Weh tut dieser Film die vollen 92 Minuten, aber manchmal ist es kaum auszuhalten. Etwa wenn die junge Frau aus Bangladesch, die wir nur als Shima kennenlernen, von ihrer Arbeit erzählt. Sie näht jene Klamotten zusammen, die wir für Spottpreise in den Fußgängerzonen und Shoppingmalls kaufen können. Zwei Dollar verdient sie am Tag. Ihre Tochter sieht sie nur einmal im Jahr. Sie lebt bei Shimas Eltern. Als Shima mit anderen Arbeiterinnen – es sind fast nur Frauen, die in den Fabriken schuften – eine Gewerkschaft gründen will, wird sie von ihren Chefs mit allem verprügelt, womit man zuschlagen kann.
Eine Episode, sicher, aber kein Betriebsunfall. Andrew Morgans Dokumentarfilm „The True Cost“, der die Produktionskette der Modeindustrie unter die Lupe nimmt, erzählt viele schmutzige Geschichten aus einer Branche, in der sich alles ums Image dreht.
Spaß macht das keinen. Von dem Rana-Plaza-Unglück, bei dem 2013 über 1.100 Menschen beim Einsturz eines Gebäudekomplexes, in dem sich mehrere Textilfabrik befanden, gestorben sind, hat die ganze Welt gehört. Aber wer wusste schon, dass sich viele Arbeiterinnen an jenem Tag wegen der Risse in der Wand weigerten, das Gebäude zu betreten, dann aber an ihre Nähmaschinen gezwungen wurden?
Das Beste an Morgans Film: Er zeigt die globale Arbeitsteilung der Mode
Bangladesch mit seinen vier Millionen Näherinnen und mehr als 5.000 Textilfabriken ist jedoch nur ein Glied in der Kette. Das Beste an Morgans Film ist, dass er die globale Arbeitsteilung der Mode zeigt. Und die spezifischen regionalen Probleme, die sich daraus ergeben. Da sind die Baumwollbauern in Indien, die in der Hoffnung auf bessere Ernten auf patentiertes Saatgut umgestiegen sind. Dadurch, dass sie das Saatgut daraufhin jedes Jahr neu kaufen mussten, begannen sie sich zu verschulden. Mittlerweile nimmt sich alle 30 Minuten ein Bauer das Leben. Da sind die Gerbereien im Norden Indiens, wo sich ob der vielen Schadstoffe, die zur Bearbeitung von Leder gebraucht werden, häufen sich die Fälle von Gelbsucht, Haut- und Leberkrankheiten dramatisch häufen. Da sind die Müllkippen in Haiti, einstmals ein wichtiger Standort der Textilbranche. Heute landen da die ausgemisteten Klamotten. Jedes Jahr werfen allein die Amerikaner 37 Kilo Textilien pro Person weg. Biologisch sind die meisten davon nicht abbaubar.
Wer fehlt: die Entscheidungsträger der großen Billigmode-Ketten. Die wollten in dem Film nichts sagen. Dabei wären sie es, die die Zustände ändern könnten.
Tun sie aber nicht. Im Gegenteil. In den vergangenen Jahren ist Mode konstant billiger geworden, erklärt ein chinesischer Textilfabrikant. Die Rohstoffkosten seien aber gestiegen. Soll heißen: Der Preiskampf drückt die Löhne der anderen Glieder der Produktionskette, etwa die der Näherinnen. Und der spitzt sich weiter zu, weil immer mehr gekauft wird. Um 400 Prozent hat der Verkauf von Textilien in den letzten 20 Jahren weltweit zugenommen.
Morgans Film erzählt das alles in einem atemlosen Tempo. Bisweilen brummt einem davon der Kopf. „The True Cost“ will aufrütteln. Und das gelingt auch. Was indessen etwas kurz kommt, sind Beispiele, wie es besser geht. Nur eine kaum massenmarkt-taugliche Fair-Trade-Marke kommt ausführlich vor und ein etwas pauschales Plädoyer, eben weniger zu kaufen. So richtig das sein mag, besonders konkret ist es nicht.
Wer jetzt meint, das geht mich alles nichts an, ich kaufe nicht bei H&M, Zara, Kik, Primark oder wie sie alle heißen, dem sei gesagt: Selbst im Luxussegment der Textilbranche sind die Arbeitsbedingungen bisweilen kaum besser.
„The True Cost", USA 2015; Regie: Andrew Morgan, Drehbuch: Andrew Morgan, 92 Minuten, Kinostart: 21. Januar 2016 bei Grand Film