150 Meter ist die Schlange vorm SO36 in Berlin-Kreuzberg lang, es sind größtenteils Menschen im studentischen Alter, längst nicht alle passen rein. Das Thema bewegt ganz offenbar: „Linker Populismus“, darum soll es gehen.
Und die Diskussion nimmt gerade gehörig Schwung auf: Populisten geben vor, die Sprache des „kleinen Mannes“ zu sprechen und natürlich auch dessen Sorgen zu kennen, während die Parteien der Mitte als „die da oben“ angeblich längst den Kontakt zum Volk verloren haben.
Die Rechten sind damit erfolgreich. Und die Linken? Sind ratlos. Vielleicht weiß ja die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe Rat, die heute Abend im SO36 zu Gast ist. Sie plädiert „für einen linken Populismus“. So heißt auch ihr kürzlich erschienener Essay (Suhrkamp), den sie weniger als Analyse denn als „politische Intervention“ verstanden wissen will. Denn für Mouffe hat der Populismus zu Unrecht ein schlechtes Image, und die Linke täte gut daran, sich sein Handwerkszeug stärker zunutze zu machen.
Nach der Finanzkrise 2008 verlangten die Menschen wieder nach Alternativen
In schnellem Vortrag erklärt sie ihre Ideen: Wir – Westeuropäer*innen, das ist Mouffes Bezugsrahmen – leben in einer Postdemokratie. Seit vor zwei Jahrzehnten sogar die sozialdemokratischen Parteien neoliberale Ideen übernommen haben, hätten die Menschen keine echte Alternative mehr. Dazu kommt die wachsende Ungleichverteilung des Wohlstands.
Als schließlich durch die Finanzkrise von 2008 die neoliberale Wirtschaftspolitik in die Krise rutschte, kam es zum „populistischen Moment“, wie Mouffe ihn nennt: Die Menschen verlangen wieder nach Alternativen, was vor allem den Rechten Auftrieb bringt.
Wie nun ein linker Populismus aussehen könnte, das umreißt Mouffe eher vage und bewusst ohne konkrete Inhalte. Populismus ist für sie vor allem eine Methode, eine „diskursive Strategie zur Schaffung von Konfliktlinien“. „Wir gegen sie“, darauf kommt es an, aber eben nicht gegen „die Ausländer“ und auch nicht, wie die Linke das früher gemacht hat, nur ausschließlich entlang von Klassengrenzen und gegen das Kapital.
Linkssein und Populismus – lässt sich das vereinbaren?
Auch sollten Linke bitte nicht immer so rationalistisch sein. Die Wirkmacht von Emotionen und Affekten würde gern unterschätzt und den Rechten überlassen – ein Fehler für Mouffe. Und: Veränderung geht nur in der Regierung. Radikalopposition gegen das System lehnt sie ab, das Ziel müsse es natürlich sein, Wahlen zu gewinnen und dann auch wirklich was zu verändern. Die liberale Demokratie will Chantal Mouffe nämlich nicht angreifen oder abschaffen, sondern radikalisieren.
Als Diskussionspartnerin von Chantal Mouffe sitzt Katja Kipping auf dem Podium, die Co-Vorsitzende der Linkspartei. Doch sie nimmt an diesem Abend nicht die Rolle derjenigen ein, die eine grundsätzliche Vereinbarkeit von Linkssein und Populismus infrage stellt; die noch mal tiefer bei Mouffe nachbohrt, wie sie die Risiken von linkem Populismus umgehen will, etwa dass er die grell geführten Debatten noch weiter aufheizt und damit den Rechten hilft, dass er die gesellschaftliche Spaltung möglicherweise vertieft; die wissen will, wie eine Konstruktion von Feindeslinien mit einem linken pluralistischen Gesellschaftsbild zusammengeht.
Volk nicht von der Abstammung her denken
Immerhin: Auf einige Kritikpunkte an ihren Ideen war Mouffe vorab schon selbst eingegangen: Wie kann man populistisch wirken, ohne dass es ins Autoritäre, Undemokratische umschlägt? Auf jeden Fall solle man das „Volk“, das im Wort Populismus ja direkt enthalten ist, nicht von der Abstammung her denken, sagt Mouffe, sondern vom „Demos“, als politische Konstruktion.
Verschiedene Gruppen, Feministinnen, Arbeiterklasse, die Umweltbewegung usw. sollten sich entlang der geschaffenen Konfliktlinien zusammentun. Dabei bräuchten sie möglichst ein Symbol, um das herum sie sich konstituieren können, und das könne auch eine, Achtung!, Führungspersönlichkeit sein. Das sei nicht per se undemokratisch, denn so eine Führungsperson müsse ja nicht autoritär auftreten, sie könnte genauso gut ein „Primus inter Pares“ sein, dafür nannte Mouffe übrigens den Chef der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn, als Beispiel. Jegliche Zweifel konnte sie damit sicher nicht zerstreuen – sicher ist jedoch, dass die Diskussion um linken Populismus noch nicht zu Ende ist.
Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus, Suhrkamp 2018, 111 Seiten, 14 Euro
Titelbild: Marcus Hoehn/laif
Fotos: Michael Brake