Der Titel, das kann man direkt mal so sagen, ist ganz wunderbar gewählt. „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ (im Original: „Ce n’est pas toi que j’attendais“) heißt Fabien Toulmés Graphic Novel. In diesem Satz steckt alles, was dieses Buch zu einem guten Buch macht.

Toulmé behandelt ein sehr persönliches Thema. Julia, seine zweite Tochter, hat das Down-Syndrom, und er erzählt ihre Geschichte oder vielmehr: seine. Ausgehend von einer seiner ersten Begegnungen mit einem Trisomie-Kind, die ihm in schlechter Erinnerung geblieben ist, über die Schwangerschaft seiner Frau und seine Sorgen, das Kind könne behindert sein, bis zur Geburt Julias, den ersten Lebensjahren, seinem Akzeptanzprozess und den immer wieder belastenden oder intoleranten Reaktionen der Außenwelt auf sein Kind.

Dabei ist Toulmé ehrlich, schonungslos ehrlich sogar, vor allem, was seine zunächst negativen Gefühle angeht. „Hässlich“ finde er Kinder mit Down-Syndrom, sein Neugeborenes sehe aus wie „eine Fleischroulade“. Er beschreibt, wie er aus Ekel und aus Wut sein eigenes Kind nicht im Arm halten will. Wie er sich dabei erwischt, sich für einen kurzen Moment Julias Tod zu wünschen. Und wie er sich anschließend sofort schuldig fühlt und diese Schuldgefühle wiederum in Wut umschlagen: „Bei dem Gedanken wurde ich noch wütender auf mich selbst. Wie konnte man sich bloß den Tod seines Kindes wünschen?“

Das ist sehr ernst und teils düster, bekommt aber durch Toulmés klaren, freundlichen Zeichenstil eine tröstliche Natürlichkeit. Als würde jemand lächeln und sagen: „Diese Gefühle sind in einer solchen Situation völlig normal, das wird schon.“ Und der Titel „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ bewegt sich eben in genau diesem Spannungsfeld: zwischen den Erwartungen werdender Eltern und der Realität, die sich daran anschließt. Zwischen der Enttäuschung über die Behinderung, dem Hadern und dem Abfinden damit – und dem Sich-Einfinden in die neue Rolle und der Erfahrung, dass man das Kind schließlich doch lieben wird. 

So wie auch Fabien Toulmé es tut. Sein heutiger Blick auf Julia wird auch dadurch deutlich, wie er sie zeichnet: Während die Zeichnungen anderer Trisomie-Kinder, die er vor der Geburt seiner Tochter sieht, noch die typischen Merkmale dieser Behinderung zeigen, zum Beispiel die schrägen Lidfalten, ist das bei Julia nicht so. Im Gegenteil: Die Bilder von ihr als Säugling sind beinahe verklärend, erinnern durch den schlanken, erwachsenen Körper, das dichte Haar und den wachen Blick an Darstellungen des neugeborenen Jesus.

Das drohende Damoklesschwert

Fabien Toulmé nimmt Ängste, indem er sie thematisiert, und das ist gut. Trotzdem hat „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ Schwächen. Weil Toulmé das Thema mitunter nicht bloß beherzt anfasst, sondern mit dem Holzhammer behandelt – allerdings weniger inhaltlich als stilistisch. Er neigt dazu, in nicht sonderlich einfallsreichen Metaphern zu erzählen und diese dann auch noch zu zeichnen. 

Man sieht also Ärzte, wie sie einander „den Staffelstab übergeben“. Man sieht, wie ein Damoklesschwert (auf dem „Trisomie“ steht) auf Toulmé fällt. Oder man sieht einen Hammer mit Gesicht, wie er einen Nagel (auf dem wieder „Trisomie“ steht) „auf den Kopf trifft“. Und für die Darstellung seiner widerstreitenden Gefühle wählt er tatsächlich Engelchen und Teufelchen, die ihm über den Schultern schweben.

Das ist zu einfach, zu platt. Gerade weil es thematisch richtig ist, wenig auf Zwischentöne und mehr auf Klar- und Offenheit zu setzen, hätte dem Comic in der Bildsprache etwas mehr Subtilität gutgetan.

Starke Szenen ohne Worte

Aufgefangen wird das durch Toulmés Beschreibung von Alltagsszenen, hier hat er entweder ein erstaunlich detailliertes Erinnerungsvermögen oder eine gute Fantasie. Besonders stark wirken solche Momente, wenn sie ganz ohne Dialog auskommen, wie jener, in dem die Toulmés vor Julias Geburt im Wartezimmer eines Arztes sitzen und in der Mitte des Raums zwei Kinder spielen, bis das eine vom anderen geschlagen wird und weinend zu seinen Eltern läuft. Hier sprechen die Bilder und sagen: „Das sind normale Kinder. Mit solchen Szenen rechnen die Eltern. Mit Trisomie rechnen sie nicht.“

Von Panels dieser Art hätte Toulmés Geschichte mehr vertragen können. Sie hätten eine zweite Ebene einziehen und aus „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ ein Kunstwerk machen können. So bleibt das Buch nur ein sehr ehrlicher Erfahrungsbericht. Aber was heißt schon „nur“, wenn ein wichtiges Ziel eindeutig erreicht wird: Aufklärung.

Nadja Schlüter ist Redakteurin bei jetzt.de.

Bilder: Avant-Verlag/Fabien Toulmé