Der 4. Dezember 2001 veränderte Finnland. An diesem Tag publizierte die OECD die Ergebnisse ihrer ersten PISA-Untersuchung: Finnische Kinder schreiben, lesen und rechnen besser als alle anderen! Über Nacht waren die Finnen die Rockstars der Bildung. In finnischen Klassenzimmern wimmelte es fortan von ausländischen Delegationen. Journalisten und Forscher stalkten einheimische Lehrer – das finnische Modell galt, besonders in Deutschland, als die Coca-Cola-Formel der Bildungspolitik. Hier die Zutaten: Es gibt nur Gesamtschulen, der Lehrerberuf ist attraktiv (nur zehn Prozent der Bewerber werden jährlich für die fünfjährige Lehrerausbildung angenommen), und das Nichtsynchronisieren von Filmen zwingt die Kinder zum Lesen der Untertitel. Ferner sind die Schulen klein (nur drei Prozent aller Schulen haben mehr als 500 Schüler) und gut betreut (jeder Schule stehen mindestens einmal wöchentlich ein Kurator mit sozialpädagogischer Ausbildung, eine Krankenschwester, Psychologen, Speziallehrer und Assistenten zur Verfügung). Hier noch ein paar verblüffende Details: Die Schultage sind kurz, es gibt wenige Hausaufgaben, und – Reformpädagogen herhören! – in Finnland wird noch immer frontal unterrichtet.
Bei Lichte betrachtet fällt auf, dass in dieser Aufstellung ein wesentlicher Faktor des finnischen Erfolgsmodells fehlt: Eine Analyse der PISA-Studie ergab, dass bereits ein geringer Ausländeranteil an Schulen das Bildungsniveau erheblich beeinträchtigt. Und in Finnland sind nur 3,4 Prozent der 5,4 Millionen Einwohner Ausländer. Lässt sich der finnische Erfolg am Ende dadurch erklären, dass hier im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern nur wenige Ausländer leben? Finnland hatte nie Gastarbeiter. Kaum Asylsuchende. Bis Ende der 1980er Jahre bestand die Einwanderungspolitik im Prinzip darin, Exilfinnen die Rückkehr, hauptsächlich aus der UdSSR, zu ermöglichen. In den frühen 1990ern akzeptierte man dann mal 3.000 somalische Bürgerkriegsflüchtlinge – bis heute neben einigen Asiaten und Indern die einzigen Ausländer, die man in Helsinki als solche erkennt. Mit dem Ende des Warschauer Paktes hat die Einwanderung, vor allem aus Russland und Estland, zugenommen; lebten 1990 nur gut 26.000 Ausländer im Land, sind es heute über 183.000. In Asylfragen aber fährt Finnland weiter einen strengen Kurs.
Positiv kann man vermerken, dass die Finnen trotz der wachsenden Einwanderung in den letzten zehn Jahren das hohe PISA-Niveau fast gehalten haben, weil aufgrund einer peinlich genauen Sprachförderung im Kindergarten jedes Schulkind perfektes Finnisch spricht. Man kann es aber auch kritisch betrachten: In den letzten beiden PISA-Erhebungen hat Finnland, zwar nur minimal, aber immerhin, schlechter abgeschnitten als bisher. Offiziell stellt PISA-Koordinator Jouni Välijärvi keinen Zusammenhang her, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass Familien in der Hauptstadtregion verzweifelt versuchen, ihre Kinder aus den ethnisch durchmischten Grundschulen in die „besseren“, weil homogeneren Stadtteile zu verfrachten. Vereinzelt hört man die Forderung nach einer Begrenzung für nichtfinnische Schüler an Schulen. Und letztes Jahr erzielten die einwanderungsfeindlichen „Wahren Finnen“ 19 Prozent. Kein Wunder, dass sich immer mehr Finnen fragen, ob man den Bildungserfolg womöglich zum Teil einer restriktiven Einwanderungspolitik verdankt.