Im letzten Jahr sind mehr als eine Million Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die einfache Frage „Wie geht es weiter?“ wird nun zum Angelpunkt vieler Auseinandersetzungen. Wie kann der innere Zusammenhalt und soziale Ausgleich der Gesellschaft besser gelingen? Was muss bei Bildung, Arbeitsmarktzugang oder in der Wohnungsfrage anders, neu gemacht werden?

Die Debatten und politischen Entscheidungen werden in vielen Bereichen ein Katalysator für die Neubestimmung der Politik und der Gesellschaft als Ganzes. Fragen der Integration sind bei uns so aus den Randbezirken der öffentlichen Wahrnehmung in deren Zentrum gerückt.

Wir fangen dabei aber nicht bei null an. Mehr als 16,4 Millionen Menschen hierzulande haben einen Migrationshintergrund, bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil derer, die auch nichtdeutsche Wurzeln haben, schon bei rund einem Drittel. Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, und es wird sich dessen zunehmend bewusst. Im Alltag vieler Kommunen ist das schon lange angekommen. Das ist ein Reservoir für den selbstbewussten und auf die eigenen Kräfte vertrauenden Umgang mit den aktuellen Krisen.

Integration hat Millionen Gesichter und Geschichten, sie ist ein generationsübergreifender, widersprüchlicher und dynamischer Prozess. Es geht, aber nicht ohne Konflikte. Und es braucht sehr lang. Ein Blick in die Geschichte, zum Beispiel der des Einwanderungslandes USA, aber auch in die verschiedenen Migrationskulturen hierzulande zeigt das. Vielleicht brauchen wir einen erneuerten Realismus – eine selbstbewusste Bestandsaufnahme dessen, was gelungen ist, worauf sich aufbauen lässt, und dessen, was ohne eine Neubestimmung zu einer Gefahr für das Ganze geraten kann. Denn Integration ist komplex, kein Automatismus. Wenn sie gelingt, bereichert das die Vielfalt der Gesellschaft, schafft neue Möglichkeiten für alle.

Integration scheitert aber auch immer wieder. Es bilden sich kriminelle Szenen bis hin zur organisierten Kriminalität. Oder es etablieren sich Milieus, die unseren in der Verfassung verankerten Grundwerten distanziert bis feindlich gegenüberstehen. Die Auseinandersetzung um die Anerkennung von Frauenrechten im Islam zeigt das. Solche Krisen zu ignorieren oder kleinzureden hilft vielleicht zur Beruhigung im Moment, ist aber auf Dauer gefährlich. Desintegration bildet dann eine wechselseitige Dynamik von Segregation, herrschender Ignoranz, Alltagsrassismus und zunehmender Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. Das kann dann wie in den Vorstädten Frankreichs Formen eines kalten Bürgerkriegs annehmen, der auf das ganze Land ausstrahlt.

Debatten um Integration sind immer auch ein Spiegel der eigenen Vorstellungen von Gesellschaft. Verhandelt werden dabei Wertefragen – was ist uns wichtig, welche Forderungen sollen verbindlich gelten, welche Möglichkeiten lassen wir zu? Wie stellen wir uns das Zusammenleben vor – als eine homogene, geschlossene Gemeinschaft? Als offene Gesellschaft, die Vielfalt aushält und deren Konflikte auszutragen lernt? Was macht uns eigentlich als Land oder Nation aus? Wer sollen „wir“ sein? Das wird mit den jetzt wieder beginnenden Prozessen der Integration auf Jahre hinaus neu bestimmt werden.