fluter.de: Frau Abboud, Sie sammeln Bilder, die Syrerinnen und Syrer auf Facebook stellen. Warum?
Dona Abboud: Als der Syrienkrieg 2011 begann, war ich gerade zu Besuch bei meiner Familie in Damaskus. Zurück in Deutschland sah ich mir die Nachrichten an und war irritiert: Die Situation wirkte ganz anders, als ich sie wahrgenommen hatte. Die Medien schien einzig zu interessieren, welcher Kriegspartei was vorzuwerfen sei. Was ist mit den 23 Millionen Syrern? Wie ist der Alltag jener, die nicht kämpfen? Um mir diese Fragen zu beantworten, fing ich an, Facebookfotos zu sammeln und auf meinem Computer zu speichern.
Einfach wild drauf los?
Ja. Die Idee, aus der Sammlung ein Buch zu machen, kam erst später.
Wer durch Ihr Buch „Out of Syria, inside Facebook“ blättert, scrollt sich quasi analog durch die Pinnwände von elf Syrerinnen und Syrern. Wie haben Sie die Personen ausgewählt?
Ich habe versucht, möglichst unterschiedlichen Leuten zu folgen. Frauen wie Männern, Jungen wie Alten, Usern mit geringem und mit großem politischen Interesse, welchen, die mit den Rebellen kämpfen und solchen, die Assad unterstützen. Das Buch soll keine politische Sichtweise transportieren, sondern aufzeigen, welche Wahrheiten es neben dem Krieg gibt: Was beschäftigt die Syrer? Was machen sie? Was essen sie?
„Die meisten kämpfen einfach dafür, einen möglichst normalen Alltag zu haben“
Es überrascht, dass Menschen inmitten eines Krieges Fotos von ihrem Essen posten. Überhaupt ist das Buch eine wilde Mischung: Neben Bildern von verletzten Kindern, zerstörten Häusern und schwer Bewaffneten gibt es Fotos von Partys, von Hundewelpen und manikürten Fingernägeln.
Richtig. Weil das Menschen sind, die da in Syrien leben. Egal, was sie denken, was sie glauben, oder welche politischen Interessen sie haben – die meisten kämpfen einfach dafür, einen möglichst normalen Alltag zu haben.
Bis auf eine Person haben Sie alle User auch offline kennengelernt. Wie sehr spiegeln die Fotos die Realität wider, in der sie leben – wie sehr ihren Wunsch nach Normalität?
Ich kannte die meisten schon vor dem Krieg, weiß, wie sie gelebt und was sie gepostet haben. Trotzdem ist diese Frage schwer zu beantworten. Der Kämpfer, der sich mit seinen Waffen fotografiert und zeigen will, wie männlich und stark er ist – er zeigt Realität. Die 22-Jährige, die ihre Maniküre fotografiert – auch sie zeigt Realität. Auffällig ist: Viele von den Usern hatten vor 2011 kaum was gepostet, vielleicht mal einen Spruch oder ihren Spielstand bei einem Onlinegame oder so. Auf einmal aber posteten sie massenweise Fotos.
Nach Bombardements werden oft Kindheitsfotos gepostet
Weil Fotos in Kriegszeiten besonders wichtig sind?
Ja. Sie dokumentieren: „So sehe ich aus, so sah mein Leben aus und so sieht es jetzt aus.“
Manche der Bilder wurden direkt nach Luftbombardements gepostet. Wie unterscheiden sich die Reaktionen von Usern auf schlimme Nachrichten?
Da reagieren Menschen sehr, sehr ähnlich. Sehr oft posten sie Fotos aus ihrer Kindheit. Als zum Beispiel Palmyra vom IS zerstört wurde, teilten viele ihre persönlichen Erinnerungen an die Stadt: Fotos von Ausflügen etc. Ich kenne das auch von mir selbst: Als das Haus meiner Familie in Damaskus zerstört wurde, bat ich meine Verwandten, mir Fotos zu schicken, auf denen ich als Kind in dem Haus zu sehen bin. Die habe ich dann gepostet. Ich glaube, es ist einfach wichtig, sich an Zeiten zu erinnern, die gut waren.
Sie selbst leben seit 2008 in Deutschland, waren aber diesen Winter für vierzig Tage in Damaskus. Wie haben Sie den Alltag dort wahrgenommen?
Es war absurd. Als ich in Damaskus war, wurde die Hauptwasserquelle erst vergiftet und dann bombardiert. Schließlich bekamen wir Wasser von umliegenden Orten – für zwei Stunden alle vier Tage. In Damaskus leben zwischen acht und zehn Millionen Menschen. Wie geht Alltag, wenn es kaum sauberes Wasser gibt? Wenn man stunden- oder tagelang keinen Strom hat, wenn die Preise für Lebensmittel ständig steigen? Doch die Syrer gehen arbeiten. Wo möglich, besuchen sie Schulen und Unis. Ich selbst hab an einer Hochschule einen Grafikdesign-Workshop geleitet.
Keine Angst mehr um sich selbst, nur noch um die Angehörigen
Wie geht man damit um, wenn man morgens nicht weiß, ob man abends wieder zurück nach Hause kommt? Schließlich wurden seit Beginn des Krieges Hundertausende Menschen getötet, die Lebenserwartung sank um 20 Jahre.
Die meisten Syrer haben keine Angst mehr um sich selbst, nur noch um ihre Angehörigen. Sie sind sehr mutig geworden und viel unterwegs.
Wie verbringen die jungen Leute in Damaskus ihre Freizeit?
Sie gehen ständig – wirklich jeden Abend – in Bars. Und nicht nur frühabends, sondern bis zwei oder drei Uhr morgens. Wenn sie unterwegs sind, wenn sie tanzen, wenn sie trinken und essen, dann denken sie nicht mehr an den Krieg. In Damaskus gibt es auch immer noch Theater und Kinos. Ich habe mir gleich zwei Filme angeschaut, als ich zu Besuch war.
Alle Fotos aus dem Buch „Out of Syria, inside Facebook“.
Dona Abboud, 34, ist Typografin und lebt in Leipzig. Von 2011 bis 2016 studierte sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Der Fotoband „Out of Syria, inside Facebook“ war ihre Abschlussarbeit. Nächstes Jahr plant sie, ihr Studium als Meisterschülerin zu beginnen.