Was für ein Asi, denkt Maik, als Tschick das erste Mal vor ihm steht. Bescheuerter Iro, asoziale Trainingshose, hässliches Batikshirt. Und die Zähne kriegt er auch nicht auseinander, als der Lehrer ihn der Klasse vorstellt. Klar, dass Tschick auf den Platz neben Maik gesetzt wird. Der Asi und der Psycho, ein tolles Gespann.

Den Spitznamen Psycho hat Maik weg, seit er vor der Klasse mal einen Aufsatz über seine alkoholkranke Mutter vorgelesen hat. Immerhin wird er auf dem Schulhof seitdem nicht mehr übersehen, auch wenn die meisten seinen richtigen Namen wahrscheinlich immer noch nicht kennen. Maik hält sich nämlich für einen echten Langweiler, einen Schüler ohne Eigenschaften sozusagen. Was natürlich ein Problem ist, wenn man in das beliebteste Mädchen der Schule, Tatjana, verknallt ist.

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Tschick

Auf dem Pausenhof ist Tschick ein Außenseiter ...

Tschick heißt eigentlich Andrej Tschichatschow, aber das kann sowieso keiner aussprechen. Seine Eltern sind als russische Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, weswegen Tschick manchmal komische Formulierungen benutzt. „Übertrieben geile Jacke“ ist das Erste, was er zu Maik sagt, als er auf dem Schulhof dessen Bomberjacke mit dem gestickten Drachenkopf bewundert, die Maik eigentlich angezogen hat, um Tatjana zu imponieren.

Schon der Roman war richtiges Kopfkino

Die Sommerferien stehen bevor und Tatjana hat die gesamte Klasse zu einer Party im Haus ihrer Eltern eingeladen. Alle außer dem Asi und dem Psycho. Die Ferien drohen also zu einer Katastrophe zu werden, bevor sie überhaupt begonnen haben – bis Tschick mit einem geklauten Auto vor der Tür steht.

Der Roman „Tschick“ des vor drei Jahren verstorbenen Wolfgang Herrndorf entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem Jugendbuchklassiker, der auch auf den Leselisten vieler Erwachsener landete. Die Erwartungen an die Verfilmung waren entsprechend hoch. Schon die schnodderige Sprache des Romans war sehr filmisch, richtiges Kopfkino. Herrndorf verstand es, mit knappen Sätzen lebendige Bilder entstehen zu lassen. „Tschick“-Fans haben also eine genaue Vorstellung von den Charakteren und Handlungsorten – Maiks Schule in Berlin-Marzahn etwa oder dem blauen Lada Niva.

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Tschick

... in der Disko wiederum ist Maik nicht unbedingt Mr. Party Guy ...

Keine leichte Aufgabe für Regisseur Fatih Akin (Gegen die Wand, The Cut), dessen Stärken bislang eher im dramatischen Fach lagen. Am Anfang spürt man Akins Respekt vor der Vorlage. Sein Film greift die scharfen Beobachtungen Maiks immer wieder als Voiceover auf, was einerseits zwar Herrndorfs Sprachwitz bewahrt, aber als erzählerisches Mittel etwas naheliegend ist – und zudem wenig originell. Andere Ideen Herrndorfs funktionieren im Film dafür besser als im Roman. Das Klavierstück „Ballade pour Adeline“ des Schnulzenkomponisten Richard Clayderman zum Beispiel, von dem die Jungen eine Kassette (!) im Auto finden, und das fortan als imaginärer Soundtrack für ihr Abenteuer dient. Uncooler geht’s kaum.

Sex? Gar nicht mal total unmöglich

Und so nimmt die Reise langsam Fahrt auf – richtig allerdings erst, als sie die Ausreißerin Isa auflesen, die sich auf dem Weg nach Prag befindet. Das burschikose Mädchen ist ganz anders als Tatjana und für einen Moment scheint für Maik sogar der erste Sex möglich.

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Tschick

... mit ihrem gestohlenen Lada stellen sie die Welt jedoch ganz schön auf den Kopf.

Spätestens hier hat Akin die Vorlage souverän im Griff, auch wenn er der Geschichte keine neuen Ideen abgewinnen kann. Auch der Osten Deutschlands wirkt als Handlungsort etwas austauschbar. Dafür sind die Hauptdarsteller ein Volltreffer, vor allem Anand Batbileg ist mit seiner eigenwilligen Körpersprache die perfekte Besetzung für Tschick. Die Chemie zwischen den beiden Jungs erweist sich als große Stärke des Films. Fans des Buches werden nicht enttäuscht sein.

Ob der Film als Jugendporträt ähnlich einflussreich wird wie Herrndorfs Roman, muss sich allerdings noch zeigen. An den unverbrauchten Charme von Akins erklärtem Vorbild, dem Jugendfilm-Klassiker „Nordsee ist Mordsee“ (1976) von Hark Bohm, der auch beim Drehbuch geholfen hat, reicht „Tschick“ jedenfalls nicht heran. Mit seinem „Sound“ hebt sich Akins Film aber allemal wohltuend von dem bemühten Jugendslang der meisten deutschen Produktionen ab.

„Tschick“; D 2016, Regie: Fatih Akin, Drehbuch: Fatih Akin, Hark Bohm, Lars Hubrich, mit Anand Batbileg, Tristan Göbel, Nicole Mercedes Müller

Foto und GIFs : studiocanal