David Jacob und Philipp Kühn, beide Mitte 20, haben lange überlegt, was sie tun können. Bei der Suche nach Wohnungen helfen? Die Neuen, rund eine Million im vergangenen Jahr gekommenen Flüchtlinge, durch den Bürokratie-Dschungel begleiten? Ihnen die Sprache vermitteln? Sie gingen in Flüchtlingsunterkünfte und sprachen mit den Leuten dort. Was braucht ihr am dringendsten? „Ganz oft haben wir von den Flüchtlingen gehört, dass sie unbedingt arbeiten wollen“, sagt Jacob. Also gründeten sie eine Jobbörse nur für Flüchtlinge: Seit Sommer 2015 ist workeer.de online. Eine 46-jährige Frau aus dem Iran hat ein Inserat aufgegeben und sucht einen Job als Köchin. Ein Mann aus Uganda, seit vier Monaten im Land, schreibt: „I am highly motivated and I like to learn a lot here in Germany.“
Doch Motivation allein reicht nicht. Um schnell einen Job zu finden, muss man meist eine gewisse Schulbildung mitbringen, und daran hapert es manchmal. Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2014 sind ein Viertel aller Befragten aus den Hauptzuzugsländern nicht länger als vier Jahre zur Schule gegangen. Der überwiegende Teil hatte weder eine Berufsausbildung noch ein Studium absolviert. Das alles macht die Integration nicht leichter und wirft Fragen auf, von denen wir hier einige zu beantworten versuchen.
Wer darf überhaupt arbeiten?
Grundsätzlich gilt: Wer Asyl beantragt, darf in den ersten drei Monaten gar nicht arbeiten. Bis zu 15 Monaten Aufenthaltsdauer in Deutschland gilt die sogenannte Vorrangprüfung, bei der die Arbeitsagentur der Arbeitsaufnahme zustimmen muss: Eine Stelle dürfen Asylbewerber unter anderem nur antreten, wenn kein ebenso qualifizierter Arbeitnehmer aus Deutschland oder einem anderen EU-Land in Frage kommt. Gleiches gilt für Ausländer, die geduldet sind – also keinen Aufenthaltstitel haben, aber nicht direkt abgeschoben werden. Anerkannte Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis dürfen uneingeschränkt arbeiten und sich auch selbstständig machen.
Müssen wir also zu den knapp drei Millionen Arbeitslosen gleich mal eine Million hinzuaddieren?
Nein, sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte am IAB, dem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. Von der Million müsse man viele wieder abziehen: diejenigen, die bereits weitergezogen sind, diejenigen, die direkt einen Job finden (auch wenn das wenige sind), diejenigen, deren Asylverfahren keinen Erfolg haben werden (was einige mehr sein dürften). Und selbst diejenigen, die bleiben werden, tauchen erst mit Verzug in den Statistiken der Arbeitsagenturen auf. Ihre Asylanträge müssen bearbeitet werden, im Schnitt dauert das ein gutes halbes Jahr, manchmal auch länger. Im Oktober 2015 rechnete die Bundesagentur für Arbeit für 2016 durch die Flüchtlingsbewegung mit 130.000 Arbeitslosen zusätzlich – eine Schätzung, die „mit großen Unsicherheiten behaftet“ ist, wie die Forscher schreiben. Gleichzeitig finden wegen der guten Wirtschaftslage viele Einheimische eine Stelle. Unterm Strich steigt die Arbeitslosenzahl laut einer Umfrage unter Volkswirten deutscher Großbanken in diesem Jahr um 70.000.
Wo werden Arbeitskräfte benötigt?
Wo Deutschland besonders dankbar für ausländische Arbeitskräfte ist, steht in der sogenannten Liste der Mangelberufe (www.arbeitsagentur.de/positivliste), die regelmäßig aktualisiert wird. Derzeit führt die Arbeitsagentur darin rund 130 Tätigkeiten auf, darunter Exoten wie Kühlhauswärter, Unterwasserschweißer oder Hörgeräteakustikmeister. Technik- und Pflegeberufe dominieren die Liste; hier ist das Angebot an Arbeitskräften im Inland knapp. Wer nach Deutschland kommt und seine Qualifikation auf der Liste findet, hat Glück – vorausgesetzt, der ausländische Abschluss wird hier anerkannt. In dem Fall kann man schon während des Asylverfahrens direkt in den Beruf einsteigen, ohne dass die Arbeitsagentur prüfen muss, ob es nicht einen deutschen Bewerber für die Stelle gibt. Einen einfachen Weg in den Arbeitsmarkt gibt es auch für hoch qualifizierte Akademiker aus Nicht-EU-Staaten: Sie können eine sogenannte „Blaue Karte EU“ bekommen, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit einem bestimmten Mindestgehalt vorweisen können. 2014 wurden aber nur knapp 12.000 Blaue Karten verteilt.
Finden sich unter den Flüchtlingen die begehrten Fachkräfte?
So recht weiß das niemand. Die ersten Schätzungen des IAB weisen darauf hin, dass sie im Schnitt eher schlechter qualifiziert sind als deutsche Arbeitnehmer. In den letzten Jahren, also vor der „Flüchtlingskrise“, waren die Neuzuwanderer ziemlich hoch qualifiziert, im Schnitt besser als die Deutschen. Allerdings sind die jetzigen Flüchtlinge überdurchschnittlich jung, so dass sie möglicherweise schneller dazu lernen als Ältere.
Wo können Leute mit begrenzten Deutschkenntnissen gerade gut einsteigen?
Nichts geht ohne die Sprache. Deswegen bekommen nun knapp 50 Syrer, Iraker, Iraner, Marokkaner und andere neu Zugewanderte in Berlin Unterricht, jeden Sonntag. Die Sprachen, die Ehrenamtliche ihnen in der frisch gestarteten „ReDI School of Digital Integration“ beibringen, heißen: Ruby. Java. HTML. Die Flüchtlinge lernen programmieren. „In der Start-up-Szene kommt es nicht auf Abschlüsse an, sondern auf die Fertigkeiten, die jemand mitbringt“, sagt Özlem Buran, die in der Initiative arbeitet. „Vielen Firmen ist es gar nicht wichtig, ob jemand Deutsch kann. Die Arbeitssprache ist oft Englisch.“ Und die IT-Szene sucht Fachkräfte: Manche Tech-Firmen sind so froh über die Initiative, dass sie direkt Laptops spendeten und sich zu Recruiting-Vorträgen angemeldet haben. Die IT-Branche ist allerdings eine Ausnahme; daneben gibt es auch einige einfache Tätigkeiten etwa bei der Gebäudereinigung oder in Großküchen – Jobs, die keine vertieften Kenntnisse der deutschen Grammatik verlangen, die in der Regel aber auch kaum Perspektiven bieten. „Es gibt immer wieder Bereiche, wo man mit wenig Deutsch gut arbeiten kann“, sagt Migrationsforscher Herbert Brücker vom IAB. „Im überwiegenden Teil des Arbeitsmarktes braucht man aber die Sprache.“
Was kann die Politik tun, damit Flüchtlinge schnell Arbeit bekommen?
Lutz Haases Agentur FTWK ist eine dieser Berliner IT-Schmieden – und seit jeher internatio-nal. Rund die Hälfte der 16 Mitarbeiter kommt aus dem Ausland. Vor einigen Monaten stellte Haase ein Inserat in die Flüchtlingsjobbörse workeer.de ein – und fand im Nu einen syrischen IT-Experten. „Die Chemie passt einfach“, sagt Haase. Aber ehe Haases Wunschkandidat Bassel mit dem Programmieren anfangen konnte, mussten die Behörden überzeugt werden. Für die Arbeitsagentur setzte Haase ein Empfehlungsschreiben auf, in dem er darlegte, warum nur dieser junge Mann aus Syrien für die Stelle geeignet ist und kein Deutscher – da das Asylverfahren noch lief, galt die Vorrangprüfung. „Es hat relativ unkompliziert geklappt“, sagt Haase. Nicht immer ist das so einfach: Mitunter bleiben Stellen unbesetzt, weil lange geprüft wird, ob es nicht doch noch einen gleich qualifizierten einheimischen Erwerbslosen gibt. Wirtschaftsvertreter fordern daher, die Vorrangprüfung ganz auszusetzen – zumindest für Menschen, deren Asylantrag gute Aussichten auf Erfolg hat. Eine Erleichterung hat der Bundestag immerhin im Juli schon beschlossen: Geduldete Jugendliche, die nicht aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, können nun häufiger bis zum Ende ihrer Ausbildung in Deutschland bleiben. Rechtssicherheit ist neben der Sprache eines der großen Arbeitsmarkthemmnisse für Flüchtlinge: Unternehmen möchten sichergehen können, dass ihre Arbeitnehmer auch bei ihnen bleiben.
Werden die Abschlüsse der Migranten anerkannt?
Waschen, schneiden, legen: hatte er alles gelernt. Aber als Haias 2002 nach Deutschland kam, galt das nicht mehr. Die Behörden ließen ihn nicht arbeiten. Das Nichtstun quälte ihn, sagt Haias, heute 35 Jahre alt, „es macht dich verrückt“. Also tat er, was er am besten konnte: Er schnitt anderen die Haare, im Flüchtlingsheim in Mannheim, für fünf Euro, schwarz. Irgendwann wollte Haias, der eigentlich anders heißt, seinen eigenen Salon aufmachen. Doch um -einen Friseursalon zu eröffnen, braucht man in den meisten Fällen einen Meisterbrief. Als Haias den Irak verließ, ließ er alles zurück, nicht einmal einen Pass trug er bei sich. In solchen Fällen läuft die Anerkennung in Deutschland über eine Qualifikationsanalyse. Das heißt: Man zeigt ganz praktisch, was man kann. An einem Montag im Januar ist Haias zu einem Friseurmeister nach Schwetzingen gefahren, zusammen mit drei Freiwilligen, die sich ihm als Modelle angeboten hatten. Föhnen, färben, schneiden, rasieren. Alles kein Problem. Nur die Dauerwelle war ungewohnt. „Das lernt man im Irak nicht, keine Frau will so etwas“, sagt er. Geklappt hat es natürlich trotzdem: Jetzt ist Haias als Friseurgeselle gemäß der deutschen Handwerksordnung anerkannt. Als Nächstes will er den Meister machen.
Seit dem 1. April 2012 haben Zuwanderer das Recht, ihre Berufsabschlüsse von den Kammern oder anderen zuständigen Stellen auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Referenzberuf bewerten zu lassen, was in vielen – insbesondere reglementierten – Berufen Vo-raussetzung dafür ist, in diesem Beruf arbeiten oder sich selbstständig machen zu dürfen, so etwa im zulassungspflichtigen Handwerk, für Ärzte, Krankenpfleger oder Apotheker.
Geraten durch die Flüchtlinge andere Arbeitnehmer unter Druck, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten?
Es müssen nicht alle zwangsläufig ausländerfeindlich sein, die wegen der Flüchtlinge besorgt sind. Regaleinräumer, Hilfsköche oder Putzkräfte sehen nun viele kommen, die ebenfalls einfache Arbeit machen könnten, auch für weniger Geld. Diese Sorgen sind nicht unplausibel. Der Ökonom Albrecht Glitz hat in einer Studie untersucht, ob die in den 90er-Jahren eingewanderten Spät-aussiedler einheimische Arbeitskräfte verdrängten. Das Ergebnis: Ja, aber nur zum Teil. Für zehn Zuwanderer, die einen Job fanden, verloren drei ansässige Personen ihre Arbeit – oder fanden keine. Im
Moment spricht viel dafür, dass in der Debatte die Sorgen um Jobverluste stark überzeichnet werden, meint Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom IAB. Erstens ist die Zahl der Flüchtlinge, die tatsächlich in den Arbeitsmarkt drängen, immer noch gering – verglichen mit mehr als 40 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland. Und zweitens bemühen sich die Flüchtlinge vor allem um die Jobs, die schon jetzt zu einem großen Teil von Migranten erledigt werden. „Flüchtlinge konkurrieren kaum mit deutschen Arbeitnehmern um Arbeitsplätze“, sagt Brücker. „Sie konkurrieren eher mit den Zuwanderern, die schon länger hier sind.“
Bild: Patrice Letarnec