„Everyday Rebellion“ ist ein Dokument der neuen Protestbewegungen: der grünen Revolution im Iran, Occupy in New York, den „Indignados“ in Spanien oder Femen in der Ukraine. Über mehrere Jahre haben die Brüder Arash und Arman Riahi Aktivisten begleitet, die sich mit Hilfe gewaltloser Proteste gegen politisches und gesellschaftliches Unrecht auflehnen. 

Ihre Dokumentation ist ein Plädoyer für den friedlichen Widerstand. Sie zeigt Möglichkeiten kreativer Protestformen und lässt Aktivistinnen zu Wort kommen, die gewaltlosen Widerstand aus Überzeugung praktizieren. Im Film wird die Trennung von objektiver Berichterstattung und Agitprop aufgehoben. „Everyday Rebellion“ liefert keine Analyse, er stellt Methoden und Strategien vor. Überzeugungskraft gewinnt er durch die Geschichten der Aktivisten und Aktivistinnen, die für eine bessere, gerechte Welt ihre Freiheit und manchmal auch ihr Leben riskieren.

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Den Mächtigen gewaltlos auf den Keks gehen.

Den Mächtigen gewaltlos auf den Keks gehen.

Arash, Arman, was hat euch dazu bewegt, eine Dokumentation über friedliche Protestbewegungen zu drehen?

Arman: Initialzündung waren für uns die Proteste im Iran 2009, nach der Wiederwahl von Ahmadinedschad, bei der sich viele Iraner um ihre Stimme betrogen fühlten. Die ganze Welt konnte damals via YouTube mit ansehen, wie Jugendliche und junge Erwachsene, die zum Teil halb so alt waren wie wir, vor laufender Kamera brutal niedergeschlagen und sogar umgebracht wurden. Arash und ich wollten uns mit diesem Ohnmachtsgefühl nicht mehr abfinden, wir wollten selber etwas bewegen. Iran war also der Ausgangspunkt, doch dann nahm die Geschichte ihren Lauf mit dem Arabischen Frühling, den Protesten in Spanien oder Occupy in New York. Wir haben während unserer Dreharbeiten schnell den gewaltlosen Widerstand als gemeinsamen Nenner dieser Protestbewegungen entdeckt. Das hat uns imponiert.

Arash: Neu an dieser Form des Protestes war, dass er über keine Hierarchie verfügt. Es gab keine Anführer, keine klare Strategie, und dann waren alle diese Bewegungen auch noch gewaltlos. Es war ein Muster erkennbar. Uns hat interessiert, ob es eine Verbindung zwischen diesen ganz unterschiedlich motivierten Bewegungen gibt. 

Hat „Everyday Rebellion“ auch mit eurer eigenen Familiengeschichte zu tun?

Arash: Auf jeden Fall. Unsere Familie ist klassisch iranisch: Ein Drittel sind Linke, ein Drittel sind Monarchisten, und ein Drittel sind Moslems. Wir mussten Anfang der 80er-Jahre, nach der iranischen Revolution, als Kinder mit unseren Eltern nach Österreich fliehen. Seitdem können wir nicht mehr zurück. Unser Vater hatte bereits unter dem Schah fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Nach dem Umsturz 1979 war ziemlich schnell klar, dass die nächste Diktatur folgen würde. Wir möchten mit unserem Film gewissermaßen den Kampf unserer Eltern und ihrer Generation weiterführen. 

Wie habt ihr eure Protagonisten gefunden?

Wir haben zuerst zu Srdja Popovic Kontakt aufgenommen, nachdem wir gehört hatten, dass er mit seiner Organisation CANVAS (Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies) „Revolutionsschulungen“ in Tunesien und Ägypten durchführt. Ihr Buch „Nonviolent Struggle. 50 Crucial Points“ ist inzwischen auch auf Persisch erschienen und als PDF allein im Iran bereits 70.000-mal runtergeladen worden. Durch ihn sind wir auf eine Konferenz in Kopenhagen eingeladen worden, wo wir viele gewaltlose Aktivisten kennenlernten. Und dann war es wie ein Schneeballeffekt. Unsere These, dass diese Dinge miteinander verbunden sind, hat sich als richtig erwiesen. Viele der Aktivisten kennen sich aus Workshops oder durch Organisationen wie WITNESS. Über diese Kontakte haben wir die Leute, die das angesehene Blog „Waging Nonviolence“ betreiben, kennengelernt, die uns wiederum mit anderen Aktivisten bekannt gemacht haben. 

Interessant ist die Verbindung von Theorie und praktischen Ansätzen in „Everyday Rebellion“. Warum habt ihr so ein starkes Gewicht auf die Theorie des gewaltlosen Widerstands gelegt?

Arman: Wir wollten uns im Nachhinein nicht Blauäugigkeit vorwerfen lassen. Wir haben sehr früh während unserer Recherchen die Theoretikerin Erica Chenoweth kennengelernt, die das Thema „gewaltloser Widerstand“ über Jahre untersucht hatte, und waren froh, dass unsere Ansichten, was in politischen Konflikten moralisch vertretbar ist, durch ihre Studien bestätigt und untermauert wurden. Es war uns wichtig, dieses Wissen mit dem Publikum zu teilen, auch um mögliche Kritik am Film im Vorfeld zu entkräften. 

Ihr habt parallel zu eurer Dokumentation die Crossmedia-Plattform www.everydayrebellion.net gegründet, über die sich Aktivisten aus aller Welt vernetzen können. Wie würdet ihr das Verhältnis von eurem Film, der ja über den traditionellen Vertriebsweg Kino unter die Leute kommt, und den Aktivistenvideos im Internet beschreiben?

Arash: Das lässt sich nicht trennen. „Everyday Rebellion“ ist ein Produkt der sozialen Medien. Ohne die Vernetzung der Leute untereinander wäre der Film in der jetzigen Form nicht zustande gekommen. So sind wir zum Beispiel überhaupt erst über unsere Plattform, auf der wir eine Fülle an Materialien und Taktiken sammeln und bereitstellen, auf den syrischen Widerstand aufmerksam geworden. Der Film ist eine Art Resümee dieser Bewegungen, über die wir versuchen, die Geschichte des gewaltlosen Widerstands zu erzählen. Wir wollten dem Thema eine Öffentlichkeit verschaffen und gleichzeitig die Menschen inspirieren. Daraus hat sich eine eigene Dynamik entwickelt. In diesem Monat kommt zum Beispiel unsere „Everyday Rebellion“-App raus.

Die Plattform soll also auch zukünftig unabhängig vom Film weiterlaufen?

Arash: Definitiv. Da hat sich eine Menge bewegt. Eine Gruppe syrischer Aktivisten hat beispielsweise 23 Videos von Popovic angefordert, die auf Arabisch untertitelt wurden. Das hätten wir uns nie leisten können. Die Videos sind inzwischen über die Plattform verfügbar und werden im Untergrund zur „Fortbildung“ eingesetzt. Wir haben mit Gezi-Aktivisten in Istanbul Instruktionsvideos gedreht, wie man ein Haus besetzt oder sich im Falle eines Tränengasangriffs zu verhalten hat. Kürzlich sind wir auch von der ungarischen Schwulenbewegung eingeladen worden, um unser Projekt vorzustellen. In den Menschen schlummert ein Potenzial, und viele warten nur auf ein Projekt, das sie motiviert. 

Durch die sozialen Medien werden Proteste heute viel globaler wahrgenommen als früher. Glaubt ihr, dass diese Wahrnehmung auch die weltweite Solidarität mit einer Sache fördert?

Arman: Ganz sicher, man darf die sozialen Medien aber auch nicht überschätzen. In Ägypten gingen die Menschen erst auf die Straße, nachdem die Regierung das Internet abgestellt hatte. Solidarität ist natürlich ein wichtiges Prinzip des gewaltlosen Widerstands. Wenn 1.000 Protestanten auf 100 Polizisten einprügeln, ist die Empörung viel geringer, als wenn 1.000 Polizisten auf 10.000 friedliche Aktivisten schießen. Solche Bilder geraten heute nahezu in Echtzeit an die Öffentlichkeit. 

Euer Film bringt Protestbewegungen aus ganz unterschiedlichen politischen Systemen mit spezifischen kulturellen Hintergründen und einer völlig anderen Erfahrung von körperlicher Gewalt zusammen. Diese Konstruktion knirscht an manchen Stellen. Hätten sich die Leute überhaupt etwas zu sagen, wenn man sie in einen Raum stecken würde?

Arash: Das ist unserer Ansicht nach das Besondere an dem Film. Wir haben die Protagonisten vorher ja auch nicht gekannt. Wir haben sie das erste Mal getroffen und innerhalb von zwei Minuten Gemeinsamkeiten entdeckt, unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund oder dem politischen System, in dem sie leben. Sie alle verbindet der Wunsch nach einer fairen Welt. Wir hatten mit dem Film nicht den Anspruch, die politischen Hintergründe dieser Länder zu erklären, das wäre auch vollkommen vermessen. Außerdem wäre der Film sehr schnell überholt, hätten wir uns auf tagespolitische Ereignisse bezogen. „Everyday Rebellion“ ist ein Film über die Kreativität des gewaltlosen Widerstands und die Macht des zivilen Ungehorsams.

Habt ihr das Gefühl, dass die Menschen heutzutage wieder politischer sind und sich daher Protest auf den Straßen schneller formiert? Oder ist das nur eine Folge der erhöhten Sichtbarkeit durch die sozialen Medien?

Arash: Das hängt miteinander zusammen. Wenn Proteste sichtbar werden, ermutigen sie andere Menschen, auf die Straße zu gehen. Dieser Impuls kann nicht mehr unterdrückt werden. Ich finde es zumindest auffällig, was in den letzten fünf Jahren alles passiert ist. Der ganze arabische Raum ist durcheinandergewirbelt worden, in Spanien wurde mit den „Indignados“ eine einflussreiche Bürgerrechtsbewegung gegründet, Occupy ist zu einem weltweiten Phänomen geworden, in der Ukraine hat das Volk mit der Besetzung des Majdan ein Regime gestürzt. Ich habe schon das Gefühl, dass sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. Man kann Strukturen verändern, auch in Ländern, in denen über Jahrzehnte Unterdrückung herrschte. Das stimmt uns optimistisch. 

Die Filmemacher Arash und Arman Riahi leben seit Anfang der 80er-Jahre in Österreich, nachdem ihre Eltern aufgrund der iranischen Revolution 1979 gezwungen waren, ihr Heimatland zu verlassen. Die Brüder haben in der Vergangenheit für das Fernsehen gearbeitet und gelegentlich Kinofilme gedreht. Arman gewann 2011 mit der Dokumentation „Schwarzkopf“ den Diagonale-Filmfestival-Publikumspreis der „Kleinen Zeitung“, Arash war 2010 mit „Ein Augenblick Freiheit“ österreichischer Kandidat für die Academy Awards. „Everyday Rebellion“ ist ihre erste große Zusammenarbeit.