Beim Thema Sex gibt es eine eigentümliche Spannung. Zum einen ist Sexualität etwas sehr Intimes, zutiefst Persönliches. Das Wunder gelungener Sexualität verbindet die natürlichen Begehren der Menschen mit vielfältigen kulturellen Formen, diese Bedürfnisse miteinander auszuleben. Zum anderen ist Sex oder seine mediale Hülle vermeintlich allgegenwärtig. Im Kapitalismus werden auch die Begehren, die Lustversprechen der Sexualität integriert in den Kreislauf von Waren, Geld und Dienstleistungen und damit in das universelle Marketing-Versprechen der Erlösung durch Kauf. Das führt zu einer allgemeinen Sexualisierung und der Einpassung des vermeintlich so Intimen in das herrschende Schema aus Leistungsdruck, Konkurrenz und Konsum.

Daran hat auch die sogenannte sexuelle Revolution der Achtundsechziger nichts geändert, eher im Gegenteil. Es gibt heute zwar eine wesentlich liberalere, tolerantere Kultur der gelebten oder behaupteten Sexualität, zumindest in den Metropolen. Unter der Oberfläche der Toleranz finden sich aber noch oft genug die alten Rollenmuster, gibt es nach wie vor Bereiche der Ausbeutung und Unterdrückung. Und der Tabuisierung und Verleugnung. Die Bigotterie hat immer noch System, gerade wenn es wie im Profifußball um viel Geld und das vermarktete Selbstbild der Branche geht.

Seine eigene Sexualität zu entdecken und zu leben kann in diesem Umfeld immer wieder zu einer politischen Frage der Selbstbestimmung werden. Sich dem impliziten Befehl zu sexuellem Eigenmarketing zu entziehen, sei es durch Gelassenheit oder auch den völligen Entzug, ist dann vielleicht revolutionärer, als es auf den ersten Blick scheint.

Sex ist nicht nur eine Frage der Moral und der Auseinandersetzung darüber, was gutes und richtiges Miteinander-Leben sein soll. Auch Machtfragen werden immer wieder mit Sexualität verbunden. Das reicht von Vergewaltigungen als Teil des Krieges bis hin zur geduldeten Gewalt an Einzelnen oder ganzen Gruppen. Und das Thema sexueller Missbrauch hat auch in Deutschland gezeigt, wie über Jahre die Ohnmacht der Opfer verstärkt wurde durch eine Kultur der Verleugnung. Immerhin ist dieses Thema jetzt viel öffentlicher geworden. Wer über Sex spricht, kann über die Gesellschaft, in der er oder sie lebt, nicht schweigen.