James Odede, groß, kräftig, breites Grinsen, ist im Westen Kenias aufgewachsen, dort, wo sich Maisfelder an den riesigen Victoriasee schmiegen. Das Klima ist feuchtwarm; die Mücken, die Malaria übertragen, lieben es hier. In einigen städtischen und stadtnahen Gebieten des Landes sind über 20 Prozent der Bevölkerung außerdem mit HIV infiziert. Die Menschen hier sind also besonders gefährdet, sich mit potenziell tödlichen Krankheiten anzustecken. James Odede wollte kein Arzt werden, aber die Krankheiten, unter denen er die Menschen um sich herum leiden sah, ließen den heute 24-Jährigen nicht kalt. Als Softwareentwickler hilft Odede auf seine Art: mit einer App für Mobiltelefone.
„MobiDawa“ heißt die Software, „Mobi“ steht für „mobil“, „Dawa“ bedeutet „Medizin“ in der Landessprache Kisuaheli. Die App soll Patienten dabei unterstützen, Medikamente richtig einzunehmen, Android-Nutzer können sie kostenlos bei Google Play herunterladen. MobiDawa enthält Informationen zu 560 der gängigsten Medikamente in Kenia, berichtet Odede. Er und sein fünfköpfiges Team haben sie aus Beipackzetteln, im Internet und bei den Herstellern selbst recherchiert. Ein Arzt berät die MobiDawa-Macher inhaltlich und überprüft die Korrektheit der medizinischen Informationen. Zurzeit warten die App-Betreiber auf das offizielle Siegel der staatlichen Gesundheitsbehörde, um Nutzer von der Seriosität ihres Produkts zu überzeugen.
Viele HIV-Behandlungen scheitern, weil Medikamente falsch dosiert oder zum falschen Zeitpunkt eingenommen werden
Die Idee zu MobiDawa hatte Odede vor etwa drei Jahren während eines Praktikums bei einem medizinischen Forschungsinstitut. Dort entwickelte er eine Software zum Erfassen von Patientendaten. Einer der Ärzte erzählte ihm: Die Hälfte aller Behandlungen scheitert, weil Medikamente nicht richtig eingenommen werden. „Da habe ich gesehen, dass es mit der Diagnose einer Krankheit und der Verschreibung von Medikamenten allein nicht getan ist“, sagt Odede. Er war sich sicher: Eine Plattform fürs Handy könnte entscheidende Informationen liefern, die Patienten womöglich sonst nicht zugänglich sind.
Bei MobiDawa muss der Nutzer neben dem Namen des Medikaments sein Alter, Gewicht und Geschlecht eingeben. Daraufhin wird die Dosierung angezeigt, wie oft das Medikament eingenommen werden muss, welche Nebenwirkungen auftreten können und was während der Einnahme zu beachten ist – zum Beispiel Alkohol vermeiden. Schließlich erinnert MobiDawa daran, wann eine Arznei einzunehmen ist.
Die App verfügt auch über eine Feedback-Funktion, über die Nutzer ihre Erfahrungen mit einem Medikament festhalten können. Die ursprüngliche Idee, dieses Feedback an die Pharmafirmen zu verkaufen, sei allerdings nicht aufgegangen, bedauert James.
Viele Kenianer können sich keinen Arzt leisten und gehen direkt zur Apotheke
Auch wenn eine App wie MobiDawa keinen Facharzt ersetzen kann: Einfach zu bedienende Software, die Informationen rund um die Gesundheit leicht zugänglich anbietet, schließt eine wichtige Lücke in der Gesundheitsversorgung in Afrika – so zumindest die Idee: Qualifizierte Ärzte finden sich oft nur in großen Städten. Die allerwenigsten Menschen – diejenigen, die einen gut bezahlten Job haben – können sich eine Krankenversicherung leisten. Viele können schon kaum das Geld für den Bus aufbringen, um vom Dorf in die häufig weit entfernte Stadt zu reisen. Kleine staatliche Kliniken, die auch in ländlichen Gegenden zu finden sind, können aber nur leichte Fälle behandeln, sind oft unterbesetzt und unzureichend ausgestattet.
Daher gehen Kranke in Kenia oft, statt den „Umweg“ über den Arzt zu machen, direkt zur Apotheke. Viele in Deutschland verschreibungspflichtige Medikamente kann man hier ohne ärztliches Rezept kaufen, darunter Antibiotika und die Antibabypille. Die Risiken liegen auf der Hand: Apotheker sind keine Ärzte, deren Job es ist, gründliche Diagnosen zu stellen oder Tests durchzuführen, und die Beratung über die Einnahme der Medikamente sowie über deren Nebenwirkungen ist häufig unzureichend. Besonders Antibiotika werden häufig falsch eingenommen.
Zurzeit benutzen 183 Patienten, so Odede, MobiDawa regelmäßig; drei Viertel von ihnen leben in Kenia. Bis Ende des Jahres, hofft er, könnten es 500 sein. „Im Moment betrachten wir das als Testlauf“, sagt er. „Wenn die App für diese Nutzer funktioniert, sehen vielleicht auch noch mehr einen Wert darin.“ Eine erste von Nutzern angeregte Neuerung gibt es schon: Sie hatten sich gewünscht, dass auch ihre auf dem Land lebenden Eltern, die oft nur ein einfaches Handy haben, MobiDawa nutzen können. „Für solche Fälle haben wir einen SMS-Service eingerichtet“, berichtet Odede.
Ab nächstem Jahr soll die App der kleinen Firma, die seit Mai 2015 als Unternehmen registriert ist, über Gebühren Gewinn erwirtschaften. Fraglich ist, ob das schon bei 500 Nutzern möglich sein wird. Aber MobiDawa ist nicht das einzige Produkt des Teams: Odede und seine Leute spezialisieren sich darauf, Software für Organisationen oder Krankenhäuser zu entwickeln, die mit Patienten arbeiten.
llustration: Theresa Hattinger