Geld für jeden, ohne Gegenleistung, regelmäßig und dauerhaft: Das ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Ihre Befürworter erhoffen sich mehr Gerechtigkeit und Effizienz bei der Verteilung des kollektiven Reichtums, die Freisetzung kreativer und unternehmerischer Talente und natürlich Sicherheit vor Armut. Kritiker sehen in dem Konzept einen kostspieligen Freibrief für Faulheit, eine soziale Hängematte für ganze Gesellschaften.
Was wirklich passieren würde, wenn man Menschen einfach so Geld geben würde, das wusste man lange nicht. Denn so richtig probiert hatte es noch niemand. Das änderte sich im Januar 2008, als eine Koalition von kirchlichen und Nichtregierungsorganisationen im südwestafrikanischen Namibia begann, den Bewohnern der kleinen Siedlung Omitara- Otjivero einen Basic Income Grant (BIG) auszuzahlen. Eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission hatte befunden, dass ein geringes Grundeinkommen für alle Bürger unterhalb des Rentenalters der effizienteste Weg sei, die schlimmste Armut im Land zu lindern. Arme Haushalte würden ohne viel Bürokratie an Geld für das Allernötigste kommen. Reiche würden den BIG zwar auch erhalten, die Zahlung aber gleichzeitig durch höhere Steuern finanzieren. „Nach Power to the People geht es jetzt um Money for the People“, fasst Dirk Haarmann, der das Projekt mitleitete, zusammen. Doch dann schenkte die Regierung der Empfehlung wenig Beachtung. Die Initiative begann Geld zu sammeln für ein Pilotprojekt, in dem die Teilnehmer jeden Monat 100 Namibia-Dollar (8,80 Euro) bekommen würden. Bedingungslos und bar auf die Hand. Für viele Menschen in Namibia ist das echtes Geld. Denn obwohl das Land mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 1.473 Euro pro Kopf keiner der ärmsten Staaten ist, so ist er doch einer der ungleichsten. Während die Einkommensstarken einen mit Europa vergleichbaren Lebensstandard genießen, hat ein großer Teil der Bevölkerung Mühe, über die Runden zu kommen.
„In Otjivero leben Leute, die keiner haben will“, beschreibt es Pastor Petrus Khariseb, der Koordinator der Initiative. Landarbeiter, die nicht mehr gebraucht wurden, bauten sich hier Behausungen aus alten Metallresten und anderen wertlosen Materialien. Wenige haben Arbeit, viele nicht genug zu essen. Die Befürworter des Grundeinkommens dachten: Wenn es hier klappt, dann kann es überall funktionieren. Ab Januar 2008 wurde das Geld an alle Bewohner des Ortes ausgezahlt. Doch was machten die Menschen mit dem Geld? Skeptiker fühlten sich bestätigt, als der Eigentümer eines Geschäfts den Medien erzählte, dass sich der Alkoholverkauf immer am Zahltag vervielfache. Doch wie die Projektdaten zeigten, wurde nicht nur Bier und Schnaps gekauft: Am Anfang des Projekts waren 42 Prozent der untersuchten Kinder unter fünf Jahren unterernährt. Nach einem Jahr lag die Quote bei 10 Prozent. In der lokalen Schule wurden plötzlich Schulgebühren bezahlt, die Abbrecherraten sanken drastisch. In der Klinik gab es mehr Behandlungen, weil sich die Patienten plötzlich die Gebühr von vier Namibia-Dollar (35 Cent) leisten konnten.
Das Geld wurde nicht nur ausgegeben, es wurde auch investiert. Von Frida Nembwaya zum Beispiel, die einen schwunghaften Handel mit kleinen Broten aufbaute. Oder von Belinda Beukes, die die Kinder im oft sengend heißen Ort mit selbst gemachtem Fruchteis versorgte. Die Kleinstunternehmen funktionierten, weil es plötzlich Kunden gab. „Was wir nicht erwartet haben, ist, dass man mit relativ wenig Geld diesen lokalen Markt aufbauen kann“, sagt Claudia Haarmann, die Frau von Projektleiter Dirk Haarmann. Der vielleicht wichtigste Effekt der Auszahlungen findet sich aber nicht in den Statistiken, sondern in den Worten von Jonas Damaseb aus Otjivero: „Mit BIG haben die Leute ihre Würde zurückgewonnen.“
Während es in Omitara-Otjivero aufwärts ging, tobte in den Medien eine Debatte über das Projekt. Unterstützer und Zweifler warfen sich gegenseitig Schönfärberei und Zynismus vor. Schließlich äußerte sich auch der namibische Präsident, Hifikepunye Pohamba: „Wir in der Regierung denken nicht, dass das eine gute Idee ist.“ Das Konzept würde die Menschen zum Nichtstun animieren. Die Ergebnisse aus Omitara-Otjivero wurden nicht kommentiert. Bald darauf legte die Regierung ein traditionelles milliardenschweres Konjunkturprogramm auf, das mit Investitionen in die Infrastruktur Arbeit schaffen soll. Doch ohne die Unterstützung der Regierung ging es nicht weiter. Die Gelder kirchlicher Organisationen aus Deutschland waren aufgebraucht, und das Netz lokaler Spender reicht nicht, um den BIG langfristig auszuzahlen. Allerdings geben sich die Projektmitarbeiter nach wie vor kämpferisch. Die Aufgabe sei jetzt, weiter über die Erfahrungen in Omitara-Otjivero zu sprechen. „Die Einsicht ist, dass die Leute in Armut das Geld zumindest nicht schlechter ausgeben als die Reichen“, sagt Dirk Haarmann. „Dieses Misstrauen gegen die Armen, das muss man abbauen.“