Der Artikel fängt nett an. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, wünscht der Verfasser, aber schon dann wird es gruselig: »Wir dürfen doch du sagen, Michel, nicht wahr? Gewiss, du kennst uns nicht. Aber wir wissen sehr viel über dich. Du bistheterosexuell und Single. Im Frühjahr 2008 hattest du eine Geschichte mit Claudia, charmant, kleine Brüste, kurzes Haar, schöne Beine.« Dazu druckte das Magazin Bilder: Eine Umarmung am 31. Mai, Händchenhalten am 22. Juni.
Als der 29-jährige Michel aus Mérignac seine Geschichte im Magazin »Le Tigre« gelesen hatte, konnte er mehrere Nächte nicht schlafen. Danach entschloss er sich, gegen das Medium, das so ungeniert aus seiner Privatsphäre geplaudert hatte, zu klagen. Doch die Anwälte machten ihm wenig Hoffnung: Denn alles, was »Le Tigre« verbreitet hatte, war zuvor von Michel selbst ins Netz gestellt worden; auf Seiten wie »Youtube«, »Facebook« und »Flickr«. Aber erst der gedruckte Artikel hatte ihm vor Augen geführt, wie viel er von sich schon preisgegeben hatte.
Michel war nicht der einzige Leser, der im Magazin ein Porträt über sich lesen musste. Die Redakteure von »Le Tigre« haben es sich in der Rubrik »Das Google-Porträt« zur Aufgabe gemacht, ihre Leser für das Thema Datenschutz zu sensibilisieren – auf die brutale Tour. Bei Michel hat die Lektion auf alle Fälle gewirkt, er versuchte anschließend, im Internet so viel wie möglich von sich zu löschen. Nur eines hatten die Magazin- Redakteure nicht von ihm herausgefunden – seine Adresse, um ihm das Porträt per Post zu schicken. »Aber«, so schließt der Artikel, »die brauchen wir auch nicht, um dir dein Porträt zu schicken. Du kennst es ja schon, dein Leben.« Freiwillig löschte »Le Tigre« auf seinen Wunsch zumindest in der Online-Ausgabe die persönlichsten Dinge und anonymisierte die Handynummer. Für Michel sei es ein »heilsamer Schock« gewesen, sagt ein Redakteur des Magazins. »Die Naivität und der Exhibitionismus vieler Menschen sind grenzenlos.«