Das Heft – Nr. 81

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Editorial

Das Editorial zum fluter-Heft Nummer 81: Klasse

Milieu, Schicht, Klasse – der Streit um die soziale Ordnung nimmt bei uns an Fahrt auf, auch weil der Zusammenhalt in der Gesellschaft fragwürdig geworden ist.

Im eigentlich faszinierenden Kaleidoskop der Lebensentwürfe und Erfahrungen werden Muster erkennbar, die zunehmende Span­nungen und ungleiche Macht­verhältnisse anzeigen. Sie behin­dern die Entfaltungsmöglichkeiten vieler Menschen. Kurz gesagt: Klasse existiert, wenn sie nicht überwunden werden kann. Die Balance des Sozialen ist gefährdet. Die Dynamiken der Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft passen nicht mehr recht zusammen.

In den westlichen Demokratien gilt das Versprechen, dass ein Aufstieg durch Leistung für alle möglich sein soll. Dabei gibt es eine Garantie zur Solidarität, wie sie bei uns als Gleich­wertigkeit der Lebensverhältnisse im Grundgesetz verbrieft ist.

Das öffentliche Selbstbild der Gesellschaft ist in Deutsch­land immer noch eines der Mitte. Immerhin gibt es diese Mitte als zahlenmäßig größte Schicht. Aber sie ist heterogen und in Bewegung. So gehören gut verdienende Akademiker dazu, aber auch große Teile des Pflegepersonals – sie unter­scheidet also einiges, nicht zuletzt ihr Einkommen und die Anerkennung. Gerade der untere Teil der Mittelschicht ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Ohne diesen läuft wenig, das hat die Pandemie noch deutlicher gemacht. Aber was hat diese Gruppe davon?

Wenn Kinder ein Armutsrisiko sind, Bildungswege von der Herkunft bestimmt werden, die Lebenserwartung vom sozialen Status abhängt, dann kann etwas nicht stimmen. Wenn es nicht gelingt, den Unterschied zwischen Reich und Arm besser auszugleichen, und zudem Millionen in prekären Verhältnissen arbeiten, fällt die Gesellschaft weiter ausein­ander. Dazu trägt auch bei, dass sich Vermögen in immer weniger Händen konzentriert und es viele Menschen nicht schaffen werden, sich vor Altersarmut zu schützen. Was hält die Gesellschaft für viele dann noch zusammen, wenn Angst und Ignoranz zunehmen?

Die soziale Dimension wird in den laufenden Debatten zu­nehmend deutlicher: Kann der Zusammenhalt weiter gelingen und die Gesellschaft gerechter werden? Wie nutzen wir den technischen Fortschritt, die Revolutionen der Digitalisierung und den grundlegenden Wechsel zu mehr Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit für eine neue Ordnung des Gemeinsamen?

Es kann noch grimmiger werden, wenn es einfach so weiterläuft wie bisher. Hoffnung macht der Protest aus unter­schiedlichsten Schichten und politischen Lagern. Hier wird um Lösungen gerungen, wie unsere Gesellschaft wieder solidarischer werden kann. Sie alle eint der Wille zur Verände­rung und das politische Wissen: Da geht noch was.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.