Krisenzeiten provozieren das Nachdenken über Selbstverständliches. Gerade weil das Regime des Geldes nicht mehr funktioniert, kommt die Frage auf, was eigentlich gilt oder gelten soll. Plötzlich wird als gesellschaftliche Verabredung, ja als Zwang deutlich, was vorher schon fast als natürlich erschienen war.
Geld ist weniger ein Ding als ein System von Zeichen und Regeln, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in Zahlen fassen, tauschbar und messbar machen. Geldfragen sind immer auch Machtfragen. Die Schulden der einen sind die Vermögen der anderen. Das klingt symmetrischer, als es in Wirklichkeit ist. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich die Umverteilung mit den globalen Finanzkreisläufen vergrößert, ist die Asymmetrie zwischen den Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Gläubigern und Schuldnern stark gewachsen. Das System des Geldes wird politisch, weil grundsätzliche Fragen ins allgemeine Bewusstsein drängen: Sind die Schulden gerechtfertigt? Sind die Vermögen gerecht verteilt? Wer hat wie viel zu erwarten? Das Instrument des Schuldenerlasses und die damit einhergehende Umverteilung von Geldvermögen stehen wieder auf der Agenda politischen Handelns. Und die Regulierung des Geldwesens: Die Abkoppelung der Finanzsphäre von fast allen Bindungen an reale Produktionen und Dienstleistungen wird zum Thema. In Europa gerät mit dem Euro als transnationaler Währung das gesamte europäische Projekt in eine Krise, und die Schwierigkeiten und Paradoxien politischer Entscheidungen werden öffentlich.
Es ist eine der historischen Tendenzen des Kapitalismus, immer mehr Bereiche des Lebens in Geldkreisläufe einzubeziehen, sie als Warenform zu reorganisieren: Wissenschaft, Bildung, Kultur, soziale Beziehungen. Das hat völlig neue Dynamiken und Möglichkeiten zur Folge, aber auch Einengungen, neue Beschränktheiten. Deshalb gilt das Streiten über Geld immer auch der Frage: Wie wollen wir leben? In Zeiten digitaler Netzwerke ist auch das Geld digital geworden, zirkuliert nahezu in Lichtgeschwindigkeit um die Welt. Aber auch neue Formen des Geldes und gemeinsamen Investierens bedienen sich dieser Möglichkeiten vernetzter Medien. Mit den Regionalwährungen wird der Versuch unternommen, eine Rückbindung des gespenstischen Kreislaufs des Geldes an reale und überschaubare Gemeinschaften zu realisieren. Die Geschichte des Geldes hat vielleicht gerade erst begonnen.
Thorsten Schilling