Er musste sich Geld leihen, um die ägyptischen Grenzbeamten zu bestechen. Er musste in Kairo über einen Zaun klettern, um in das Hotel zu gelangen, in dem das Casting stattfand. Weil er keine Startnummer mehr bekam, da er zu spät kam, trat ihm ein Kandidat aus Saudi-Arabien seine Teilnahme ab, weil er seine Stimme so schön fand. Leicht hatte es Mohammed Assaf sicher nicht bei „Arab Idol“, dem arabischen Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar.“ Und das war erst das erste Casting.

Umso größer geriet später sein Triumph: Als der 23-jährige Palästinenser 2013 die Endausscheidung in Beirut gewann, stand der Gazastreifen kopf. Sein Sieg im internationalen Gesangswettbewerb, der in der arabischen Welt aufmerksam verfolgt wird, war eine riesige Sache für seine Landsleute und gab dem geschundenen palästinensischen Nationalbewusstsein Auftrieb.

Stimmung wie beim WM-Finale

Der Regisseur Hany Abu-Assad hat Mohammed Assafs Geschichte jetzt zu einem Spielfilm verarbeitet. Abu-Assad ist Palästinenser mit israelischem Pass („israelischer Araber“, wie die offizielle jüdisch-israelische Bezeichnung lautet). Er war selbst zu Hause im überwiegend von Arabern bewohnten Nazareth dabei, als sich dort zum Finale von „Arab Idol“ Tausende zum Public Viewing im Freien versammelten, um das Live Voting mitzuerleben. Erst drei Wochen zuvor hatte Hany Abu-Assad auf dem Filmfestival in Cannes einen Jurypreis für seinen Film „Omar“ gewonnen. Doch sein eigener Erfolg verblasste, wie er sagt, vor dem Triumph des jungen Sängers. „Ich hüpfte herum wie ein kleiner Junge, so begeistert war ich schon lange nicht mehr gewesen“, zitiert ihn das Presseheft zum Film. Mohammeds Geschichte zu verfilmen, sei ihm eine echte Herzensangelegenheit gewesen.

Trotz aller patriotischen Gefühle hat Hany Abu-Assad jeder Versuchung widerstanden, seinen Film mit politischer Symbolik aufzuladen. Er vermeidet sie sogar, wo es nur geht. Noch nicht einmal zufällig rutscht auch nur eine palästinensische Flagge ins Bild (abgesehen von wenigen dokumentarischen Aufnahmen am Schluss, als Menschen gezeigt werden, die auf der Straße Mohammed Assafs Sieg feiern). Die politische Situation im Gazastreifen thematisiert der Film nicht.

Die Weite hinter dem Grenzzaun

Das ist auch unnötig, denn die Geschichte spricht für sich. Zur Zeit der Dreharbeiten, die 2015 stattfanden, war der Gazakrieg gerade ein paar Monate vorbei. Überall schieben sich Trümmer ins Bild. Eine wundervolle Szene zu Beginn des Films zeigt eine Gruppe von Kindern, die am Grenzzaun entlang radeln und rennen. Sie sind bestens gelaunt und sprühen vor Energie; den Zaun scheinen sie nur insofern wahrzunehmen, als man auf dem menschenleeren, unbebauten Niemandsland, das sich davor erstreckt, ein besonderes Gefühl von Weite spürt. Grenzen, das zeigt diese Szene, entfalten vor allem dann ihre Wirkung, wenn man sie in den Kopf hineinlässt. 

Aber Mohammed, seine Schwester Nour und ihre Freunde haben schon etwas ganz anderes im Kopf: Musik! Sie sind noch Kinder, aber sie brennen für die kleine Band, die sie gegründet haben. Mit teils selbstgebauten Instrumenten und Mohammeds schöner Stimme verdienen sie auf der Straße ab und an ein paar Schekel. Sie sparen auf richtige Instrumente, denn sie wollen auf Hochzeiten auftreten. Mohammeds Schwester Nour ist die treibende Kraft hinter dem Unternehmen und spornt die anderen unermüdlich an.

Besser als die Nachrichten

Da es sich um einen Spielfilm handelt, nimmt Hany Abu-Assad sich im Sinne der Erzählung gewisse Freiheiten, erfindet dramatische Episoden und spannt narrative Bögen, um Zusammenhänge zu schaffen. Es ist eine Gratwanderung, denn gleichzeitig soll sein Film ja die Geschichte des echten Mohammed Assaf wiedergeben. Die ist einerseits märchenhaft genug. Als Einwohner des Gazastreifens hat er nicht mal ein legales Visum für Ägypten erhalten, wo das allererste Casting stattfand. Was dann folgt, ist so unglaublich, dass es sich gar nicht erfinden lässt. Andererseits ist sie auch tragisch, denn Mohammeds Karriere wird von Krankheit und frühem Tod der geliebten Schwester Nour überschattet.

Abu-Assads Film wirkt insgesamt ein bisschen behäbig. Doch das recht gemächliche Erzähltempo spiegelt auch die besondere Sorgfalt im Umgang mit dem Stoff, der politisch und emotional durchaus heikel ist, wenn man ihn als Film erzählt. Hany Abu-Assad aber gelingt eine Geschichte, die berührt, ohne rührselig zu werden. Und dabei erzählt er ganz nebenbei mehr über das Leben der Menschen im Gazastreifen, als wir hierzulande je aus den Nachrichten erfahren könnten.

„Ein Lied für Nour“, Regie: Hamy Abu-Assad, mit: Tawfeek Barhom, Nadine Labaki, Hiba Attalah, 95 Min.

Fotos: KOCH FILMS