Worum geht’s?
Karl ist ein ganz normaler Typ, der kurz vorm Abi steht. Ob er das schafft, ist nicht klar, es interessiert ihn aber auch nicht – eigentlich scheint Karl nichts wirklich zu interessieren außer seinem Blog „The Language of Many Others“, auf dem er als „Lomo“ unter anderem private Aufnahmen von seiner Familie postet. Dann verliebt er sich. Und plötzlich ist alles egal, nur Doro nicht. Die will sich aber nicht auf einen Freund festlegen. Tief enttäuscht lädt Karl ein Video auf den Blog, das Doro und ihn beim Sex zeigt. Von da an gerät sein Leben immer mehr aus den Fugen – und nicht nur seines.
Wie wird’s erzählt?
Der Debutfilm von Julia Langhof wechselt zwischen vorhersehbaren und überraschenden Momenten. So sind die Charaktere klischeehaft angelegt: der Vater ein überheblicher, zynischer und bisweilen jähzorniger Architekt; die Zwillings(!)schwester hübsch, blond, intelligent, mit Ambitionen für ihre Zukunft; die verführerische Mitschülerin, die sich bei Karl die Bestätigung holt, die ihr von der Mutter, einer angesehenen, reichen Geschäftsfrau, verwehrt bleibt. Allein Karl lässt den Zuschauer rätseln, denn er sagt so gut wie nie, was er denkt. Der Zuschauer guckt ihm zu, wie Karl wiederum seinem eigenen Leben zuguckt. Erst als er sich verliebt, glaubt man einigermaßen zu wissen, was in ihm vorgeht. Doch die Liebe hält nicht lange, und die Wortlosigkeit, in die er sich zurückzieht, macht ihn umso unberechenbarer. So hat man einerseits das Gefühl, die Charaktere recht schnell zu durchschauen, während der Protagonist ein Rätsel bleibt, und das, obwohl die ganze Geschichte um ihn kreist.
Was zeigt uns das?
Dass die Filmemacher eine wirklich gute Idee hatten, die aber im Film irgendwie zur Nebenhandlung verkommt: Auf der Suche nach sich selbst überschreitet Karl eine Grenze, indem er Privates mit Fremden teilt, ihnen bereitwillig die Kontrolle über sein Leben gibt. Er lässt sich von ihnen per Livestream mit geschlossenen Augen durch die Stadt führen – anfangs nur ein Spiel. Doch je mehr die Unbekannten von ihm wissen, umso weniger kann Karl sein eigenes Leben kontrollieren und bringt damit nicht nur sich, sondern auch die Menschen in Gefahr, die ihm nahestehen. Bloß: Das kommt im Film viel zu kurz. Der nimmt sich stattdessen viel Zeit für Karls sich immer mehr entzweiende Familie, die Abschottung von Schwester und Freunden, die ebenso kaputte Familie von Doro. So ist „Lomo“ letztlich nur die allzu konfliktbeladene Geschichte eines Abiturienten mit Liebeskummer und nicht das interessante Gedankenspiel über die Macht von Daten, das der Film hätte werden können.
Good Job!
Gut gemacht ist die Kulisse – das verwinkelte Haus der Familie, wo Karl in seinem Zimmer auf dem Bett liegend durch ein großes schräges Dachfenster den Regen beobachtet, der auf die Scheibe prasselt. Ob in der Sauna im Keller oder im Auto in der Waschanlage, der Film findet passende Räume für die besonderen Momente zwischen Karl und Doro und fängt die Stimmung in perfekt ausgeleuchteten Bildern ein. Ausdrucksstark ist Karls Gesicht, in der Dunkelheit nur beleuchtet vom Licht seines Laptops, als er das intime Video von sich und Doro hochlädt.
Stärkster Satz
„Mach’s dir doch nicht immer so schwer!“, sagt Karls Schwester zu ihm und er antwortet: „Dann zeig du mir doch, wie’s leicht geht.“
Ideal für …
… alle, die gerne (deutsche!) Indie-/Coming-of-age-Filme gucken, in denen es sich die Heranwachsenden nicht leicht machen. Und alle, die sich irgendwie für soziale Medien interessieren.
„Lomo – The Language of Many Others“, Deutschland 2017; Regie: Julia Langhof; 101 Minuten.
Foto: Flare Film, Michal Grabowski