Worum geht’s?
Der Amerikaner Kenneth Feinberg ist Anwalt, spezialisiert auf das Aushandeln von Entschädigungszahlungen. Seit Jahrzehnten ist er ganz vorne dabei, oft im Namen der US-Regierung, aber auch im Auftrag von Unternehmen. Mit Vietnam-Veteranen, die durch den Einsatz des Schädlingsvernichtungsmittels Agent Orange krank geworden waren, hatte er es in den 1980er-Jahren zu tun. Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 verhandelte er hohe Entschädigungssummen für die Hinterbliebenen der Opfer. Und auch mit den Folgen der von BP verursachten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko befasste er sich. Der Film begleitet Feinberg bei seiner schwierigen Arbeit, gibt aber auch der anderen Seite, jener der Geschädigten, viel Raum: Was ist ein Menschenleben wert? Warum wird das Leben des einen höher bewertet als das eines anderen? Und wer ist Feinberg, dass gerade er darüber entscheiden darf?
Was soll uns das zeigen?
Dieses Geld bringe keine Freude, sagt an einer Stelle die Mutter eines Feuerwehrmanns, der mit 35 Jahren beim Einsatz am World Trade Center starb. Es sei Blutgeld. 500.000 Dollar hat die Frau bekommen, sehr viel Geld, und doch viel weniger, als den Hinterbliebenen von Investmentbankern oder Anwälten gezahlt wurde – deren hohe Gehälter ihren Familien einen Lebensstandard ermöglicht hatten, auf den diese auch nach dem Tod der Hauptverdiener nicht verzichten sollen. Ist das gerecht? Oder zynisch? Der Film stellt diese Art von Fragen – und lässt sie schmerzhaft ungelöst im Raum stehen. Er zeigt schlicht, wie das System funktioniert: ein System, das auch Mr. Feinberg zur Perfektion betrieben hat und das, wie er selbst einmal erklärt, vor allem dazu dient, für Ruhe zu sorgen. Denn wer sich auf eine Entschädigungszahlung eingelassen hat, verzichtet damit auf sein Recht zu klagen.
Wie wird’s erzählt?
Es gehört ja heutzutage zum guten Ton, im Dokumentarfilm keinen Off-Kommentar zu verwenden. Gegen dieses Konzept ist aus ästhetischer Sicht nichts einzuwenden, inhaltlich ist es manchmal problematisch. Denn durch das Fehlen einer identifizierbaren Erzählstimme wird eine Objektivität vorgegaukelt, die es in Reinform gar nicht geben kann. Letztlich findet die Manipulation des Zuschauers damit auf einem viel subtileren Level statt als bei einem Film, der seine Perspektive deutlich herausstellt. Es ist nicht leicht zu sagen, inwieweit in „Playing God“ eine solche Manipulation stattfindet. Aber was tatsächlich irritiert bei diesem so nüchtern daherkommenden Nacheinander von talking heads, Interviews und dokumentarischen Filmschnipseln, ist der Eindruck, dass das Bild trotz allem unvollständig bleibt. Von manchen wird Feinberg, wenn es gut läuft, wie ein Heilsbringer betrachtet; aber zweifellos ruft die ethisch prekäre Arbeit, die er macht, auch sehr viel Kritik hervor. Das bleibt nicht unerwähnt, erschöpft sich jedoch in Andeutungen. Nur ein einziger aktiver Feinberg-Kritiker wird vor die Kamera geholt, ein sehr freundlicher Krabbenfischer, der die Entschädigungszahlungen nach der großen BP-Ölpest für unzureichend hält.
Beste Szene
Seine stärksten Momente hat der Film, wenn die Schicksale einzelner Personen erlebbar werden. Hochemotional geht es auf einer Versammlung zu, die Feinberg mit Menschen abhält, deren Rentenfonds nach der Finanzkrise vor dem Aus stehen. Im hautnahen Zusammentreffen mit den Arbeitern, die Angst um ihre Alterssicherung haben, zeigt sich zum einen das enorme Spannungsfeld, in dem der Anwalt agieren muss, zum anderen die Lückenhaftigkeit des amerikanischen Sozialsystems. Und zum Dritten auch noch: die riesige soziale Kluft zwischen den armen Rentnern und dem hochbezahlten Anwalt, an den sie geradezu messianische Erwartungen knüpfen.
Ideal für …
… alle, die nicht die schnelle, klare Antwort suchen. Je länger man zusieht, desto weniger ist man sich sicher, was man denken soll. Wann ist eine Entschädigungszahlung gut und richtig, und wann ist es absurd und ungerecht, Menschenleben, Gesundheits- und Umweltschäden mit Geld gegenzurechnen? Ist Kenneth Feinberg ein Kämpfer für größtmögliche Gerechtigkeit oder ein gekaufter Knecht der herrschenden Klasse? Und was ist das nur für ein Gesellschaftssystem, in dem Geld als Ersatz für soziale Verantwortung fungiert? Es sind sehr viele offene Fragen, mit denen dieser Film uns sitzen lässt. Das muss man erst einmal aushalten.
„Playing God“, Deutschland 2017; Buch und Regie: Karin Jurschick, 90 Minuten