Es ist ein sonniger Junitag des Jahres 1972, als Fidel Castro bei seiner Ankunft in Ostberlin Erich Honecker in die Arme fällt. Kurz darauf breitet der »máximo líder « eine riesige Karte vor sich aus. Er zeigt auf eine kleine Insel im Süden Kubas und erklärt: »Das ist an der Schweinebucht, wo sich die Aggression der Imperialisten vollzogen hat.« Danach unterzeichnet Erich Honecker die Kuba-Karte. Es ist die Geburt einer Legende: Fidel schenkt der DDR eine Insel. »Cayo Blanco del Sur«, nur wenige Hundert Meter breit,aber dafür rund zwanzig Kilometer lang, ein unbewohntes, idyllisches Eiland, war kurz zuvor von den Kubanern in »Cayo Ernesto Thaelmann« umbenannt worden – in Gedenkenan einen »beispielhaften Sohn des deutschen Volkes«. Damit nicht genug: Der lang gestreckte palmengesäumte Strand im Süden der Insel erhielt den Namen »Playa RDA«,»Strand Deutsche Demokratische Republik«.

Die graue DDR im Besitz eines tropischen Archipels? Hintergrund der angeblichen Schenkung war, dass sich die Beziehungen zwischen Kuba und der DDR Anfang der 70er-Jahre entspannt hatten. Nachdem Ostberlin zuvor Kubas unorthodoxe Interpretation des Marxismus noch argwöhnisch beäugt hatte. In den Augen der SED-Führung war Fidel Castros eigenwillige Machtausübung »Partisanenmethoden«, die nur »Unordnung« brächten. Auch dass sich Kuba mehr am chinesischen als am sowjetischen Modell orientierte, sorgte für Verstimmung. Doch Fidel Castro blieb schließlich nichts anderes übrig, als den Canossa-Gang nach Moskau anzutreten: 1970 scheiterte sein Versuch, in der sogenannten »Gran Zafra« eine Rekordernte von zehn Millionen Tonnen Zuckerrohr einzufahren. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation der Karibikinsel sah sich Castro fortan zu einer engeren Zusammenarbeit mit der UdSSR genötigt.  

Als in der DDR Walter Ulbricht 1971 von Erich Honecker abgelöst wurde, begann auch das Tauwetter in den ostdeutsch- kubanischen Beziehungen. Kuba lieferte Zitrusfrüchte und die DDR kaufte im Gegenzug Zucker zu sogenannten Präferenzpreisen, die deutlich über dem Weltmarktniveau lagen. Zur Besiegelung der »brüderlichen Einheit« zwischen der DDR und Kuba ließ sich Castro damals zu einer großen Geste hinreißen – zwei Monate nach seinem Besuch in der DDR-Hauptstadt wurde auf der »Cayo Ernesto Thaelmann«eine meterhohe Statue für den deutschen Kommunisten errichtet, im Beisein des DDR-Botschaftsrats Gerhard Witten. 

Drei Jahre später folgte der Landgang der DDR-Schlager-Legende Frank Schöbel, der 1975 durch das azurfarbene Wasser am »DDR-Strand« watete, um das Musikvideo fürsein Lied »Insel im Golf von Cazzone« aufzunehmen. Das schnulzige Machwerk konnte die fernwehkranken Ostdeutschen aber nicht recht begeistern, und schnell geriet die Ernst-Thälmann-Insel in Vergessenheit. Die Insel tauchte erst wieder im Jahr 2001 in den Medien auf, als eine Internetzeitschrift die vermeintliche Sensation verkündete: »17. Bundesland in der Karibik«. Doch schnell wurde festgestellt, dass die Ernst-Thälmann-Insel im Einigungsvertrag nicht erwähnt worden war. Sowohl das Auswärtige Amt als auch die Kubanische Botschaft in Deutschland erklärten auf Anfrage, dass die Gerüchte, laut denen die Insel nach der Wiedervereinigung zum Hoheitsgebiet der BundesrepublikDeutschland gehöre, jeglicher Grundlage entbehren. Es sei bloß ein »symbolischer Akt« gewesen, der nichts mit tatsächlicher Besitzübertragung zu tun gehabt hätte. Schon drei Jahre zuvor hatte bereits Hurrikan »Mitch« die neuerlichen Kolonialträume der Deutschen zerstört und die Ernst-Thälmann- Büste am Strand der »Cayo Blanco del Sur« einfach umgeweht.