Bei der aktuellen Nachrichtenlage braucht man schon starke Nerven. Krieg in Syrien, Anschlaggefahr durch den IS, Zika-Virus in Brasilien, Flüchtlingskrise in Europa, da, wo bis eben noch die Finanz-, die Griechenland- und die Ukrainekrise die Schlagzeilen beherrschte. Uff ... Der Welt, so könnte man also meinen, ging es schon mal besser, viel, viel besser.
Bloß – das stimmt gar nicht. Sagt zumindest Hans Rosling.
Und dass das die meisten nicht merken, ärgert kaum jemanden so sehr wie Hans Rosling. Der Schwede zieht seit zehn Jahren als Ein-Mann-Armee gegen den Pessimismus und das Halbwissen ins Feld und hat es dabei unter anderem zu einem beachtlichen Internet-Ruhm gebracht. Dem Bild einer Mediencelebrity entspricht er dabei so gar nicht. Schmal, blass, eingefallene Wangen, große Brille: Er ist eher der Phänotyp sonderbarer Naturwissenschaftler. Was er ja auch ist. Bevor er ein Big-Data-Star wurde, war Rosling Arzt für innere Medizin und später Professor für internationale Gesundheit am Stockholmer Karolinska-Institut, das auch den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin vergibt.
Dort hat er sich eines Tages über seine Studenten geärgert. Es ging um das Thema der globalen Kindersterblichkeit. Rosling nannte zehn Länder, die er zu fünf Paaren zusammenfasste. Die Studenten sollten nun schätzen, ob die Rate in Sri Lanka oder der Türkei höher ist – beziehungsweise in Malaysia oder Russland. Sie versagten kläglich. Sie brachten es auf einen Schnitt von 1,8 richtigen Antworten. Rosling war schockiert. Sogar Schimpansen würden besser abschneiden. Würde man die möglichen Antworten auf Bananen schreiben und einer genügend großen Zahl Affen vorlegen, kämen sie auf einen Schnitt von 2,5 richtigen Antworten. Sie wüssten gewissermaßen mehr von der Welt als schwedische Studenten.
Mit diesem mittlerweile berühmten Schimpansen-Test begann die zweite Karriere von Hans Rosling, die des Big-Data-Stars. Die Einschätzungen der Studenten basieren auf einer für die westliche Welt typischen Mischung aus Ignoranz und Vorurteilen, fand Rosling und wollte etwas dagegen tun. Und zwar, indem er einigermaßen trockene Daten und Fakten so spannend und bisweilen lustig darstellt, dass ihm alle wie gebannt zuhören. Mit den TED Talks, bei denen man in kurzer Zeit wichtige Themen möglichst anschaulich präsentieren muss, fand er die perfekte Bühne. Bei seinen Auftritten greift er schon mal zu überraschenden Mitteln – einmal schluckte er auf der Bühne ein Schwert –, vor allem aber hat er etwas Überraschendes zu erzählen: Der Welt, so Rosling, geht es viel besser, als wir alle denken.
Kindersterblichkeit, Armut, Gesundheit, Bildung, Lebenserwartung – in all diesen elementaren Bereichen hat die Menschheit Rosling zufolge in den letzten 30, 40 Jahren große Fortschritte gemacht. Längst hätten sich die sogenannten Entwicklungsländer den Industriestaaten angenähert. Noch 1990 hätten 50 Prozent der Menschheit in bitterer Armut gelebt, heute seien es nur noch 22 Prozent. Nur nehme das keiner so wahr – weil wir uns immer auf die schlechten Neuigkeiten stürzen.
Viele seiner TED Talks wurden millionenfach angeklickt. Längst hat Rosling seine eigene Stiftung ins Leben gerufen, die auf die Auswertung von Daten, etwa von der WHO, UNICEF oder auch der Weltbank, und deren Visualisierung spezialisiert ist. Mit einer Grafiksoftware, die er mit seinem Sohn Ola entwickelt hat, lässt er Kreise durch die Luft fliegen, Blasen anschwellen, Vektoren leuchten. Daten über globale Trends und komplizierte Zusammenhänge werden zu einer Daten-Show, die imstande ist, unser Bild der Welt zu verändern.
So ist der Schwede eine Art Lobbyist der guten Nachricht geworden: In den nächsten 15 Jahren, so Rosling, könnte die Menschheit den Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung auf null reduzieren. Zu den extrem Armen gehören laut UN all jene, die von weniger als 1,25 Dollar täglich leben müssen. Und daraus ergibt sich für Rosling gleich die nächste gute Neuigkeit: Das globale Bevölkerungswachstum könnte 2050 seinen Zenit erreicht haben. Denn wenn die weltweite Armut schwindet, sinkt auch die Geburtenrate. Das wiederum würde auch für das Problem des Klimawandels Linderung bedeuten. Und tatsächlich ist etwa in Bangladesch, Roslings Lieblingsbeispielland, die Geburtenrate schon auf zwei Kinder pro Frau gesunken. Übrigens hat er diesen Vortrag ganz analog veranschaulicht – mit ein paar Plastikkisten von Ikea.
Aber was ist dann mit all den Toten in Syrien, all dem Leid der Flüchtlinge, mit denjenigen, die hungern? 795 Millionen sind es nach neuesten Schätzungen. Zählt ihr Schicksal denn nicht hinter all den Zahlen und Statistiken? Man könnte argumentieren, Rosling sei ein kühler Technokrat, vielleicht sogar ein Zyniker, der die westliche Welt aus der Pflicht nimmt, den Ärmsten zu helfen.
Doch Rosling sagt, ihm gehe es um etwas anderes: Er wolle die Welt nicht schönreden, sondern mit all den verfügbaren Informationen die vielen Vorurteile aus der Welt schaffen. Er möchte die Wahrnehmung verändern. Und da gibt es ja manche Schräglage.