-Engineering eine „schlechte Idee, deren Zeit gekommen ist“? So sieht es zumindest der amerikanische Autor Eli Kintisch, der vor Kurzem sein Buch „Hack the Planet“ zum Thema veröffentlichte. „Der Frontverlauf ist jetzt klar erkennbar. Auf der einen Seite sind die modernen Romantiker, die Geo-Engineering als eine Verletzung der Rolle des Menschen als bescheidener Bewohner des Planeten verstehen. Auf der anderen Seite die Rationalisten, die glauben, dass es einfach mehr technologische Lösungen braucht, um das Leiden zu minimieren“, sagt er. Meistens argumentieren die Befürworter von Geo-Engineering damit, dass Eingriffe in die Natur das kleinere Übel seien. Schließlich gehe es ja um die Rettung der Welt. „WomöEnergieunternehmen wie der Stromkonzern Vattenfall, der in den Ketziner CO2-Speicher investiert, feiern diese Technologie bereits als ökologische Revolution. Lobbyisten werben sogar schon jetzt damit, dass Energie aus Kohle – die mitlich haben wir gar keine Wahl, ob wir die Rolle von Göttern einnehmen wollen oder tatenlos bleiben werden. Katastrophen könnten uns in Zukunft die Entscheidung abnehmen“, warnt Eli Kintisch. Der Umweltethiker Konrad Ott lässt sich auf derartige Argumente nicht ein. „Ich frage lieber: Was könnte ich tun, um zukünftigen Generationen ein solches Dilemma zu ersparen? Für mich ist CO2- Reduktion nach wie vor die Voraussetzung dafür, dass wir uns halbwegs passabel anpassen können.“
1991 blies der philippinische Vulkan Pinatubo so viel Staub in die Atmosphäre, dass es prompt weltweit kälter wurde
Auch in Ketzin, in der Nähe von Potsdam, wird an Geo-Engineering gearbeitet. Auf einem Feld haben Forscher drei Schächte in die Tiefe gebohrt, zwei für Messsonden und einen für das CO2, das von Tanklastwagen aus durch Rohre in die Sandsteinschichten im Untergrund gepumpt wird. Hier wollen sie untersuchen, ob sich das Gas langfristig, also für ein paar Tausend Jahre speichern lässt. Eine Tonschicht, die über dem Sandstein liegt, soll verhindern, dass das CO2 zurück an die Erdoberfläche gelangt. Die Speicherstätte, ein ehemaliges Erdgasreservoir in 400 Meter Tiefe, muss absolut dicht sein, denn ausströmendes CO2 ist potenziell tödlich. Schon Konzentrationen von über zehn Prozent in der Atemluft führen zur Bewusstlosigkeit. Im Jahr 1986 starben rund 2.000 Menschen, nachdem eine CO2-Wolke aus dem Kratersee eines erloschenen Vulkanes in Kamerun aufgestiegen war.
Energieunternehmen wie der Stromkonzern Vattenfall, der in den Ketziner CO2-Speicher investiert, feiern diese Technologie bereits als ökologische Revolution. Lobbyisten werben sogar schon jetzt damit, dass Energie aus Kohle – die mit Abstand am meisten CO2 von allen Kraftwerksarten emittiert – bald sauber sei. Umweltverbände wie der BUND oder Greenpeace lehnen CO2-Speicherung hingegen ab. Die Endlagerung des Abgases sei hochriskant und behindere die Umstellung auf erneuerbare Energie. Einen neuen Schub hat die Diskussion um Geo-Engineering im vergangenen Herbst bekommen. Die renommierte Royal Society aus England erklärte, dass, obwohl die Reduktion von Treibhausgasen die Priorität Nummer eins bleiben müsse, Geo-Engineering ein denkbarer Plan B sei. Von allen Vorschlägen sei die Anreicherung der Stratosphäre mit Schwefeldioxid am erfolgversprechendsten.
Im März dieses Jahres versammelten sich im kalifornischen Küstenstädtchen Pacific Grove bereits über 200 Forscher, um die Weichen für die Manipulation des Erdklimas zu stellen. Mit dabei waren auch Vertreter von Firmen, die große Profite mit Geo-Engineering erwarten, wenn diese Methoden erst einmal in den Emissionsrechtehandel einbezogen werden. Wer den Planeten überhaupt „hacken“ darf, ob einzelne Staaten im Alleingang oder nur die Weltgemeinschaft, klärten sie nicht. Immerhin rangen sie sich in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung zu der Formulierung durch, die Diskussion über Geo-Engineering müsse „in Demut“ geführt werden. Von Aufforstung und Naturschutz war aber nicht die Rede.