Angst ist mehr als ein Gefühl. Beim Nachdenken über das Feld der kursierenden Ängste begegnen wir den Schnittstellen von persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Übergänge sind fließend und spannungsreich. Die eigenen Ängste treten oft als stille Macht auf. Sie ziehen uns zurück, halten uns im Bereich des vermeintlich Sicheren fest. Wird das als Blockade erfahren, beginnt das Nachdenken über mögliche Wege aus der Angst.
Wachsendes Selbstbewusstsein beginnt damit, die Ängste zum Sprechen zu bringen und sich dazu zu verhalten. Dann kann es sehr schnell politisch werden, nicht zuletzt im eigenen sozialen Nahraum. Die an uns herangetragenen und von uns übernommenen Erwartungen von Eltern, Freunden und der weiteren Umwelt, der allgegenwärtige Konkurrenzdruck können zum Thema werden. So kommen die Fragen nach der eigenen Entwicklungsperspektive in den Blick: Wer steht mir bei? Wem kann ich vertrauen, was will ich mir selbst zutrauen?
Wer diesen Fragen gegenüber offen ist, erfährt alle, auch Angst erzeugende Verhältnisse als veränderbar. Dieser aktivierende Aspekt der Angst wird häufig vergessen, doch gerade er ist ihre wichtigste Konsequenz: Wer sich seiner Angst stellt, sucht auch nach einem Ausweg. Dann wird die persönliche Sicherheitszone verlassen – sei es, um sich in dynamischen Märkten zu behaupten und neue Geschäftsmodelle auszuprobieren oder um gegen politische Unterdrückung aufzustehen, wie junge Menschen in Ägypten, Hongkong oder der Ukraine.
Aber bei uns gibt es auch Menschen, die fundamentale Ängste haben müssen. Die nicht wissen, ob sie die Nacht auf der Straße überleben. Oder ob sie bald in ihr Heimatland abgeschoben werden, in dem blutige Konflikte den Alltag bestimmen. Ihre Ängste sind nicht nur ein Spiegel, sondern auch die Warnsignale für gesellschaftliche Konflikte.
Wer die Ängste der Menschen im Griff hat, hat in gewissem Maß sie selbst im Griff. Wie überall, wo Macht verteilt wird, gibt es Akteure, die diffuse Ängste im eigenen Interesse gezielt schüren. Das Spiel beherrschen viele – Medien, Unternehmen, Politik. Umgekehrt gilt auch, dass Populisten da leichtes Spiel haben, wo die entscheidenden Eliten allgemeine Ängste ignorieren oder unterschätzen.
Eine wichtige Verbündete der Angstkultur ist die Bequemlichkeit des Konformismus, der vorschnelle Rückzug auf das Vorgegebene. Die Arbeit der Veränderung ist dagegen nicht leicht, aber sie kann befreiend wirken. Die Forderung danach richtet sich immer an beide, das Selbst und die Umwelt. Charakterbildung trägt deshalb Züge einer politischen Ökologie der Affekte. Sie ist politisch, weil sie unser Handeln prägt. Freiheit wird damit ein Maß der Balance zwischen Mut und Gelassenheit, Selbst-Vertrauen und Risikobereitschaft. Souveränität gelingt, wo Ängste unser Handeln mitbestimmen, aber nicht diktieren können.