1. Wie viel man lernt, liegt vor allem am Lehrer.

Wenn es so etwas gibt wie einen Messias unter den Paukern, dann ist es Stavros Louca. Als der Mathelehrer die 9a der Johannes-Schule im schwedischen Malmö übernahm, war sie eine der schlechtesten Klassen ganz Schwedens. Doch der Superlehrer führte die Loser an die Landesspitze – ein Fernsehteam hatte das Experiment begleitet und Schweden damit vor einigen Jahren in Aufruhr versetzt. Kann ein Lehrer wirklich so viel ausrichten? Er kann. Das ist auch das Fazit des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie, der Tausende Studien zum Lernerfolg ausgewertet hat. Nicht die Klassengröße, nicht die Mitschüler – sondern die Lehrerin und der Lehrer, die an der Tafel stehen, machen den Unterschied. Ein guter Lehrer unterrichtet strukturiert, geht genau auf das Vorwissen der Schüler ein, statt starr den Stoff durchzuziehen. Er hat hohe Ansprüche und schafft gleichzeitig ein Klima, in dem niemand Fehler fürchten muss. Interessant auch: Viele Lehrmoden wie Freiarbeit oder jahrgangsübergreifender Unterricht sind Hatties Studie zufolge weitgehend wirkungslos.

2. Lehrer wird nur, wem nichts Besseres einfällt.

Fragt man sie, dann geben überraschend viele Lehrer an, dass sie ihren Beruf aus Überzeugung gewählt haben: Einer aktuellen Umfrage zufolge, die die private Vodafone Stiftung Deutschland beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben hat, macht rund 70 Prozent der Lehrer der Beruf Freude. 81 Prozent sind Lehrer geworden, weil sie gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollten. 72 Prozent wollten einen Beruf, in dem sie anderen etwas beibringen können. Was aber auch stimmt: 20 Prozent der jungen Lehrer erleben einen Praxisschock, viele ältere sind ausgebrannt. 21 Prozent aller Lehrer, die 2010 in Pension gingen, waren dienstunfähig, so das Statistische Bundesamt. Andererseits: Bei den übrigen Beamten gibt es genauso viele Frühverrentungen.

3. Lehrer werden selbst nicht gern bewertet.

Eine rabiate Methode, um für Ruhe zu sorgen: Er warf einfach den Schlüsselbund durch den Raum. „Als wir uns dann beschweren wollten, meinte der Lehrer, wir hätten ja keine Beweise“, berichtet ein Schüler aus der zwölften Klasse. „Lehrer sitzen immer am längeren Hebel“, klagt eine Elftklässlerin. Der Landesschülerrat Brandenburg hat Erfahrungen wie diese gesammelt. Der Eindruck: Lehrer mögen es nicht, wenn ihre Schüler sie kritisieren. In der Allensbach-Umfrage gaben nur 30 Prozent der Lehrer an, dass sie regelmäßige Beurteilungen durch die Schüler für sinnvoll halten – wobei jüngere Lehrer schon deutlich offener sind als ältere. Damit sich Lehrer öfter das Feedback ihrer Schüler einholen, hat die Politik in Berlin und Brandenburg sogar ein offizielles Internetportal geschaffen. Seit 2008 haben Lehrer ihre Schüler 3.300-mal gebeten, den Unterricht über den Online-Fragebogen zu bewerten – das ist wenig bei 29.000 Lehrern, die in Berlin und Brandenburg unterrichten. „Die Lehrer, die das Portal nutzen, sind aber positiv überrascht, dass die Schüler ehrlich antworten und den Fragebogen nicht zur persönlichen Rache gebrauchen“, sagt Holger Gärtner, der am Institut für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg e. V. für das Projekt verantwortlich ist. Und vieles, was einen guten Unterricht ausmacht, ist für einen Lehrer auf Anhieb gar nicht zu erkennen – etwa, ob wirklich eine angstfreie Atmosphäre in der Klasse herrscht.

4. Lehrer geben ungerechte Noten.

Ein und derselbe Schüleraufsatz – einmal heißt der Verfasser Kevin, einmal Maximilian. Bekommen beide dieselbe Note? Schön wär’s. Eine Pädagogikstudentin der Uni Oldenburg hat für ihre Abschlussarbeit den Versuch gemacht und den fiktiven Aufsatz mehr als 200 Lehrern vorgelegt. Das Ergebnis: Wer einen angeblichen „Unterschichtsnamen“ wie eben Kevin trägt, wird schlechter bewertet. Für Jungen ist der Namensnachteil sogar besonders groß. Das Ergebnis deckt sich mit vielen anderen Studien, die zeigen, dass Lehrer eben nicht nur die Leistung benoten. Sie macht zwar einen großen Teil der Note aus. Aber auch die soziale Herkunft spielt eine Rolle: Professorenkinder bekommen tendenziell bessere Zeugnisse als Kinder aus Hartz-IV-Familien – bei gleichen Leistungen.

5. Lehrer entscheiden leichtsinnig über die Zukunft von Kindern.

Herr Trautwein, wie kommt es, dass Lehrer so ungerecht bewerten?

Ulrich Trautwein: Notengebung ist komplex, und Lehrer werden in ihrer Ausbildung unzureichend darauf vorbereitet. Dazu kommt, dass die Kultusministerien oft nur vage Vorgaben machen, welche Leistung zum Beispiel eine Eins und welche eine Vier verdient. Das sorgt dafür, dass subjektive Eindrücke, Einstellungen und Überzeugungen der Lehrkräfte, die im Bewertungsprozess nichts zu suchen haben, in die Notengebung einfließen.

Ist das nicht fatal? Am Ende der Grundschulzeit bekommen begabte Kinder aus bildungsfernen Schichten wesentlich seltener eine Gymnasialempfehlung. Anscheinend gehen Lehrer ziemlich leichtfertig mit der Zukunft der Schüler um, Chancengleichheit ist ihnen wohl ein Fremdwort …

Trautwein: Viele Lehrkräfte leiden unter der Aufgabe, solche Schulempfehlungen abgeben zu müssen, und entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Vermutlich berücksichtigen die Lehrkräfte bewusst oder unbewusst, dass Kinder aus bildungsfernen Familien überdurchschnittlich häufig am Gymnasium scheitern, weil es ihnen an Unterstützung durch das Schulsystem fehlt. Eine objektiv ungerechte Empfehlung kann aus dem Blickwinkel der einzelnen Lehrkraft dann durchaus Sinn ergeben.

Ist es nicht gerechter, wenn nach der Grundschule einfach die Eltern entscheiden, auf welche Schule ihr Kind gehen soll?

Trautwein: Nein, eben nicht. Die Elternentscheidungen sind nämlich noch stärker mit der sozialen Herkunft verknüpft als die Lehrerempfehlung. Wenn die Eltern frei entscheiden und es keine zusätzlichen Maßnahmen gibt, wie zum Beispiel verpflichtende Beratungsgespräche mit den Lehrern, dürften die sozialen Unterschiede eher noch größer werden.

Wie könnte man Noten und Schulempfehlungen gerechter machen?

Trautwein: Indem man die zu benotenden Leistungen und Verhaltensweisen klar definiert und standardisiert, für alle Schüler eines Landes gleiche Leistungstests einbezieht. Zudem müssen die Lehrkräfte besser geschult und für das Thema sensibilisiert werden. Und wir müssen dafür sorgen, dass alle Kinder eine faire Chance erhalten, die geforderten Kompetenzen zu erwerben.

Ulrich Trautwein ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

6. Lehrer jammern ständig über den Niveauverfall der Schüler.

Adolf Hitler hat die Mauer gebaut. Sarrazin ist eine Säure. Und wenn sie sich gegenseitig das Wort „Spast“ an den Kopf werfen, denken sie, es handle sich dabei um einen kleinen Vogel mit einem ähnlichen Namen. Liest man das Internetblog der Lehrerin „Frau Freitag“, richtiger Name unbekannt, bekommt man den Eindruck, die Jugend von heute wäre eine einzige Bildungs- und Benimmkatastrophe. Im vergangenen Jahr kamen Frau Freitags Anekdoten als Buch heraus: „Chill mal, Frau Freitag“, das direkt zum Bestseller wurde. Es scheint einer geplagten Pädagogenheerschar aus der Seele zu sprechen: Fast die Hälfte aller Lehrer glaubt der Allensbach-Umfrage zufolge, dass der Unterricht und der Umgang mit Schülern in den letzten Jahren anstrengender geworden sind. Seltsam. Denn der neuseeländische Politikwissenschaftler James Flynn hat festgestellt, dass der durchschnittliche IQ im vergangenen Jahrhundert in jeder Generation gestiegen ist. In Deutschland machen heute mehr Schüler denn je das Abitur, auch die PISA-Ergebnisse sind eher besser als schlechter geworden. Und ob das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom wirklich zugenommen hat, bezweifeln viele Psychologen – vielleicht wird es auch nur besser diagnostiziert. Der Bildungsforscher Ulrich Trautwein hat eine Erklärung dafür, warum Lehrer trotzdem zum Immerschlimmer- Eindruck kommen: Die Hauptschulen leeren sich und lassen die Problemfälle zurück, während die Gymnasien voller werden und kaum noch der Lehranstalt der pflegeleichten Elite von früher entsprechen. So haben alle den Eindruck, dass das Niveau sinkt – auch wenn insgesamt das Gegenteil stimmt.

7. Zum guten Lehrer muss man geboren sein.

Herr Hahn, auf dem Schülerportal Spickmich.de wurden Sie zum beliebtesten Lehrer Deutschlands gewählt – mit der Gesamtnote 1,2. Liegt das daran, dass Sie selbst so gute Noten geben?

Jan Hahn: Nein. Ich bin auch definitiv nicht der Kumpeltyp. Das wäre wahrscheinlich auch nicht das, was sich Schüler wünschen.

Sondern?

Guter Unterricht ist einer, der die Schüler ernst nimmt und vor allem dort abholt, wo sie stehen. Ich darf sie weder überfordern noch unterfordern. Und das ist unheimlich schwer. Wenn ich eine Musikklasse übernehme, sind darin Schüler, die kaum musiziert haben, und solche, die schon seit Jahren ein Instrument spielen. Ich muss dann Arrangements schreiben, die jedem gerecht werden. Manchmal ist es den Jungen im Stimmbruch auch peinlich zu singen. Da hilft es, wenn sie die Rhythmen übernehmen: Duum dagdag duum.

Kann man guten Unterricht lernen?

Ich denke, vieles ist tatsächlich reines Handwerk. Ich habe Kollegen, vor denen ich unheimlich Respekt habe und auf deren Rat ich immer wieder angewiesen bin. Ich bin ja selbst noch ein Greenhorn. Die Auszeichnung ist mir ihnen gegenüber unangenehm.

Jan Hahn, 33, unterrichtet Musik und Geschichte an der Theodor-Storm-Schule in Husum.