In einem großen Topf brodelt eine braune Suppe, in der Pflanzenrinde und Blätter schwimmen. Bis zu drei Tage köchelt der schlammige Sud vor sich hin, dann haben sich die bewusstseinsverändernden Bestandteile der gekochten Pflanzen so weit gelöst, dass ein Schnapsglas der Mischung ausreicht, um für Stunden die Sinneswahrnehmung zu verändern: Manche berichten von farbenprächtigen Halluzinationen, von Euphorie, andere von anstrengenden Kopfreisen und der Angst, verrückt zu werden. Dazu kommen oft Brechreiz, Durchfall, Schwindelgefühle und Schweißausbrüche.
Klingt nicht gerade verlockend, und dennoch erfreut sich Ayahuasca, oder Yagé, wie es auch heißt, immer größerer Beliebtheit. Längst nicht mehr nur bei den indigenen Völkern im Amazonasbecken, die es für spirituelle Rituale zur Gesundung von Körper und Geist einsetzen, sondern weltweit bei Menschen, die sich von der Einnahme einer psychoaktiven Substanz eine neue Einstellung zu sich und der Welt versprechen – oder auch nur einen massiven Drogenrausch.
Immer mehr Start-ups schicken ihre Mitarbeiter zur Bewusstseinserweiterung
Ayahuasca, die „Liane der Geister“, wie das Gebräu auf Quechua heißt, wird von den Medizinmännern in Peru, Kolumbien und Brasilien schon lange für medizinische und rituelle Zwecke genutzt, im Amazonasbecken ist die Zeremonie mit dem halluzinogenen Getränk Teil einer jahrhundertealten Kultur und Identität. Selbst Kinder nehmen daran teil. Auch sie sollen ihr Bewusstsein erweitern, sich selbst besser kennenlernen. Dass man sich nach der Einnahme des bitter schmeckenden Gebräus meist erbrechen muss, wird als reinigender Effekt betrachtet.
Eine Zeremonie dauert meist eine ganze Nacht, typischerweise findet sie in malocas statt, traditionellen Gemeinschaftshäusern ohne Außenwände. Sie beginnt spätabends, wenn die Teilnehmer es sich in Hängematten oder auf Matratzen gemütlich gemacht haben. Vor dem „Altar“ des Schamanen bekommt einer nach dem anderen einen Becher ausgeschenkt, vorsichtshalber haben alle einen Kotzeimer vor sich. Nach ein, zwei Stunden bietet der Schamane einen zweiten Becher an, dann beginnt die Musik – der Schamane und seine Assistenten singen und spielen Gitarre, Maultrommel oder Flöte. Oft singen sie noch früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht und viele Teilnehmer vor sich hin dösen.
Bereits 1963 wurde die Droge über das Amazonasgebiet hinaus bekannt, als der Beat-Poet Allen Ginsberg in dem Buch „The Yage Letters“ über seine Erfahrungen damit schrieb. Heute schwören Prominente wie die Schauspielerin Lindsay Lohan oder Sting auf das Gebräu, Netflix zeigte bereits zwei Filme zum Thema. Die Doku „Drink the Jungle“ auf der Webseite der Firma Onnit, einem kalifornischen Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, dürfte mit dafür gesorgt haben, dass Ayahuasca auch im Silicon Valley Beachtung findet: Immer mehr Start-ups schicken ihre Mitarbeiter zur Selbstfindung und Bewusstseinserweiterung in den Dschungel und erhoffen sich dadurch eine Optimierung ihrer Arbeitskraft.
Befürworter glauben, dass die Droge sogar Drogensucht kurieren kann
Mittlerweile gibt es in Peru zahlreiche Landstriche voller Ayahuasca-Resorts. Allein in der Region um Iquitos, der größten Stadt im tropischen Regenwald von Peru, sind bereits 60 bis 70 Zentren auf den Dschungelcocktail spezialisiert, schätzt der Wissenschaftler Carlos Suárez Álvarez, der die ökonomischen und kulturellen Entwicklungen im Amazonasgebiet für sein Buch „Ayahuasca, Iquitos and Monster Vorāx“ untersuchte. Für eine Woche „Therapie“ zahlen die Besucher in der Regel um die 1.000 US-Dollar, inklusive Schlammbädern, Yogastunden und diverser Ausflüge. Allein in Iquitos erwirtschafteten die zehn größten Zentren gut sechs Millionen Dollar pro Jahr, hat Carlos Suárez berechnet.
„Ayahuasca erobert die Welt, und die Welt erobert Ayahuasca“, sagt Suárez. So habe sich der Preis der Pflanze zwischen 2010 und 2016 verdreifacht. Auf den Märkten der Einheimischen koste das Gebräu in der Literflasche schon mal 200 Dollar, fast die Hälfte eines durchschnittlichen Monatsgehalts. In zehn Jahren, sagt Suárez, sei die Liane von einer unbekannten zu einer der teuersten Pflanzen der Region geworden. Manche Schamanen fänden kaum noch die notwendigen Zutaten im Dschungel, viele Gegenden seien abgeerntet oder die Pflanzen samt Wurzel ausgerissen worden. Dass die Liane aussterbe, sei dennoch nicht zu erwarten, sagt Suárez – dafür sei sie viel zu lukrativ. Tatsächlich haben peruanische Geschäftsleute bereits begonnen, sie im großen Stil auf Plantagen anzubauen.
Der Boom treibt aber nicht nur die Preise hoch und bedroht eine jahrhundertealte Kultur, er ruft auch viele Pfuscher auf den Plan, die wenig Ahnung haben vom komplexen Zusammenhang zwischen menschlichem Geist und tropischer Fauna. Sie klären zu wenig über mögliche Nebenwirkungen auf, manchmal mischen sie auch gefährliche Substanzen in den Trunk.
Die Ausbildung zum Schamanen dauert 30 Jahre
Während Kritiker vor psychischen Erkrankungen warnen, glauben die Befürworter von Ayahuasca ganz im Gegenteil fest daran, dass die Droge eine Psychotherapie überflüssig machen und sogar Drogensucht kurieren kann. Der französische Arzt Jacques Mabit kam einst über „Ärzte ohne Grenzen“ nach Peru und gründete 1992 eine Klinik für traditionelle Ayahuasca-Zeremonien. Das Startgeld bekam er von der EU, dazu kamen Spenden – auch heute noch. Vor allem aber finanziert er das Zentrum über die Therapie von Drogenabhängigen, die teils Tausende Euro für mehrmonatige Aufenthalte zahlen. Dabei stehen den Schamanen auch Ärzte und Psychologen aus der westlichen Welt zur Seite. „Die blinde Liebe zum Geld befördert allerdings die Kommerzialisierung der Medizin und ihren Missbrauch“, sagt Mabit. „Viele Weiße setzen sich Federkronen auf und nennen sich Schamanen, um Geld zu machen. Das ist auch ein Mangel an Respekt gegenüber der Kultur.“ Zudem würden nicht alle Schamanen gleichermaßen vom Boom profitieren: „Aber Yagé hat manchen Indigenen erstmals zu ein wenig Reichtum verholfen“, sagt der kolumbianische Schamane Juan Jamioy.
Peru hat über 31 Millionen Einwohner und ist neben Bolivien eins der südamerikanischen Länder, in denen besonders viele Indigene leben – in den Regenwäldern sogar ein paar Tausend, die zu den isolierten Völkern gerechnet werden, also keinen oder kaum Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft haben.
Doch es gibt auch einige Volksgruppen, die sich gern am großen Business beteiligen würden – aber nicht wissen, wie sie Touristen werben, Touren organisieren oder die Zeremonien auf deren Bedürfnisse zuschneiden sollen. So trage ausgerechnet zur sozialen Spaltung bei, was einst das friedliche Miteinander förderte, sagt der Wissenschaftler Suárez. Für die Indigenen seien die Ayahuasca-Zeremonien auch ein Mittel gegen häusliche Gewalt oder Alkoholismus, so Mabit. „Sie sind ein soziales Event, bei dem Freundschaften entstehen und Probleme gelöst werden. Ein Prozess der kollektiven und individuellen Heilung.“
Auch bei Familientreffen gehören solche Zeremonien zur Tradition, berichtet der Schamane Juan. „Das ist wichtig, damit sich auch Kinder schon früh mit der Energie und dem Universum verbinden, ihre Talente erkennen und entfalten können.“ Einer seiner Söhne ist gerade 18 geworden und weiß sehr genau, was er will: Er hat jetzt seine 30 Jahre dauernde Ausbildung zum Schamanen angefangen.
In den sozialen Medien kann man dagegen beobachten, wie weit sich das Ritual von seinem Ursprung entfernt hat: Obwohl die Droge in Deutschland nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten ist, werden zahllose Wochenend-Retreats für 300 bis 400 Euro angepriesen. Nicht nur vom Gesetz, auch von der Magie des Dschungels ist man dann auf jeden Fall ziemlich weit entfernt.
Fotos: Eitan Abramovich/AFP/Getty Images